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Raum und Zeit sich erinnern zu dürfen

Gerhard Waibel leitet die Hospiz-Trauergruppe in Imst

Dr. Gerhard Waibel ist Psychotherapeut und begleitet seit vielen Jahren Menschen in der Trauer. Bei dem von ihm geleiteten Angebot der Tiroler Hospiz Gemeinschaft handelt es sich nicht um eine Form von Therapie, sondern um eine Begleitung. „Die begleitende Gesprächsgruppe stellt eine Ergänzung zum Umfeld des trauernden Menschen dar. Trauer ist (in den allermeisten Fällen) keine Krankheit, professionelle Begleitung kann aber bei der Antwortsuche nach einem großen Verlust sehr hilfreich sein“, so Dr. Waibel im Dialog mit der RUNDSCHAU.
25. Oktober 2022 | von Peter Bundschuh
Raum und Zeit sich erinnern zu dürfen<br />
Trauer ist ein Weg, und das persönliche Gehen dieses Weges braucht Zeit“, so Trauerbegleiter Dr. Gerhard Waibel. RS-Foto: Bundschuh
„Du musst endlich loslassen können und wieder das Positive sehen, dann geht‘s dir wieder besser.“ Mit solchen und ähnlichen Ratschlägen werden trauernde Menschen oft unter Druck gesetzt, den Verlust eines geliebten Menschen schnell verkraften zu müssen. Trauer ist aber ein Weg und das persönliche Gehen dieses Weges braucht Zeit. Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, trauern wir. Trauer ist die heilsame Antwort des Herzens auf einen großen Verlust. Es ist ein Irrtum, dass es beim Trauern darum geht, den geliebten Menschen loslassen zu müssen. In der Trauer geht es weniger um ein Loslassen müssen, als vielmehr um ein Zulassen-Dürfen. In der Trauer sind wir gefordert, alle schmerzlichen Gefühle zuzulassen. In diesem Sinne äußert sich auch Maria Streli-Wolf, Tiroler Hospiz Gemeinschaft.

TRAUER MIT ANDEREN TEILEN. Für einige Menschen ist der erste Schritt in eine Trauergruppe eine Überwindung. In der Gruppe erleben die Trauernden dann aber Gemeinschaft und Anteilnahme. Sie können sich über ihre Erfahrungen austauschen und erleben so, dass sie mit ihren Gefühlen nicht alleine sind. So kann es möglich werden, aus der Trauer mit der Zeit verwandelt und gestärkt weiter zu leben.

ENGAGEMENT AUF HOHEM VERANTWORTUNGSNIVEAU. Trauerbegleitung an sich hat ein weites Spektrum, gemeinsam ist allen Formen die Unterstützung von Menschen mit Verlusterfahrungen. Einfach da sein, gemeinsam schweigen, zuhören, aber auch miteinander sprechen, die Gemeinschaft erleben. Die Trauerbegleitung soll nicht mit einer ärztlichen Therapie verwechselt werden. Grundsätzlich kann sie von Menschen geleistet werden, die bereit sind, sich der Situation mit Einfühlungsvermögen zu stellen. Dennoch hat sich gezeigt, dass die Begleitung von Menschen, die sich in einer solchen kritischen Lage befinden, hohen Anforderungen gerecht werden muss. Dies hatte zur Folge, dass Standards in der Qualifizierung von Trauerbegleitung erarbeitet wurden.

TRAUERBEGLEITER DR. GERHARD WAIBEL IM GESPRÄCH. Es ist im Rahmen dieses Artikels nicht möglich auf Modelle der Trauerbegleitung einzugehen, einige Anmerkungen des Leiters der Hospiz Trauergruppe Imst seien aber angeführt. Unsere Gegenwartsgesellschaft neigt dazu, Themen wie Tod und Trauer zu tabuisieren oder ihnen aus dem Wege zu gehen. „Trauer muss aber erlaubt sein und dazu zählt auch Solidarität und Nähe im Umfeld des trauernden Menschen. Wenn betroffene Menschen in ihrem natürlichen Umfeld einfühlsame Anteilnahme und ehrliche Zuwendung erfahren, so ist das von großem Wert. “ Wie steht es um professionelle Hilfestellung? „Trauer ist ein Leiden, ein Weg, aber keine Krankheit. Dennoch stehen Menschen, die zusammen zwei Stämme, aber eine Krone waren, durch den Tod eines von beiden, vor einer gänzlich neuen Situation, auch bezogen auf den Alltag. Sie befinden sich in einer großen Krise, fachkundige Hilfe kann also durchaus angeraten werden.“ Hilft Spiritualität? „Glaube kann Trauernden eine Stütze sein, impliziert aber auch die Theodizeefrage als der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes oder der ‚Rechtfertigung Gottes‘ für den erlittenen Verlust. Warum hat es ausgerechnet mich getroffen? Einpersonenhaushalte und ältere Menschen mit wenig Kontakten werden mehr. Zur Hilfe im Alleinsein kann auch ein Heimtier beitragen, das quasi zum Familienmitglied werden kann.“ Und wenn das Heimtier stirbt? Auf Nachfrage der RUNDSCHAU: „Tiere können Gefährten in der Trauer um einen Menschen sein, aber es ist auch in keiner Weise abzulehnen über den Tod des Tieres selbst zu trauern. Trauer bezieht sich eben auf einen Verlust, dieses Gefühl darf nicht verdrängt werden“, meint Gerhard Waibel.

ELTERN TRAUERN UM IHR KIND. Die tiefe Trauer, die Eltern nach dem Tod ihres Kindes erleiden, können Außenstehende oft kaum nachfühlen. Für Eltern ist es daher hilfreich, mit anderen Müttern und Vätern, welche ein ähnliches Schicksal erlitten haben, ins Gespräch zu kommen. Gerade in dieser schwierigen Zeit ist es wichtig, sich aussprechen zu können. Auch hier könne eine Trauergruppe Hilfe bieten, erläutert Gerhard Waibel.

WAS AM ENDE DES TAGES BLEIBT. Es ist ein Irrtum, dass es beim Trauern darum geht, den geliebten Menschen loslassen zu müssen. Trauer ist eine heilsame Antwort des Herzens auf einen großen Verlust, die Erinnerung eine Möglichkeit, die Liebe lebendig zu halten.

 

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