Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
Artikel teilen
Artikel teilen >

„Keine Willkür, sondern Notwehr“

25. Juni 2019 | von Nina Zacke
15 Kilometer und 1000 Höhenmeter: Hunderte von Radlern strampelten am Sonntag auf das Hahntennjoch. Die Stimmung war bei allen prächtig. RS-Fotos: Gerrmann
Heftige Diskussionen bei der Demo gegen den Motorradlärm im Lechtal: „Bluatschink“ Toni Knittel (2.v.li.) mit dem Lechtaler TVB-Obmann Marc Baldauf (re.).
Fritz Gurgiser vom Transitforum Austria-Tirol.
Maria Scheiber von „Xund's Lechtl“.
Auch auf der Imster Seite des Hahntennjochs genossen lärmgeplagte Anrainer die Ruhe. RS-Foto: Meze
Galerie Bürgerversammlung Hahntennjoch. RS-Fotos: Gerrmann

„Bürgerversammlung“ an der Hahntennjochstraße gegen den Motorradlärm im Lechtal fand großen Anklang


„Wir haben im Lechtal kein Lärmproblem“ – also sprach Marc Baldauf, seines Zeichens Obmann von Lechtaler Tourismus, zu Toni Knittel, dem Bluatschink. Die übergroße Mehrzahl unter den Hunderten, die am Sonntag zur vom Transitforum Austria-Tirol und der Initiative „Xund`s Lechtl“ einberufenen „Bürgerversammlung“ am Beginn der Hahntennjochstraße bei Elmen gekommen waren, dürfte anderer Meinung gewesen sein.

Von Jürgen Gerrmann

Heftige Diskussionen bei der Demo gegen den Motorradlärm im Lechtal: „Bluatschink“ Toni Knittel (2.v.li.) mit dem Lechtaler TVB-Obmann Marc Baldauf (re.).


Zählt man noch die Radler dazu, die das Joch von beiden Seiten sowohl umweltfreundlich als auch ungestört erklommen, so dürften um die 1000 Menschen ihren Unmut über den „Lärmterror“ der Motorräder (wie sie es empfinden) zum Ausdruck gebracht haben.
Zu Beginn gab es aber erst einmal Protest gegen den Protest: Josef Friedl sagte, er spreche für zwei Drittel der Einwohner von Pfafflar (also Boden und Bschlabs): „Wir fühlen uns überfahren und geschädigt.“ Sicher störe der Lärm, ja, man müsse auch etwas dagegen tun. Aber im Bschlabertal herrsche durch die Wintersperre der Jochstraße schon das halbe Jahr Ruhe, darüber hinaus an Schlechtwettertagen. Gegenüber den Anrainern am Fernpass könne man also gewiss nicht klagen.
Blockade und Schikane?

Viele Lechtaler verdienten mittelbar oder unmittelbar dank der Fahrzeugindustrie gewiss nicht schlecht. Da sei es doch paradox, gegen die Mobilität auf die Straße zu gehen: „Wir werden hier willkürlich überfahren. Das ist eine Schikane für die Bevölkerung! Diese Straße ist ein Aushängeschild für das Land Tirol. Sie sollte auch befahren werden.“ Dass Friedl ein paar Mal das Wort „Blockade“ verwendete, störte Fritz Gurgiser vom Transitforum massiv: „Wir blockieren nicht, sondern machen von unserer Versammlungsfreiheit Gebrauch!“ Von „überfahren“ könne zudem keine Rede sein: „Euer Bürgermeister war seit Mai über alles informiert.“ Ihn störe die „mangelnde Solidarität“, die in Vorwürfen wie diesen zum Ausdruck komme.

Fritz Gurgiser vom Transitforum Austria-Tirol.


Dass ein Lechtaler Hotelier auf Facebook gar davon gesprochen habe, dass „seit 1945 keiner mehr in so einer eindeutigen Art und Weise eine bestimmte Gruppe von Menschen ,pauschalkriminalisert‘ hat wie diese Leute“, schlage dem Fass den Boden aus: „Wer uns in die Nazi-Ecke stellen will, hat in diesem Lande Tirol nichts verloren“, rief Gurgiser unter großem Beifall.
Werbung und Wirklichkeit.

Maria Scheiber von „Xund's Lechtl“.


Das Lechtal werbe mit Ruhe, Erholung, Gemütlichkeit und herrlicher Natur – aber all das werde konterkariert durch diesen „Lärmterror“. Maria Scheiber von „Xund`s Lechtl“ war es wichtig festzustellen: „Diese Aktion ist keine Willkür. Das ist Notwehr!“ Die Lechtaler sollten sich erholen können, nachdem sie die ganze Woche gearbeitet hätten: „Auf diese sieben Stunden haben sie ein Recht, weil sie von März bis Oktober sieben Tage pro Woche Lärm ertragen müssen.“ Ein Naturpark lebe von der Natur: „Man kann nicht damit werben und dann die Leute unterbringen wie an einer Art Nürburgring.“
Den ganzen Tag über herrschte bei der „Bürgerversammlung“ derweil eine fröhliche Atmosphäre. Bluatschink machte Musik (inclusive seiner alten Ohrwürmer), der Steeger Pfarrer Karlheinz Baumgartner hielt eine beeindruckende Andacht und warb um Verständnis auf beiden Seiten, und die Radler, die die 15 Kilometer und 1000 Höhenmeter mit oder ohne Elektro-Unterstützung in Angriff nahmen, genossen die Stille, das Unbedrängtsein und auch das Erlebnis, endlich mal die Dinge am Wegesrand in aller Ruhe betrachten, bestaunen, ja vielfach auch zum ersten Mal überhaupt wahrnehmen zu können. „Profis“ und Amateure waren eine fröhliche Gemeinschaft, manche kamen sogar vom Härtsfeld nördlich von Ulm, um dieses Erlebnis genießen zu können. Diese heitere Atmosphäre zeigte auch auf, dass ein zeitweise auto- und motorradfreies Hahntennjoch durchaus touristisches Potential hätte.
Gefahr durch Reißnägel.

Kleine Sticheleien, wie die des Pfafflarer Wirts, der sein Gasthaus mit dem Hinweis geschlossen hielt, ab 16.30 Uhr seien „Biker herzlich willkommen“, nahm man schmunzelnd zur Kenntnis und viele genossen stattdessen eben beim Kollegen in Bschlabs Gemütlichkeit. Aber wahrlich nicht zum Lachen war es, dass in Bschlabs Reißnägel auf die Fahrbahn gestreut wurden. Sieben Radler holten sich einen „Patschen“. Was lebensgefährlich hätte enden können. Dass dies kein Witz mehr war, meinte auch die Polizei, die sich der Sache annahm.
Positive Bilanz.

Die Gesamtbilanz der Veranstalter fiel abgesehen davon rundweg positiv aus. „Wir hatten sehr lebendige Diskussionen und dabei viel Zustimmung erfahren“, sagte Gurgiser. Ziel sei es ohnehin nicht, einen Weltrekord an Teilnehmern aufzustellen: „Wir wollen Druck auf Politik und Behörden ausüben, damit endlich die bestehenden Normen durchgesetzt werden.“ „Die Freude der Radler ist übergesprungen auf alle“, war Maria Scheiber begeistert. Die lockere, leichte Stimmung habe spüren lassen, dass „die Leute für etwas da sind – nämlich für Lebensqualität und die Beruhigung dieser Lärmhölle.“ Sie stehe mehr denn je hinter dieser Aktion: „Wir werden nicht gehört, also muss man uns spüren. Dieser Tag hat mir neuen Atem gegeben, um das noch länger durchzuziehen.“
Gegendemonstration?

„Sieben Stunden Menschlichkeit sind vorbei“, seufzte einer der vielen ehrenamtlichen Helfer beim Abbau. Nicht ohne Anlass: Schon kurz vor 16 Uhr scharrten rund 50 Biker mit den Hufen, bis die Polizei eine ihrer Lieblingsstrecken wieder freigab. Binnen der ersten halben Stunde donnerten schon wieder etwa 300 Maschinen in beide Richtungen. Fast ausschließlich mit deutschem Kennzeichen. Man verstand sein eigenes Wort nicht mehr. Es wirkte wie eine Gegen-, ja eine Machtdemonstration.

Auch auf der Imster Seite des Hahntennjochs genossen lärmgeplagte Anrainer die Ruhe. RS-Foto: Meze


Der stellvertretende Geschäftsführer der RUNDSCHAU – Nikolaus Meze – besuchte die Demo von Imst aus. Er hat folgende Informationen eingeholt: Laut Organisatoren passierten bis 15 Uhr rund 1.000 Radfahrer die Straßensperre beim „Linserhof“ (oberhalb von Imst). Unschöne und nicht ungefährliche Aktion auf Lechtaler Seite: Gegner der Blockade gingen nicht zur Sonntags-Frühmesse, sondern streuten am Morgen Reißnägel nach dem Bschlaber Tunnel, was lt. Organisatoren zu sieben defekten Rädern führte. Die Mitorganisatorin der Aktion, Fips Perktold, berichtet zufrieden von ausschließlich positivem Feedback der Radfahrer, sie sollten doch jedes Wochenende das Hahntennjoch sperren.

Feedback geben

Feedback abschicken >
Nach oben