Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Lieber kein Handkuss

1. Juni 2021 | von Meinhard Eiter
Lieber kein Handkuss
Liebe Freunde der zärtlichen Formen der Höflichkeit!

Unlängst diskutierte ich mit einer langjährigen Bekannten beim Kaffee über die Vorteile der Pandemie. Die sehr gebildete und lebenserfahrene Frau sagte mir etwas tief Berührendes: Das Schönste an den Corona-Maßnahmen sei diese Befreiung vom Zwang zur Nähe. Sarkastisch schmunzelnd fügte sie hinzu: Das vergönne ich dieser Bussi-Bussi-Gesellschaft. Wusch! Ich liebe diesen Humor. Und die Kunst, die wahren Themen des Lebens so auf den Punkt zu bringen. Meine platonische Freundin spricht mir aus der Seele. Auch meine Kopfhaut blickt auf ein entspanntes Jahr zurück. Verschont von diesen verkrampften Küssen, die eh niemand richtig beherrscht. Man soll ja nur Wange an Wange. Aber leider gelingt das den Wenigsten unfallfrei. Selten ganz ohne Speichelspuren. Oder gar Lippenstiftabdrücken. Ich selbst kann es ja auch nicht. Gesichtsgymnastik ist nicht mein Ding. Genau so wenig wie Mundwasser. Und so habe ich als Raucher eine echte Steigerung der Lebensqualität. Ich atme mit Abstand am besten. Weil dieser Zwang zum Kuss behördlich verordnet wegfällt. Und mit Mundschutz ist das ganze ohnehin völlig unerotisch. Während sich meine Lippen freuen, leidet meine rechte Hand doch ein wenig unter Entzugserscheinungen. Ich persönlich war immer ein Freund des Handschlags. Freilich nicht dieser laschen, schmierigen und feuchten Pfoten. Aber so eine kräftige, starke Pranke, gepaart mit einem tiefen Blick in die Augen des Gegenübers. Das hatte schon was. Weniger sexy fand ich stets diese Wiener Mischung, den legendären Handkuss. Den werde ich wohl nie mehr wieder in mein Repertoire der Begrüßungsrituale aufnehmen. Weil ich mir die Fähigkeiten meiner Zunge ohnehin lieber für meine verbalen Ergüsse schone.

Meinhard Eiter

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