Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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„Old Lügenbold“ im Mieminger Gemeindesaal

Szenisch heitere Lesung mit Musik und Diaprojektion

Es war ein Leseabend in hochkarätiger Besetzung. Uli Brée, Edi Jäger und Markus Linder machten sich über Leben und Werk des Bestsellerautors und Lügenboldes von Weltruhm Karl May her. Da blieb vor Lachen kein Auge trocken und es waren sehr viele Augenpaare, die trotz „Sauwetters“ den Saal dieser von Maria Thurnwalder gemanagten Veranstaltung der Kulturorte Mieminger Plateau füllten.
14. November 2023 | von Peter Bundschuh
„Old Lügenbold“ im Mieminger Gemeindesaal<br />
Ist das jetzt der Uli Brée oder ist Karl May von den Toten auferstanden? Diese Frage stellte sich das Publikum im Mieminger Gemeindesaal. RS-Foto: Bundschuh
Von Peter Bundschuh

„Er durchstreifte den Orient, wurde Winnetous Blutsbruder, rang mit Grizzlybären – und behauptete, all die Abenteuer selbst erlebt zu haben. Was sie noch nie über den Fantasten Karl May wussten oder je gehört haben, mit den größten Winnetou-Hits der letzten zwei Jahrhunderte.“ Das also versprach die Einladung recht vollmundig und siehe da, der Abend erfüllte sämtliche Erwartungen. Dass es ein „Kracher“ werden würde war schon zu erahnen als Winnetou, Old Shatterhand und Karl May persönlich in den Saal einritten, die Bühne mühevoll erklommen und sich das Trio anschickte, den Münchhausen der Abenteuerliteratur nach Strich und Faden zu zerlegen. Markus Linder legte zum Auftakt mit gereimter Poesie los: „Den Westen malte er banal, den Osten bestenfalls trivial. Wovon er schrieb das sah er nie, alles bloße Fantasie. Zum Lachen ging er in den Keller, Deutschlands großer Volksschriftsteller. … Der Autor nutzt Einbildungskraft und als Ergänzung Wissenschaft, und liegen Fakten auch mal schief, dann werden sie zum Korrektiv. … Und dieser Geist bringt Poesie, in Steppe selbst und in Prärie. Denn die Karl May´sche Ars Vivendi, passt auf Rothaut und Effendi. Es passt auch noch auf andre Leute, speziell gewisse andre Häute/heute.“

VOM "KNASTBRUDER" ZUM BESTSELLERAUTOR. Nachdem Karl May eine schwierige Kindheit und unstete Jugendjahre hinter sich gebracht hatte, wurde er 1864 wegen Diebstählen und Betrügereien zu vier Jahren Haft verurteilt. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis schrieb er sein erstes Werk „Die Rose von Ernstthal“. Sein Lebenslauf als Schriftsteller hatte begonnen. 1875 veröffentlichte der spätere Erfolgsautor „Old Firehand“, das erste Buch, das von Winnetou handelte. Es folgte der „Orientzyklus“. Ab 1880 konnte May von seiner schriftstellerischen Tätigkeit leben. Seine Realitätsflucht ließ die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen. Er behauptete 1200 Sprachen zu sprechen, gab sich als Old Shatterhand und auch als Nachfolger Winnetous aus. Es war für ihn nicht nur ein geldeinbringender Beruf, sondern auch eine Flucht vor der Wirklichkeit. Der Schriftsteller verstarb im Jahr 1912.

KARRIERE UNTER ZWANGSVORSTELLUNGEN. Karl May litt an einer Form des Münchhausensyndroms, in diesem Fall einem Zwang zu lügen und in Rollen zu schlüpfen, aus denen es keinen Ausstieg mehr gab. Er hochstapelte sich durch sein Leben unter anderem auch als Kara Ben Nemsi. Dass Mays literarisches Werk gerade aus der Durchmischung von Sein und Schein Kraft im Ausdruck, Lebendigkeit und eine Art Authentizität erhielt, bestreitet der Verfasser an dieser Stelle nicht. Erst im Alter von 57 Jahren bereiste er den Orient, den Wilden Westen hatte er nie gesehen. Im Rahmen dieser Reise schien ihn die Wirklichkeit zumindest teilweise eingeholt zu haben, worauf sich sein schriftstellerisches Schaffen merklich veränderte. Die verwinkelten Lebenswege des bekanntesten deutschen „Reiseschriftstellers“ zeigten sich wie geschaffen für die überaus amüsante Interpretation der drei kabarettistischen Multitalente.

SEINE FIGUREN PRÄGTEN DIE KINDHEIT VON GENERATIONEN MIT. Nun war der „größte Abenteurer aller Zeiten“ schon eine schillernde Figur und ein recht schräger Vogel, ein Mensch der zwischen erdachten und seiner Lebensrealität hin und her schlitterte und lieber in starken Figuren lebte, als sich mit eigenen Schwächen auseinanderzusetzen. Also sind Winnetou und nur Bauteile des Lügengebäudes eines Hochstaplers? Sagen wir so, die zahlreichen Bücher des Erfolgsschriftstellers sind die Wahrheiten seiner Phantasie. Jedenfalls haben die drei Vortragenden auf höchst bemerkenswerte Weise etwas aufgezeigt. Nämlich was man aus der Geschichte des Karl May, die eh jeder in groben Zügen kennt, alles herausholen kann, das nötige Talent zur szenischen Darstellung allerdings vorausgesetzt. Ein gelungener Abend, der seinen krönenden Abschluss mit dem pa-rodierten Lied „Winnetou“, ursprünglich gesungen von Pierre Brice, fand.

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