In eine Anstalt, in die Greise abgeschoben werden, verlegt der gebürtige Tiroler Martin Plattner, der dafür 2018 das Thomas-Bernhard- Stipendium erhielt, seine Reflexion über die Mittelmeerroute. Das gegenwartskritische Stück setzt sich mit dem Sterben im Mittelmeer und der menschlichen Verrohung auseinander. Martin Plattner, geboren 1975 in Zams, aufgewachsen in Wenns im Pitztal, lebt als freier Schriftsteller in Wien und Innsbruck.
INHALT. Andrea Reich flüchtet als Insassin eines Pflegeheims, entmenschlicht, lediglich Zimmer XXIII genannt, über einen Gletscher und hört Stimmen. Die Stimmen jener tausenden Menschen, die schockgefroren in der Tiefe des Eises ihr Leben lassen mussten, bei ihrer Flucht über das Mittelmeer. Dicht auf den Fersen ist ihr die kaltschnäuzige Vollzeitpflegerin (Leni Rauch), deren Herz ebenso erkaltet ist, wie das Mittelmeer zugefroren. Die alte Frau soll zurückkommen in und als das Zimmer XXIII. Dann taucht alsbald die Dunkelziffer gespielt von Valentina Eberlein und Martin Lechleitner auf. Doch niemand will der Dunkelziffer zuhören, keiner will den Stimmen der tausenden Toten Gehör schenken. Mittendrin der Teilzeitzivildiener (Florian Jonak), hin und her gerissen zwischen Mitgefühl und gesellschaftlicher Unbarmherzigkeit. Inmitten dieses Szenariums bringt das Ensemble noch die Bruchlinie einer erstarrten Mutter-Sohn-Beziehung auf die Bühne.
PREMIERE. Vor voller Stadtbühne zeigt ein in Hochform spielendes Ensemble, dass weniger mehr sein kann. Ohne große Gesten und mit perfekt auf den Text abgestimmter Mimik zieht es das Publikum förmlich mit in den eisigen Abgrund. 60 Minuten reichten Regisseur Michael Rudigier, um die volle Aufmerksamkeit des Publikums zu erreichen und dem textlastigen, sprachverliebten Stück Intensität zu verleihen. Gepaart mit einem hervorragend reduzierten Bühnenbild, erschaffen von Martin Flür, taucht der Zuschauer ein in die eiskalte, gefrorene Welt nach dieser Eiszeit, so in 6000 Jahren. Das Theaterforum „Humiste“ setzt das Stück entschlossen und kompromisslos um, lässt das Publikum frösteln. Einschließlich einer Matinee ist das Stück „ferner“ noch neun Mal zu sehen.
Ein in Hochform spielendes Ensemble (Valentina Eberlein, Andrea Reich, Florian Jonak, Leni Rauch und Martin Lechleitner (v.l.), nimmt das Publikum förmlich mit in den eisigen Abgrund der Herzlosigkeit und Entmenschlichung. RS-Foto: Hirsch
Das Bühnenbild von Martin Flür zeigt in beispielhaft reduzierter Weise die gefrorene Welt einer Gletscherlandschaft als Metapher für die menschliche Eiszeit. RS-Foto: Hirsch