Von Manuel Matt
Wie mag sie 1948 wohl ausgesehen haben, gedacht haben, die Welt in Stams, im Geburtsjahr von Annemarie Regensburger? Wahrscheinlich ganz anders als heute, gesprochen wurde jedenfalls nicht viel. Zumindest nicht über manche Dinge, erzählt Annemarie Regensburger. Gekennzeichnet vom Schweigen war dementsprechend ihre Kindheit: Schweigen über den frühen Tod der fröhlichen Mutter, Schweigen über die psychische Krankheit des Vaters, Schweigen über die Angst zuhause und die Trennung von den Geschwistern, Schweigen über alle Gefühlsregungen und alle Zweifel eines jungen Mädchens in einer Gesellschaft, die mehr noch als heute patriarchalisch geprägt ist.
GIBT’S IHN WIRKLICH, DEN NIKOLAUS? So recht abfinden wollte sich Regensburger aber schon damals nicht. „Rebellisch war ich damals schon, in der Schulzeit. Ich hab’ die Dinge früh schon gern hinterfragt“, erzählt sie heute. Später soll es einmal speziell Gewalt in der Kindererziehung sein, gegen die sie ihre Feder richtet – zuvor, als kleines Mädchen, ist es aber der Nikolaus, dessen unsterbliche Existenz angezweifelt wird, ob seiner Geburt im vierten Jahrhundert nach Christus, auf dem Gebiet der heutigen Türkei. „Der Pfarrer hat dann gleich einen Brief zu mir nachhause geschrieben. Eine frühe Form der Zensur“, schmunzelt Regensburger: „Die Aufmüpfigkeit war aber meine Rettung, der Ungehorsam brachte Freiheit vor dem ständigen Schweigen“ – und ja, was wäre denn die Erlösung denn wert, wenn nicht einen Zweier in der Betragensnote?
AUFZEIGEN, ABER NICHT PREDIGEN. „Irgendwann aber war das Hafele voll, ich brauchte ein Ventil“, erzählt die gelernte Köchin, die eigentlich Lehrerin werden wollte, dann aber jedenfalls zur Feder griff – mit etwa 30 Jahren, trotz oder gerade wegen einem mit viel Schmerz verbundenen, chronischen Gesundheitsleiden. „Ich hab’ damals nicht viel darüber nachgedacht“, erinnert sich Regensburger, deren Stil sich rasch entwickelte: Kurz, prägnant – und zumeist im Dialekt. „Weil’s die Sprache meines Herzens ist. Die Sprache, die ich beherrsche“, erklärt sie. Es ist aber nicht die heile Welt, die in den Texten lebt, sondern eben eine Welt mit ihren tatsächlichen Widrigkeiten, überholten Denkmustern und Ungerechtigkeiten. „Lyrik darf aber niemals predigen, nur aufzeigen“, zitiert Regensburger einen Südtiroler Literaturwissenschaftler, 1991 zu Gast bei einer Tagung von Mundartschaffenden.
GUTES GEFÜHL. Jahrzehnte später ist Regensburger nicht nur als Schriftstellerin angekommen, sondern auch als Vernetzerin und Förderin aufstrebender Talente – mit ein Grund für die Verleihung des Otto-Grünmandl-Preises durch das Land Tirol, wie Kulturlandesrätin Beate Palfrader bei der Verleihung durchblicken ließ. Wie aber fühlt es sich an, für das Mundaufmachen geehrt zu werden, nach der langen Zeit des Schweigens? „Sehr, sehr gut“, lacht Regensburger. Allzu ruhig lässt sie es dennoch nicht angehen: Seit den Tagen der Corona-Zwangspause entsteht beinahe täglich, aber mindestens einmal pro Woche neue Poesie und auch ein Kinderbuch mit Imst-Bezug ist in Arbeit. Dabei bleibt sie offen für neue Eindrücke und Einfälle. „Man lernt ja nie aus. Insgesamt bin ich aber zufrieden, gelassen“, verrät die Schriftstellerin: „Weil die letzten zehn Jahre das Schönste waren!“
Ebenso ausgezeichnet mit dem Otto-Grünmandl-Preis: Der Zeichner und Schriftsteller Hubert Flattinger (r.), der seine Erfahrungen im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur unter anderem am Institut für Sozialpädagogik in Stams teilt. Foto: Land Tirol/Schwarz