Bis hinauf unter den „Muttekopf“ und unter die „Plattein“ ziehen sich die Bergwiesen, und inmitten derer liegt versteckt in einer Baumgruppe die weitum bekannte „Latschenhütte“. Erbaut wurde sie 1932 von Albert und Rudolf Nothdurfter als Latschenbrennerei, die sie zusammen mit ihrer Schwester Leni betrieben. 1955 wurde die Latschenbrennerei aufgelassen und das Gebäude zu einer bewirtschafteten Schutzhütte ausgebaut. Einen Wendepunkt erfuhr die auf 1635 Meter Seehöhe gelegene Hütte im Jahre 1971, als Waltraud – nachdem sie Peter, den Sohn von Leni, geheiratet und ihre Arbeit beim „Vinschger-Böck“ aufgegeben hatte – als kesse 27-jährige auf der „Latschenhütte“ anfing zu arbeiten. „Es war der Beginn eines wunderbaren Arbeitslebens als Hüttenwirtin“, wie sie sagt. Zu der sie aber erst richtig wurde, nachdem sie die Hütte 1982 von Peters Onkel Albert und ihrer Schwiegermutter Leni übernommen hatte. Zur selbstständigen Hüttenwirtin geworden, wurde umgehend begonnen, in die Hüttenwirtschaft zu investieren. „Mit 2,5 Millionen Schilling haben Peter und ich das Gebäude vergrößert, neue Fenster eingebaut und die Kanalisation erneuert,“ erzählt Waltraud, „was unzählige Materialtransporte mit einem alten Ami-Jeep erforderlich machte.“
FREUDIGE UND MULMIGE EREIGNISSE. Ein Leben ohne die „Latschenhütte“ kann sich Waltraud nicht vorstellen, resümiert sie, nie sei ihr die Arbeit dort oben zu viel geworden. Es ist eine ganz andere Welt da heroben, ruhig und abgeschieden von der Hektik in der Stadt, und doch nicht langweilig, wenn ihre liebgewonnenen Gäste kommen, erzählt Waltraud und erinnert auch an mulmige Momente, wenn Muren- und Lawinenabgänge drohen. So wie etwa 1988, als eine Staublawine vom „Muttekopf“ herunter über die Hütte hinwegfegte oder 1999, als eine enorme Lawine die Hütte unter sich begrub. Gottlob ist Waltraud, die mit ihrer Schwiegermutter Leni allein in der Hütte war, nichts passiert. In weiser Voraussicht ist das Gebäude an einem Felsen angebaut, der es vor solchen Katastrophen schützt. Das letzte Lawinenereignis datiert auf den 26. Februar 2012, als eine Lawine von der „Plattein“ bis auf fünf Meter bis zur „Latschenhütte“ abging. Aus Dank, dieses dramatische Ereignis gut überstanden zu haben, zündete Waltraud zusammen mit ihrem aus Sri Lanka stammenden Mitarbeiter Fernando auf dem Lawinenkegel eine Kerze an.
DER AUFSCHWUNG. Auch wenn Albert Nothdurfter mit der Umwandlung der „Latschenhütte“ von einer Latschenbrennerei zu einem Ausflugsziel ein Tourismus-
pionier war, den heutigen, über Imsts Grenzen hinausreichenden ausgezeichneten Ruf, erlangte das Berggasthaus ohne Wenn und Aber mit Waltraud Nothdurfter. Mit ihr entstand eines der beliebtesten Ausflugziele, sowohl für Einheimische als auch für Gäste aus anderen Ländern. Sommer wie Winter frequentieren diese in unzähliger Zahl die erholsame Bergidylle im Wandergebiet Hoch-Imst. Legendär sind die immer wieder stattfindenden geselligen Abende bei Musik und die weitum bekannten lukullischen Köstlichkeiten – die vorzugsweise auf Hütten serviert werden – wie zum Beispiel Tiroler Gröstl, schmackhafte Kasspatzln oder Hüttenschmarren – verpönt hingegen sind Pommes Frites, „die passen nicht auf eine Hütte“, wie Waltraud grinsend festhält.
STETS TREUE MITARBEITER. Die „Latschenhütte“ ist aber nicht nur bei den Gästen äußerst beliebt, auch Waltrauds Mitarbeiter schätzen das Berggasthaus als Arbeitsstätte sehr. Nicht umsonst bleiben sie jahrelang, ja sogar jahrzehntelang, ihrer Chefin treu, die sie aber nicht als solche sehen, sondern eher als gute Freundin. Dahingehend möchte Waltraud festgehalten wissen, dass es auch mit ein Grund ist, die „Latschenhütte“ auch in Zukunft nicht aufgeben zu wollen, um ihre ihr treu zur Seite stehenden Helfer nicht arbeitslos zu machen. Waltraud zeigt sich auch traditionsbewusst, und das nicht nur, was ihr „Lebenswerk Latschenhütte“ betrifft. Sie war zwölf Jahre Marketenderin bei der „Imschter Musig“ und ist seit 65 Jahren Mitglied der „Imster Heimatbühne“. Ihr schauspielerisches Talent kommt aber nicht nur dort zum Tragen, stets verwendet sie es auch, um ihre Gäste zu unterhalten. Das wird auch bei ihrer Geburtstagsfeier so sein, wenn sie im Kreise ihrer unzähligen Freunde ihren Achtziger feiern wird – zu dem sich auch die RUNDSCHAU mit den allerbesten Glück- und Segenswünschen anschließen möchte.
... und auf dem gleichen, aber veränderten Plätzchen über 50 Jahre später: Waltraud als rüstige und junggebliebene Achtzigerin. Fotos: Archiv Krismer