Draußen fielen sanft die Schneeflocken vom Himmel, während Josef Hirzinger im Pflegezentrum Gurgl-
tal sitzt, wo er sich, wie er selbst sagt, sehr wohlfühlt. Seine Wurzeln aber liegen im Brixental. „Es war keine leichte Zeit“, erzählt er nachdenklich über seine Kindheit zwischen den beiden Weltkriegen. Er erinnert sich noch an die hohe Arbeitslosigkeit und die Kriegsversehrten, die das Bild dieser Jahre prägten. Dabei hatte Josef das Glück, dass sein Vater bei der Bahn arbeitete, was ein verlässliches Einkommen sicherte. Wie es den „Ausgesteuerten“ (so wurden in der Ersten Republik Arbeitslose genannt, deren Unterstützung durch die Arbeitslosenversicherung ausgelaufen war) erging, weiß er nicht mehr genau. Dafür kann sich der heute 100-Jährige noch gut an die Exerzierübungen in der Schule erinnern: Mit einem Stock in der Hand stand ihr Lehrer, ein Kriegsversehrter aus dem Ersten Weltkrieg, ein feiner Mann, vor ihnen und gab die Kommandos. Auch von seiner Ausbildung als Schlosser erzählt er: Die Einnahmen waren natürlich nicht so, dass er von seinem Chef großartig bezahlt werden konnte. In lebhafter Erinnerung sind Josef Hirzinger seine ersten Tomaten geblieben, die er in Kitzbühel von einem Händler als Dank für seine Hilfe geschenkt bekam – eine Frucht, die ihm bis dahin fremd war. Zuerst habe er gedacht: „Sind das schöne Äpfel“, was sich jedoch beim ersten Bissen als Fehleinschätzung herausstellte.
VOM KRIEG GEZEICHNET. Josef Hirzingers Jugend und seine Zeit als junger Erwachsener standen unter dem Schatten der Machtergreifung der Nationalsozialisten und den Wirren des Zweiten Weltkrieges. Ein Bild, das sich in sein Gedächtnis eingeprägt hat, war der Stechschritt der einmarschierenden deutschen Truppen. Mit etwa 18 Jahren wurde Josef schließlich zum Kriegsdienst eingezogen. In Russland war er unter widrigsten Bedingungen mit dem Bau von Stellungen und Knüppeldämmen beschäftigt. An die Strapazen und Entbehrungen dieser Zeit kann er sich noch gut erinnern, die Bedingungen beschreibt Hirzinger als „furchtbar“. 1944 geriet Josef Hirzinger schließlich in Frankreich in Kriegsgefangenschaft: Vor ihnen waren die Amerikaner bereits zu sehen, als diese plötzlich auch von hinten auftauchten. Unter freiem Himmel mussten sie ausharren. „Es war unheimlich, was die Amerikaner für eine Feuerkraft hatten“, erzählt der 100-Jährige. Unvergessen sind für ihn die kleinen Portionen Ham and Eggs, die er von den Amerikanern bekam. Eines Tages kamen Soldaten auf ihn zu und forderten ihn auf, mitzukommen. Schließlich kam er in ein Feldlazarett, wo er Küchendienst leisten musste. „Da ist es mir nicht schlecht gegangen“, blickt er zurück. Das änderte sich jedoch, als die US-Soldaten weiterzogen und Josef in ein Lager kam, in dem die Bedingungen alles andere als angenehm waren, sie mussten zum Beispiel auf dem Erdboden schlafen.
DER BEGINN EINES NEUEN KAPITELS. Kapitels. Heimgekehrt ist er 1946. Die Reise durch Deutschland hinterließ bei ihm bleibende Eindrücke: „Wer soll das alles wieder aufbauen?“, dachte er sich angesichts der weitreichenden Zerstörungen. In Innsbruck, genauer gesagt in der Reichenau, wurde er schließlich aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und trat von dort aus die Heimreise nach Brixen im Thale an. Zurück in der Heimat musste sein Vater für ihn sorgen. Die Suche nach einer Arbeit gestaltete sich nicht einfach, es gab nur wenige Möglichkeiten. Schließlich begann Josef Hirzinger eine Ausbildung als Zimmerer. Später zog es ihn zu den Jenbacher Werken. „Das war interessant“, berichtete er über die Arbeit dort. Über einen Bekannten, den er dort kennenlernt hatte, kam er schließlich zur Tiwag. Als sich Josef beim Achenseekraftwerk meldete, wurde er dem Störtrupp zugeteilt. Die Arbeit führte ihn schließlich nach Imst, wo er dann auch Werkmeister wurde. „Es war ganz nett mit den Leuten dort“, erinnert er sich zurück. Vom Oberland wusste er vorher nicht viel. Als er dann nach Jahren wieder ins Brixental kam und alte Bekannte traf, hieß es: „Wo gehst du denn um?“ Und wenn er dann mit Imst antwortete, wunderten sich die Leute: „Wie kommst du denn dort hin?“ Hätte er mit Moskau geantwortet, hätten sie nicht mehr gesagt, erzählt Hirzinger schmunzelnd. Und weil immer von Arbeitszeitverkürzung die Rede ist: Hirzinger erinnert sich noch gut daran, wie früher auch samstags gearbeitet wurde und sich das dann änderte. „Da hättest du mal hören sollen, wie die Alten geschimpft haben“, lacht er.
BEGEISTERTER BERGSTEIGER. Neben seiner Arbeit zog es Josef Hirzinger immer wieder in die Natur, wo er seine Leidenschaft für das Bergsteigen auslebte. Besonders beeindruckende Erlebnisse hatte er unter anderem am Campanile Basso (Guglia di Brenta) und am Campanile di Val Montanaia. Auf seinen Abenteuern hat er auch manch brenzlige Situation erlebt. Ein besonderer Höhepunkt war für Josef Hirzinger aber der Ätna. „Eine meiner schönsten Skitouren“, erinnert er sich noch heute an dieses unvergessliche Erlebnis.