Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Drei Almen und herrliche Ausblicke

Eine Wanderung hoch über St. Leonhard im hinteren Pitztal

Gleich zwei Steinböcke im Wappen: Da muss man nicht lange rätseln, wie die Natur in St. Leonhard im Pitztal ausschaut. Und dies signalisiert zugleich, welch herrliche Wanderungen man dort unternehmen kann. Wie diese Tour zu gleich drei Almen, die mit vielen Überraschungen aufwartet.
7. September 2020 | von Jürgen Gerrmann
Der beschwerliche Weg auf den Gipfel hat sich belohnt, auf dem Rosskopf ist es einfach wunderschön – der ideale Platz zum Ausruhen und Genießen. RS-Foto: Germann
RS-Foto: Gerrmann
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RS-Foto: Gerrmann
Beim Wandern überm Pitztal findet man immer wieder regelrecht spirituelle Orte – wie hier auf dem Almenweg nahe der Tiefentalalm. RS-Foto: Gerrmann
Idylle pur auf der Tiefentaler Alpe - die Kombination aus sanftem Hochtal und wilden Bergen berührt regelrecht das Herz. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann

Los geht’s in Eggenstall. Der gut ausgeschilderte Weg hinauf zur Neubergalm macht einfach Spaß – auch deswegen, weil sich Forstweg und romantischer Steig immer wieder abwechseln. Wunderschön in die Landschaft eingebettet ist die Neubergalm, fast so, als wäre sie Teil der Natur. Das gilt umso mehr für das nächste Teilstück dieser Wanderung auf dem Pitztaler Almenweg. Stets gemütlich geht es zunächst fast immer eben dahin – und der eine oder die andere mag sich da beim Gedanken ertappen: „So könnte es jetzt eigentlich ewig weitergehen!“ Das nächste Zwischenziel ist die malerisch gelegene Tiefentalalm. Deren Name ist zwar irreführend (schließlich steht sie nicht im tiefen Tal, sondern fast auf 1900 Metern), aber ein paradiesisches Fleckchen Erde ist es dennoch. Allerdings auch ein Ort der Entscheidung: Wie soll’s weitergehen – entweder ganz gemütlich mehr oder minder auf gleicher Höhe weiter zur Arzler Alm oder mit ein paar Schweißtropfen mehr über das Kreuzjoch (was zusätzlich rund 400 Höhenmeter bedeutet)?

HINAUF ZUM KREUZJOCH. Letzteres soll man machen, „wenn Kondition und Motivation stimmen“, hat uns „Wanderguru“ Thomas Neuner vom Tourismusverband Pitztal vor unserer Tour gesagt. Wir schauen uns an und wissen: Beides stimmt bei beiden. Also: Pack ma’s! Aber dann doch wieder nicht so schnell: Die Szenerie ist einfach zu herrlich. Die will und kann man nicht einfach so hinter sich lassen. In der Vorarlberger Landesbibliothek schlummert zum Beispiel eine 61 Jahre alte Schwarz-Weiß-Postkarte (gefertigt von der damals berühmten Ansichtskarten-Firma Risch-Lau in Bregenz), die ahnen lässt, dass die Menschen schon damals von diesem fantastischen Blick zur (3354 Meter hohen) Rofele-Wand hellauf begeistert waren. Ich kann das auch live und in Farbe nachvollziehen: Mich erinnert dieses Hochtal irgendwie an die Ebenen der Berge in den USA, die mir in den Wild-West-Filmen meiner Kindheit begegnet sind. Vermutlich stimmt dieser Vergleich gar nicht (und ich rechne auch damit, dass mir Geografen da scharf widersprechen), aber das stört mich hier ganz und gar nicht. Auch die freundlichen Pferde, die dort friedlich vor uns grasen, tragen zum Enthusiasmus bei. Je höher wir steigen, desto mächtiger präsentieren sich die mächtigen Felswände ringsum, die sich gen Himmel recken und einem Tier, das fast ausgestorben wäre, in den vergangenen Jahrzehnten neuen Lebensraum boten – wobei es sich bei den 1200 Steinböcken, die sich mittlerweile wieder im Pitztal tummeln, streng genommen um Nachfahren von Migranten handelt. Deren Ahnen wurden nämlich 1953 von der Tiroler Landesjagd aus der Schweiz geholt, nachdem Wilderer dieser Spezies im Pitztal den Garaus gemacht hatten. Diese (wörtlich zu nehmen) armen Menschen hatten es dabei nicht nur auf das Fleisch abgesehen, das ihnen und ihren Familien den Magen füllte: In jenen Jahren galt das Steinbockhorn nämlich als Aphrodisiakum. Ähnlich wie das Horn des Nashorns, Austern oder das Herz eines Krokodils sollte es ein Wirkung entfalten, die dem heutigen Viagra entspricht und schwächelnden Zeitgenossen zu neuer Manneskraft verhelfen sollte. Sollte – tat es aber nicht. Leider war der Glaube daran (im Gegensatz zu den Steinböcken) nicht auszurotten.

JEDE MENGE STEINBÖCKE. Gottlob gelang die Wende zum Guten. Mit 1200 Exemplaren gilt die Steinbock-Population im Pitztal mittlerweile als die größte der Ostalpen und Mutter-Kolonie in ganz Österreich. Eine wahre Erfolgsgeschichte. Mit Fug und Recht wurde daher das Tiroler Steinbockzentrum in St. Leonhard im Pitztal angesiedelt und heuer eröffnet. Am Ende dieser Wanderung kann man es besuchen (oder am Morgen danach in aller Ruhe). Toll: Dabei wird nichts unter den Teppich gekehrt und auch die Hintergründe der Ausrottung des Steinbocks erläutert und mit Fotos dokumentiert. Denn von der Armut der Menschen damals kann sich kaum jemand, der heute lebt, eine realistische Vorstellung machen. Die „gute alte Zeit“ war für die meisten Menschen, die damals lebten, nämlich alles andere als gut. Wer diese Tour im Juli geht, der wandert auf dem Weg hinauf zum Kreuzjoch im Kräfte schonenden Zickzack durch ein wahres Alpenrosen-Paradies – und vom Joch oben ist es nur ein Katzensprung hinüber zum Rosskopf. Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob nun dieser Gipfel oder der danebenliegende Rappenkopf „die Aussichtsplattform über dem Pitztal“ ist, wie es von beiden behauptet wird – das Panorama ist hie wie dort einfach nur atemberaubend. Auch hier kann man nicht einfach weitergehen. Man muss staunen und genießen.

KIRCHLEIN UNTER DENKMALSCHUTZ. Sei’s drum: Auch der Weg hinunter ins Tal beflügelt einen ob seiner Schönheit. Auf halber Höhe wartet ja auch noch die Arzler Alm, wo man nochmals Gastfreundschaft zu genießen vermag. Dann sollte man weiter bergab den steilen Steig Richtung Schrofen und Eggenstall benutzen, denn auf den offiziellen gelben Wandertafeln ist das Steinbockzentrum noch nicht angegeben. Drunten im Tal kommt man kurz vor dem Ziel schließlich auch an der einfachen, aber eindrucksvollen Leonhardskirche vorbei, die dem ganzen Ort quasi ihren Namen gegeben hat. In einem Stiftsbrief von 1485 wird „Sand Leonharden im Putzental“ ein eigener Kaplan bewilligt, da es für die Aushilfspriester von Imst einfach zu weit ins innere Pitztal war. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz – und beweist damit, dass auch kleine Kirchen große Schätze zu sein vermögen. So kehrt man im Herzen reich an Kleinoden aus Kultur und Natur wieder zurück zum Ausgangspunkt – und kann all das voller Freude dann immer wieder vor dem inneren Auge Revue passieren lassen.

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