Von Manuel Matt
„Wie ist’s bei dir?“: Ja, eigentlich ganz so wie bei Nitzsche und seinem Abgrund. Denn wer in die Malerin Dora Czell hineinschaut, dem schaut sie auch selbst mit wachen, blaugrauen Augen tief ins Innerste. Wohl auch deshalb findet sich in den Regalen der Czell’schen Bibliothek kein einziger Roman, nur Sachbücher, in erster Linie aber viel Poesie. Das lasse beim Lesen ganz von allein Bilder vor ihren Augen entstehen, sagt sie, deren Worte immer wieder wohlgewählt scheinen, zwar nicht im Hexameter oder in Stabreimform daherkommen mögen, aber doch stets so, dass man gerne zuhört. Wie etwa, wenn sie von ihrer Kindheit erzählt. Von der Mama, die damals als eine der ersten Frauen Bodenkultur studiert hat. Oder von ihrem Papa, einem tiefgläubigen, aus Siebenbürgen stammenden Historiker. Dann ist sie plötzlich wieder still, will wissen, wie es um das Gegenüber steht. „Weil die besten Romane, das sind die Lebensgeschichten meiner Mitmenschen“, fordert die 73-Jährige schmunzelnd.
SCHERBEN. Ihr persönlicher Schundroman, wie sie unumwunden ihr eigenes Leben nennt, spiele derweil zu weiten Teilen hier in Imst. Hier fand 1968 ihre erste Einzelausstellung statt, hier wurde ihr Sohn geboren, hier träumte sie vom Familienleben im Eigenheim – und hier zerbarst der Lebenstraum, scheiterte die Ehe mit dem Maler Manfred Wagner. Noch immer schwingt in der Stimme ein Hauch von Trauer mit, lässt Zerknirschtheit erahnen, aber auch eine gewisse Abgeklärtheit, Akzeptanz, Friede mit sich selbst und der Vergangenheit. „Mein Leben ist nicht so verlaufen, wie ich es mir vorgestellt habe. Vielleicht hätten wir alle ein ideales Leben verdient. Doch ist das wohl nur in den allerseltensten Fällen zu erreichen“, meint sie leise, die nie wieder geheiratet hat: „Weil mir kein Mann jemals wieder so gefallen hat, wie mir der Manfred gefallen hat.“
VOM FORTGEHEN UND HEIMKOMMEN. Dem Selbstmitleid wollte sich Czell aber nicht hingeben. Sie hat anderswo neu angefangen. Das habe ihre Mutter auch immer gemacht. Etwa, als sie sich vom Vater scheiden ließ. „Beide waren gebildete Leute, waren sich ebenbürtig. Der Papa hat sich damit immer schwer getan“, erzählt die Malerin. So sei sie damals von Scheffau bei Kufstein auch nach Imst gekommen, das sie nun schweren Herzens wieder verließ. „Es war aber die richtige Entscheidung“, sagt Czell, die zumindest einen Teil ihres einstigen Traums mit einem eigenen Haus in Oetz verwirklichen konnte. Richtig, weil sie dort zwar glücklich sei, heute aber immer wieder gerne nach Imst komme. Es sei ihre erste, richtige Heimat geworden, als ihre Mutter einst der Arbeit wegen hierher kam. Weil das hiesige Gymnasium erst Mitte der 70er Jahre erbaut wurde, ging sie nach Landeck und maturierte dort unter dem akademischen Maler Herbert Danler. Sie folgte einem ganz ähnlichen Weg, durchlief während der Zeit von 68er-Bewegung und Mondlandung die Akademie der Bildenden Künste Wien, bestand 1971 die Lehramtsprüfung und erlangte ein Jahr später das Diplom für Malerei. Von Anton Lehmden lernte sie die Malweise der alten Meister, die sie in etwa so erklärt: Zuerst Denkarbeit, dann Entwurf, Reflexion und erst ganz zum Schluss das Bild. Noch heute arbeite sie so, mittlerweile unbewusst, könne gar nicht anders, erzählt Czell. Die Inspiration zu ihren Gemälden, die sich so oft dem Weiblichen widmen, entspringe dem Kontakt zu Mensch und Natur, passiere aber dabei von selbst. „Das fühlt sich teilweise, nun ja, wie göttliche Eingebung an. Ich führe nur aus. Mit den Techniken, die ich gelernt habe“, beschreibt sie. So entstehen in einem Prozess der Parallelität zwei, drei Bilder gleichzeitig, die immer wieder lange unberührt stehen bleiben. „Schon alleine der Trocknung wegen“, erklärt die Malerin, die am liebsten mit Öl malt.
LIEBE UND NATUR. Das dauere zumeist Monate. Manchmal sogar, etwa im Fall von „Metamorphose“, ein ganzes Jahr. Zuerst hätte das Gemälde eine gekreuzigte Frau zeigen sollen. Doch Czell entschied sich während des Entstehens um, nämlich zugunsten der Abbildung einer Tänzerin. „Ich sehe Kunst als Aufforderung an den Künstler, dem Zeitgeist und dem Menschen etwas anzubieten“, formuliert sie, „und weil ich glaube, dass jeder Mensch irgendwie, auf irgendeine Weise leidet, soll mein Angebot ein Angebot der Liebe und der Natur sein. Als Hilfestellung für den Einzelnen.“ Deshalb die Verwandlung der Tänzerin, die als Aufforderung zu verstehen ist: „Leide nicht, Mensch – tanzen sollst du!“, donnert Czell, „und auch ich selbst will dort hin, tanzend leben. Aber mir scheinen meine Bilder in dieser Hinsicht noch etwas voraus zu sein.“ Ihr jüngstes Bild greift das altbekannte Motiv „Haus im Süden“ erneut auf, aber mit neuen Nuancen: Weinreben versperren den Eingang, zwei Vögel fliegen davon, hin zu Freiheit und fremden Gefilden. Sonst gebe sie es nicht her, für den guten Zweck aber schon – und zwar in Form einer Versteigerung durch die RUNDSCHAU, wobei die erzielte Summe zur Gänze dem Kiwanisclub Imst-Landeck und somit notleidenden Familien in der Region zugute kommt. Der Ausrufpreis beträgt 500 Euro, Gebote werden bis 18. Dezember, 15 Uhr per E-Mail an auktion@rundschau.at entgegengenommen. Auf www.rundschau.at wird der Stand laufend aktualisiert. Viel hätte die Künstlerin derweil wohl noch zu erzählen – und würde noch viel mehr gerne wissen. Auch von Ihnen, beim persönlichen Gespräch: Nach Lockerung der Corona-Maßnahmen wieder möglich jeden Freitag von 15 bis 17 Uhr in ihrer Kunstkammer in der Imster Schustergasse.
Zu ersteigern: Das jüngste Gemälde von Dora Czell, 40x40cm, geschaffen 2020 RS-Repro: Matt