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Gegenwind für Tunnelpläne

26. Feber 2019 | von Nina Zacke
Gegenwind für Tunnelpläne
Sie saßen bei der von Martin Muigg-Spoerr moderierten Info-Veranstaltung in Haiming auf dem Podium: Hubert Wammes (Obstbauer und Obmann der Wasserversorgung), Bürgermeister Josef Leitner, Fritz Gurgiser vom Transitforum Austria-Tirol, Wasserwirtschaftler Johannes Matzinger und Geologe Oliver Montag (v.l.). RS-Foto: Gerrmann
In Haiming diskutierte man über Auswege aus dem Transit-Dilemma – auch Außerferner dabei

 

„Tunnelblick“ – dieser Ausdruck ist zum Synonym für eine verengte Sichtweise geworden. Manche Politiker (sei es auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene) scheinen indes nach Auffassung vieler zur Lösung von Verkehrsproblemen nur ein Mittel zu kennen: neue Tunnel. Diesem Thema widmete sich am Donnerstag eine Veranstaltung in Haiming. Dort allerdings fanden Tschirgant-  und Fernpassscheitel-Tunnel so gut wie keine Freunde.

Von Jürgen Gerrmann

Dass dieses Thema die Menschen bewegt, war daran zu erkennen, dass im Oberlandsaal kein Stuhl frei blieb. Auch Außerferner pilgerten vom Lech- ins Inntal, um sich Informationen und Debatten anzuhören und beim Abend unter dem Motto „Kein Tunnelblick“ selbst mitzudiskutieren.

Dass der Abwehrkampf gegen die Röhre unter dem Simmering (wie der Gipfel des Tschirgant-Massivs konkret heißt) nun schon über eineinhalb Jahrzehnte anhält – daran erinnerte Haimings Bürgermeister Josef Leitner gleich zu Beginn. 2004 hätten sich bei einer Beteiligung von 30 Prozent in einer Volksbefragung 84 Prozent gegen dieses Projekt ausgesprochen und der Gemeinderat daraufhin beschlossen, keinen Grund dafür zur Verfügung zu stellen – und  2017 zudem jeglichen Eingriff in die Wasserreserven unter  dem Tschirgant abgelehnt.
DIE GEOLOGIE.

Dem „unter Geologen berühmten“ Tschirgant-Karst wandte sich Ingenieurkonsulent Oliver Montag aus Leonding bei Linz zu. Dort fließe das Wasser mehrere hundert Meter pro Tag, der Berg habe eine geringe Filterwirkung, aber eine hohe Speicherkapazität: „Die Niederschläge geraten fast direkt ins Grundwasser.“ Das Trinkwasser dort sei „sehr empfindlich gegen Schadstoffe oder Schmutz.“ Der Experte: „Ich kennen keinen Tunnelbau ohne Auswirkungen – zum Beispiel auf das Grundwasser.“ Ob man so ein Projekt realisiere, sei indes eine gesellschaftspolitische Frage und müsse in einem politischen Prozess abgewogen werden: „Da gilt es, das Schutzgut Wasser gegen die Anforderungen der Infrastruktur abzuwägen.“
MÜHLVIERTELER TUNNELPROBLEME.

Ein Beispiel aus Oberösterreich schilderte Johannes Matzinger, seines Zeichens Kulturtechniker der Wasserwirtschaft. Der Götschka-Tunnel im Zuge der neuen S10 zwischen Linz und Freistadt verlaufe im Vergleich zum Tschirgant zwar nur durch einen Hügel. Aber es habe dennoch gravierende Probleme gegeben: „Quellen sind von einem Tag auf den anderen versiegt, über 50 Brunnen ausgetrocknet.“ Der Loibersdorfer Bach führe kein Wasser mehr, weil der Grundwasserspiegel um 50 Meter tiefer gefallen sei, die landwirtschaftlichen Nutzpflanzen dort könnten sich nicht mehr über die Kapillare mit Wasser versorgen. Nun pumpe man das im Tunnel gesammelte Wasser künstlich über eine 2,1 Kilometer lange Röhre 130 Höhenmeter hoch, damit oben wieder ein Rinnsal fließe. All diese Risiken seien zuvor bekannt gewesen und abgewogen worden, man habe sich dennoch für den Bau entschieden. Wobei die ASFINAG bei der Regulierung der Schäden „fair und professionell gehandelt“ habe.
SORGE UMS WASSER.

Hubert Wammes ist nicht nur passionierter Obstbauer, sondern auch Obmann der Wassergenossenschaft Haiming. Er schwärmte von den riesigen Reserven im Tschirgant: Das Wasserbassin im Ort fasse eine Million Liter, im Berge ruhten noch Tausende solcher Massen. Der Klimawandel setze den Obstbauern massiv zu, die Ernte sei gegenüber der Jahrtausendwende nun zwei Wochen früher, es gebe 30 statt zehn Hitzetage jährlich (und bald sogar 50). Ohne Wasser könnten die Kulturen im Inntal aber nicht betrieben werden: „Wir haben Angst, dass durch den Tunnel das Grundwasser absinkt. Und wir brauchen Reserven für den Katastrophenfall.“
„RECHT AUF GESUNDHEIT“.

In Fahrt kam (trotz oder gerade wegen des Staus auf den Tiroler Straßen) natürlich Fritz Gurgiser, der Obmann des Transitforums Austria-Tirol: Mittlerweile werde durch die Blechlawine die einheimische Bevölkerung Wochenende für Wochenende eingesperrt. Nun müssten die Verantwortlichen endlich den Mumm aufbringen, den Schutz der Tiroler und der regionalen Wirtschaft an die oberste Stelle zu setzen und auch auf den Straßen endlich das Verursacherprinzip einzuführen.

Es müsse endlich gehandelt werden: „Wir haben die Zeit nimmer, wir können nicht mehr warten. Das Chaos hat schon längst ein Ausmaß erreicht, dass die Straßenverkehrsordnung ein Einschreiten der Behörden verlangt.“ Die Zeit müsse vorbei sein, „wo jeder seinen Lift und seine Betten baut und sagt ,Der Verkehr geht mich nix an'“, attackierte er auch die Touristiker. Man brauche keine neuen Formen der Bürgerbeteiligung wie jüngst in Reutte und Imst, „wo nur Unsinn rauskommt“, sondern „Professionalität, Mut zu Begrenzungen, zum Eingriff in falsche Freiheiten und zum eigenen Umdenken.“ Denn: „Wir haben ein Recht auf Gesundheit.“

Dass das noch keinen Vorrang vor dem freien Warenverkehr habe – darüber ärgert sich nach eigenem Bekunden auch der Klubobmann der Grünen im Tiroler Landtag, Gebi Mair: „Ich verstehe auch nicht, warum wir immer noch kein funktionierendes Dosiersystem haben. Wir brauchen endlich eine gesellschaftspolitische Mehrheit über die Partei-grenzen hinweg.“
AUCH VERSTÄNDNIS FÜR PLÄNE.

Obsteigs Bürgermeister Hermann Föger wollte die Tunnelpläne indes nicht völlig verwerfen: „Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir auf dem Mieminger Plateau auch entlastet werden wollen.“ Die Gegner der Projekte können offenkundig auch nicht auf Nassereiths Bürgermeister Herbert Kröll zählen: Der verwies darauf, dass sein Ort trotz des Transits („bei dem in erster Linie die Pkw das Problem sind, die Lkw werden jetzt schon rigoros kontrolliert“) mit die beste Luftqualität von ganz Tirol habe. Wenn man die Radler und Traktoren von der B179 bekomme, sei auch schon viel gewonnen. Haiming habe gut reden: „Ihr seid wirtschaftsstark, und zu euch fahren auch viele Lkw.“ Der oft angeprangerte Tourismus sorge für eine niedrige Arbeitslosigkeit in den Tälern: „Und die Touristen bringen Geld und Wohlstand zu uns.“ Zudem gebe es für alle Projekte Behördenverfahren: Wenn die Probleme so immens seien wie geschildert, dann glaube er nicht, dass die Tunnel gebaut würden.
SALAMITAKTIK?.

Albert Linser, Bichlbachs Alt-Bürgermeister, forderte derweil erneut, die Zulaufstrecken zu den touristischen Top-Gebieten besser zu schützen: „Hier muss man an die Verursacher ran. Denn ungebremstes Wachstum führt zum Tod.“ Was jetzt gerade passiere, komme ihm freilich eher wie eine „Salamitaktik für eine neue Transitroute von Nord nach Süd“ vor.

Reuttes Bürgermeister Luis Oberer hatte derweil „noch nie erlebt, dass nach dem Bau eines Tunnels auch nur ein Auto weniger gefahren wäre.“ Im Gegenteil: „Es gab noch mehr Verkehr und noch mehr Stau.“ Das sei doch Blödsinn pur: „Der Verkehr muss der B179 angepasst werden – und nicht umgekehrt.“ Ihn störe zudem, dass man nicht mit den Nachbarn in Deutschland rede und eine gemeinsame Lösung suche: Die letzte Abfahrt vor Füssen sei 17 Kilometer entfernt – bei zwei Spuren mache das 34 Kilometer Stauraum, mit denen man das Außerfern entlasten könne. Der Tschirgant-Tunnel mache für ihn am allerwenigsten Sinn. Der solle ja über Maut finanziert werden: „Das rechnet sich aber nur, wenn möglichst viele fahren.“ Falle zudem das 7,5-Tonnen-Limit am Fernpass, so rechne er künftig mit 6000 statt 1500 Lkw auf dieser Route.
BLICK IN DIE ZUKUNFT.

Christoph Scheiber, Betriebsrat bei Plansee-Ceratizit in Reutte, rief derweil dazu auf, „heute darüber nachzudenken, was wir in 30 Jahren brauchen.“ In Städten werde es dann vermutlich gar keine Autos mehr geben, weil fast alle auf Busse und Bahnen umstiegen: „Daraus muss man die richtigen Schlüsse ziehen. Damit muss man schon jetzt anfangen. Wir brauchen eine echte neuartige Infrastruktur.“

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