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Die große Politik aufs Außerfern heruntergebrochen

10. März 2020 | von Nina Zacke
Die große Politik aufs Außerfern heruntergebrochen
Ein Kopftuchverbot für Schülerinnen würde im Bezirk Reutte drei Mädchen betreffen. Foto: Pixabay

Das Kopftuchverbot für 10–14Jährige. Nutzlose Symbolpolitik oder sinnvolle Integrationsmaßnahme?


Mit der Präsentation des Kapitels Integration im neuen Regierungsprogramm beginnt die neue Bundesregierung ihre Arbeit und kün-digt als eine erste Maßnahme für bessere Integration ein Kopftuchverbot für alle Schülerinnen im Alter von zehn bis vierzehn Jahren an. 

Von Johannes Pirchner
Wie zeigt sich die Situation im Außerfern und in Tirol? 

Auf Nachfrage der RUNDSCHAU bei den Direktoren der neuen Mittelschulen in Reutte, Vils, Ehrwald, Tannheim und Elbigenalp sowie beim Direktor des Bundesrealgymnasiums in Reut-te, wie viele muslimische Schülerinnen im Alter von zehn bis vierzehn Jahren von einem Kopftuchverbot  eigentlich betroffen wären, kam ein ernüchterndes Ergebnis zutage. Nicht einmal fünf Mädchen genannten Alters im gesamten Außerfern tragen derzeit ein Kopftuch in den Schulen!
Echte Integration, Sprachförderung.

Diese Erkenntnisse decken sich auch mit den Aussagen von Bildungslandesrätin Beate Palfrader (ÖVP). So stellte sie  klar, dass das Verbot von Kopftüchern nicht notwendig sei. Sie bevorzuge echte Integrationsmaßnahmen, wie etwa bessere und mehr Sprachförderungen für Kinder. Festzuhalten sei auch, dass ein Kopftuchverbot vor der angestoßenen Diskussion aus dem Bund in Tirol nie ein Thema war. Für diese Fachmeinung als Verantwortliche vor Ort wurde LR Palfrader von der Bundespolitik stark kritisiert. Sie stellte daraufhin klar, dass – natürlich, wenn das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung der Frau eingesetzt werden sollte, dieses abzulehnen sei und natürlich solle sich jede junge Frau frei und selbstbestimmt entfalten. Es ist natürlich richtig, dass es in stark islamisch geprägten Ländern Gesetz bzw. für Frauen üblich ist, Kopftuch, Burka usw. zu tragen. Auch ist es richtig, dass es in Großstädten, auch in Wien, Problemschulen gibt, in denen Druck auf Schülerinnen ausgeübt wird, dass sie ein Kopftuch tragen. Im Außerfern oder in Tirol kann davon aber keine Rede sein. Aber woher kommt das Kopftuch eigentlich und ist es wirklich etwas speziell Muslimisches oder Fremdartiges, das nicht mit österreichischen Werten vereinbar ist?
Was steht im Koran?

Zunächst ist festzuhalten, dass der Islam keine einheitlich geführte Religion, wie etwa die römisch-katholische Kirche, ist. Es gibt keinen einheitlichen religiösen Führer, wie es der Papst für die Katholiken ist, der entscheiden könnte, dass Musliminnen ein Kopftuch tragen müssen, sie ansonsten gegen ihren Glauben verstoßen. Es gibt im Islam viele verschiedene Glaubensrichtungen (wie auch im Christentum) und Koranschulen, die unterschiedliche Glaubens- und Rechtsmeinungen vertreten. In drei Suren des Korans 24.31, 33.59 und 33.53 wird auf die Verschleierung der Frau eingegangen. In 24.31 wird davon gesprochen, dass die Frau ihren Schmuck vor niemand anderem entblößen soll, außer vor Familienmitgliedern. Ob mit diesem Schmuck Haare gemeint werden und es deswegen ein Kopftuch braucht, daran scheiden sich die Rechtsmeinungen der Gelehrten des Islam. Die Sure 33.59 spricht davon, dass sich eine Frau bedecken soll, damit sie vor Blicken und sexuellen Übergriffen von Männern geschützt ist. Sinn macht dieses Gesetz dahingehend, als dass es eine Schutzempfehlung für Frauen und im 6./7. Jahrhundert (als der Koran verfasst wurde) angebracht war. In einem Rechtsstaat wie Österreich, ist ein sexuelle Übergriff ein Straftatbestand. Befürwortern eines Verbotes kann also recht gegeben werden. Allerdings werden Straftaten von staatlicher Stelle verfolgt und Verbote deshalb nicht mehr benötigt. Letztlich geht die Sure 33.53 auf die Frauen des Propheten Mohammed ein. So steht darin: „Wenn ihr sie um etwas bittet, so tut dies hinter einem Schleier“. Unklar ist, ob die Frauen nun immer verschleiert sein sollen oder nur wenn man zu den Frauen des Propheten spricht. Zu dieser Interpretation gibt es aber viele unterschiedliche Rechtsmeinungen. Fest steht, dass das Kopftuch heute als eindeutiges Symbol der islamischen Religion nicht haltbar ist. 
Tradition.

Natürlich gibt es aber eine islamische Tradition: Sobald ein islamisches Mädchen im Alter von zehn bis vierzehn Jahren die Geschlechtsreife erreicht, kann sie ein Kopftuch tragen. Warum sollte sie dies nicht tun dürfen und warum braucht es dafür ein österreichweites Verbot? Gegen ein Verbot spricht zum einen das Menschenrecht der freien Religionsausübung: Der Islam ist seit 1912 in Österreich anerkannte Religionsgemeinschaft, zum anderen das Recht auf die persönliche Freiheit und die freie Meinungsäußerung, also gerade die Selbstbestimmtheit der Frau über ihren Körper. Auch sollte es eine religiöse Toleranz in einer pluralistischen Gesellschaft geben. Auch zu bedenken ist, dass jede Familie ihren islamischen Glauben anders auslebt – einige strenger andere wiederum offener. Eine Pauschalierung ist schwer möglich und schafft nur Unfrieden. Wenn ein junges Mädchen das Kopftuch tragen möchte, sei es aus frommer Glaubensbekundung, um ihre islamische Herkunft und Tradition in Österreich zu bewahren, aus modischen Gründen oder einfach nur um aufzufallen, sollte sie dies tun dürfen. Letztlich reden wir im Außerfern von drei Schülerinnen!
Was tun?

Welche anderen Lösungsmöglichkeiten sind denkbar? Eine Ansatz wäre beispielsweise, dass der Schulordnungen ein Punkt beigefügt wird, während des Schulbetriebes bzw. in den Klassen alle Kopfbedeckungen – Kopftücher, Basecaps, Mützen, Hüte usw. – zu verbieten. Die Direktoren könnten so entscheiden, ob diese Maßnahme an ihren Schulen Sinn macht und benötigt wird. Ein weiterer, etwas radikaler Lösungsansatz, wären bundesweite einheitliche Schuluniformen, wie im Vereinigten Königreich praktiziert. Ein noch radikalerer Denkansatz wäre es, alle religiösen Symbole und Spuren aus den öffentlichen Gebäuden und Schulen zu verbannen. Darunter würde aber das Kopftuch, auch nach Meinung von Bischof Hermann Glettler, nicht fallen. Sollte aber ein Gericht darüber urteilen müssen, ob das Kopftuch ein Symbol des Islam ist und dies bejahen, müsste es natürlich aus dem öffentlichen Raum weichen. Aber dies kann auch furchtbare Folgen für die „gelebte österreichische“ Kultur haben. Auch Kreuz und Kippa sind religiöse Symbole und die Bundesregierung betonte bewusst, diese christlich-jüdischen Werte Österreichs zu fördern. Wenn nun aber Kreuze abgehängt, Martiniumzüge verboten, der Religionsunterriche eingeschränkt oder abgeschafft würde, wäre dies nur die Spitze des Eisberges. Was wäre mit dem Tiroler Vereinswesen, den Schützen, die bei ihren Ausrückungen Feldmessen feiern, die Feuerwehren, die ihren Schutzpatron den Hl. Florian hochleben lassen oder auch der Landesfeiertag Josefi? Es wäre das Ende der Schulgottesdienste. Noch weiter gedacht, müsste mit dem Vatikan ein neues Konkordat über Feiertage, Religionsunterricht usw. abgeschlossen werden. Das alles wegen einer Maßnahme, die eigentlich nichts bringt.

Aber letztlich bleibt die Frage, wann jemand gut integriert ist. Jemand ist gut integriert wenn er die deutsche Sprache gut beherrscht, einer geregelten Arbeit nachgeht, sich an die Gesetze und Werte Österreichs und Europas – Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte, auch die Achtung der Religionsfreiheit – hält. Es sollte letztlich egal sein, ob ein Österreicher oder ein Mitbürger mit anderer Staatsangehörigkeit an Jahwe, Jesus, Allah, Buddha, Ganesha oder an niemanden glaubt. Toleranz ist der Schlüssel zu einer funktionierenden Gesellschaft, aufoktroyierte Verbote sind es sicher nicht.

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