Von Friederike Hirsch
Unter freiem Himmel begrüßte Edith Hessenberger, Leiterin der Ötztaler Museen und Mitherausgeberin, die zahlreichen Gäste vor dem Heimatmuseum in Längenfeld. „Die Geschichte der Jenischen ist eine scheinbar spurlose, geprägt von wirtschaftlicher Not, Krieg und Vertreibung. Es ist eine Geschichte der Anderen, der Fremden, im besten Fall gespickt mit romantischen Erinnerungen an Pfannenflicker und Scherenschleifer, an Händlerinnen und Bettlerinnen, die ins Dorf kamen“, so Hessenberger. Die Existenz der Jenischen ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten, denn es ist eine Geschichte, die selten erzählt wird. Es ist eine Geschichte ohne Aufzeichnungen, eine unsichtbare – so wie die Jenischen selbst fast unsichtbar bleiben. Edith Hessenberger: „Das ist einer der Gründe, warum die Ötztaler Museen, die Initiative Minderheiten und das Vintschger Museum diesen Aspekt in ihren Fokus genommen haben.“ Denn anhand der Geschichte der Jenischen lässt sich vieles erzählen, das uns auch heute bewegt.
JENISCHE IM OBERLAND. In seinem Impulsvortrag zur Eröffnung machte Roman Spiss am Beispiel konkreter Familiengeschichte die historische Realität erfahrbar. Diese Realität war geprägt von Verachtung und stereotypen Vorurteilen. Die Lebensweise der Fahrenden brachte regelmäßige Konflikte mit dem Gesetz und den Sesshaften. Vor allem die unterschiedlichen Wertehaltungen und Lebensentwürfe führten zu einer pauschalisierten Verunglimpfung und Verachtung. Der Eigentumsbegriff der Jenischen deckte sich so gar nicht mit dem der Bauern. In der jenischen Denkweise ist alles, was frei wächst, Allgemeingut. „Das hat der Herrgott wachsen lassen, nicht der Bauer. Also ist’s für alle,“ so das Credo der Jenischen. Sie sahen das Pflücken von Feldfrüchten, aber auch das Einfangen von Kleintieren wie Hühner nicht als Diebstahl an. Immer strengere Maßnahmen wurden schließlich vom Tiroler Landtag getroffen. Erschwerung des Wanderns, Hausierpatente und das Verbot der Mitnahme von Kindern sind nur einige. Das Begünstigen der Auswanderung zählte noch zu den harmloseren Maßnahmen. So verwundert es nicht, dass sich unter den Auswanderern des Jahres 1868 nach Pozuzo zahlreiche Jenische aus Mieming, Obsteig, Schönwies oder Telfs befanden. „Großzügig“ übernahmen die Heimatorte der Jenischen die Reisekosten.
INITIATIVE MINDERHEITEN TIROL. Geschäftsführer Michael Haupt verwies bei seiner Begrüßung auf das 30-jährige Jubiläum der Initiative Minderheiten in Tirol und betonte die Bedeutung des Lebens und Schaffens von Romed Mungenast. „In der jenischen Geschichte in Tirol nimmt Romed Mungenast als Person einerseits und als Pionier in der Dokumentation jenischer Geschichte einen wichtigen Platz ein. Diesen Platz haben wir ihm auch im vorliegenden Buch gegeben.“ Michael Haupt, Mitherausgeber des Buches, gab in seiner Rede einen Überblick über die Publikation. „Wir haben uns alle nach besten Wissen und Gewissen bemüht, den Themenkreis so sensibel wie möglich zu beleuchten. Es ist mir bewusst, dass wir wahrscheinlich in das eine oder andere Fettnäpfchen getreten sind.“ Herzlich lud Haupt zum fünften Jenischen Kulturtag ein, der dieses Mal in Sautens beim Veranstaltungszentrum Kalkbrennanlage stattfinden wird. Am 17. Juli gibt es Gelegenheit, unter anderem mit Siegliede Schauer-Glatz ins Gespräch zu kommen. Sie schreibt Mundartgedichte in Jenisch und Ötztalerisch und ist Trägerin der Verdienstmedaille des Lands Tirol.
Dokumente und Fotografien, Tonaufnahmen und Utensilien machen die Geschichte der Jenischen in Tirol sichtbar. Regen zum Nachdenken, Diskutieren und Aufbrechen überkommener Vorstellungen an. Die Ausstellung ist bis Oktober zu sehen. RS-Foto: Hirsch