Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
Artikel teilen
Artikel teilen >

Schauen, Staunen und Genießen

Auf dem Ötztaler Urweg von Umhausen nach Sautens

Wenn Corona und die damit verbundenen Reisebeschränkungen etwas Gutes hatten, dann dies: Die Tiroler konnten einmal wieder entdecken, wie wunderschön ihre eigene Heimat ist. Ein ganz besonderes Erlebnis bietet da zum Beispiel der Ötztaler Urweg. Die RUNDSCHAU ist für ihre Leser ein Teilstück davon gewandert.
17. August 2020 | von Jürgen Germann
Wasser in den verschiedensten Variationen (wie hier bei Hopfgarten) charakterisiert die elfte Etappe des Ötztaler Urwegs. RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Germann

Etappe elf dieses Fernwanderweges führt vom Umhausen nach Sautens – das sind 15 von 184 und sechs von 66 Stunden (wenn man nicht nur hetzt). Die 574 von rund 10000 Höhenmetern Aufstieg fallen da kaum ins Gewicht. Wer Einsteiger ist und nicht die komplette Strecke abwandern will (dafür braucht man mit An- und Abreise immerhin zwei Wochen) – für den ist diese Tour geradezu ideal als Auftakt. Ein wenig erinnert sie dabei an den Ohrwurm von den „Kreuzberger Nächten“: Erst fängt sie ganz langsam an – aber dann...

IN GLETSCHERN GEBOREN. Zu Beginn geht es nämlich erst einmal bergab – hinunter zur Ötztaler Ache. Tosend, ja tobend bahnt die sich dort ihren Weg. Und ihre milchige Farbe zeigt an: Sie kommt von ganz oben, transportiert das Wasser ihrer beiden Quellflüsse (der Gurgler und der Venter Ache) nach dem Zusammenfluss bei Zwieselstein über exakt die Marathondistanz von 42 Kilometern von Gletschern wie dem Schalfferner, dem Vernagtferner, Hintereisferner und dem Gurgler Ferner hinunter zum Inn. Oben, an ihrem „Geburtsort“, schleifen sie auch jede Menge Gestein ab und reißen kleine Partikel mit, der dem Wasser die für einen Gletscherfluss typische Färbung verleiht. Apropos Farbe: Auf den ersten Kilometern dieser Tour fallen einem am Ufer auch immer wieder die vielen Felsen mit rotem Überzug auf. Doch keine Sorge, hier hat kein Blutbad stattgefunden: Verantwortlich dafür ist die Veilchenalge, die sich mit roten Farbpigmenten vor der Sonne schützt und bei hoher Luftfeuchtigkeit besonders gut gedeiht.

URALTE BRÜCKE. Drunten geht es dann erst einmal rund eine Stunde ganz gemütlich dahin. Kurz hinter dem Weiler Leiersbach ist die überdachte Holzbrücke Richtung Östen quasi unübersehbar. Und es lohnt sich durchaus, da mal genauer hinzuschauen: Die ist nämlich schon fast 200 Jahre alt und steht unter Denkmalschutz. Just in dem Moment, in dem man sich auf einen gemütlichen Spaziergang eingestellt hat, wird man dann doch eher unverhofft gefordert: Bei Hopfgarten konnte man sich noch im munter dahinfließenden Hairlachbach die Füße kühlen und dann die idyllische Kapelle mit ihrem faszinierenden Holzornamenten an der Tür bewundern – aber dann versperrt einem eine mächtige Felswand den Weiterweg entlang der „Ez“: So wurde der Fluss 1259 im ersten Dokument, in dem er auftaucht, genannt, während er in Kaiser Maximilians Jagdbuch um 1500 als „Wasser genannt die Ach“ tituliert wird. Nun kann man also doch noch gehörig ins Schwitzen kommen, aber auf dem Anstieg hinauf zum Talblick wird einem auch so richtig bewusst, wie vielfältig das Element Wasser ist. Tosend, tobend in der Ache, eher plätschernd im Hairlachbach – und nun immer wieder stürzend bei den vielen Wasserfällen, die einen auf dem Weg zum Ziel begleiten.Der Forstweg wird ungefähr auf halber Höhe zum schmalen Pfad, an dem sich ablesen lässt, dass dieses Teilstück des Urwegs zwar wunderschön, aber zugleich nicht allzu sehr begangen ist. Nur ein kleines Stück abseits der Orte entlang der Ötztalstraße ist man für sich allein und kann die herrliche Ruhe genießen.

BEWEGTE GESCHICHTE. Nicht versäumen sollte man aber auch, immer wieder hinunter ins Tal zu schauen: Im Süden grüßen da die hohen Berge und unten inmitten der Wiesen bei Östen zieht das Kirchlein Maria Schnee die Blicke geradezu magisch an. Es hat übrigens eine bewegte Geschichte: Ganz in der Nähe stand ehedem inmitten von mer als 30 Gehöften eine gotische Maria Hilf Kirche. Muren hatten es vor rund 300 Jahren immer wieder auf die Siedlung abgesehen, demolierten das Gotteshaus, das immer wieder instandgesetzt wurde. 1777 freilich war nichts mehr zu machen: Der Blitz schlug ein, das folgende Feuer vernichtete Kirche und Bauernhöfe. 1791 gab dann erneut eine Mure Maria Hilf den Rest. Doch die Östener wollten nicht auf ihr spirituelles Zentrum verzichten. Auch dass die Napoleonischen Kriege in diesen Jahren in Europa wüteten, focht sie nicht an: Sie errichteten den Rokoko-Nachfolgebau an der heutigen Stelle, „als Tyrol vom Feinde der Franzosen umzinglet war“ – 1797 konnte man die Einweihung feiern. Der zurzeit wohl politisch (oder ökologisch) größte Zankapfel im Ötztal wird auf dieser Wanderung gar nicht berührt: Der potentielle Standort eines Wasserkraftwerks Tumpen-Habichen. Und das ist auch gut so, denn so braucht man sich nicht den Kopf über diese Streitfrage zerbrechen, sondern vermag gleich in die Idylle am Tumpen- (oder Habicher) Bach eintauchen.

OPERNSÄNGERS LIELINGSPLATZ. Wenn es auf das letzte Drittel der Tour geht, kann man sich an einer landschaftlichen Szenerie begeistern, die man in den Alpen eher nicht vermuten würde: Die vielen bemoosten Steine erinnern eher an das Elbstandsteingebirge. Und der wunderschöne Steig trägt einen für Tirol eher ungewöhnlichen Namen: Rudolf Schock-Weg. „Wer soll denn das sein?“, mögen sich die jungen Menschen von heute vermutlich fragen. Die frischgebackenen Pensionisten von heute dürften sich indes mit gemischten Gefühlen an ihn erinnern – und zwar ganz genau. Als es nämlich nur ein Fernsehprogramm gab, konnte man diesem Sänger (plus seiner Haupt-Partnerin Margit Schramm) fast nicht entrinnen – in fast jeder Samstagabend-Show war er zu Gast. Und dabei hätte man doch viel lieber Elvis oder die Beatles gehört. Die Eltern aber waren hellauf begeistert. So wie der Tenor, dem (zu Unrecht) der Vorwurf gemacht wurde, er drifte vom klassischen Fach viel zu sehr in seichte Gefilde ab, vom Ötztal. „Ich bin nur ein armer Wandergesell“, war einer seiner größten „Hits“ (aus dem Jahre 1963) und er saß gerne beim Seehäuslwirt am Piburger See und ließ es sich als Stammast gut gehen. Wenn man heute auf dieses Naturjuwel blickt, kann man das auch durchaus nachvollziehen. Kein Wunder, dass es 1929 zum Naturdenkmal und das Terrain ringsum 1983 zum Landschaftsschutzgebiet erklärt wurde. Allerdings war das Kleinod im Laufe der Jahrhunderte schon mehrmals massiv bedroht. 1860 wollte der Oetzer Johann Leitner, der den See vom Stift Stams gekauft hatte, zwecks Landgewinnung und Energieerzeugung den Wasserspiegel senken – was ebenso scheiterte wie später die Stromgewinnung für eine Kleinbahn im Ötztal oder gar der Arlbergbahn. Gerettet war er erst vor knapp 100 Jahren, als der damalige Besitzer, der Kinderarzt Meinhard Pfaundler von Hadermur, mit seinem Antrag auf Unterschutzstellung durchkam. Romantik umgibt einen auch auf dem letzten Abschnitt bis zum Tages-Ziel in Sautens: Es lohnt sich auf jeden Fall, sich die schönen alten Häuser im Weiler Piburg aus der Nähe anzusehen. Das Dörflein ist noch authentisch malerisch und kein für Touristen etablierter Kitsch. Übrigens: Man sollte schon früh losgehen. Damit man genügend Zeit hat, um ausgiebig zu schauen, zu staunen und zu genießen.

Feedback geben

Feedback abschicken >
Nach oben