Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Abnormal schnelle Schmelze

Die Weißseespitze gewährt einen Blick in die Klimavergangenheit

Durch die Analyse von Bohrkernen, die am Gipfel der Weißseespitze im Kaunertal auf knapp 3500 Meter Seehöhe entnommen wurden, kann man 6000 Jahre in die Klimavergangenheit zurückblicken. Die Forscher der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sahen dabei, dass der heute beobachtbare starke Gletscherschwund jedenfalls außergewöhnlich ist.
28. März 2022 | von Daniel Haueis
Abnormal schnelle Schmelze<br />
Forscher der Österreichischen Akademie der Wissenschaften entnehmen auf der Weißseespitze Eisbohrkerne. Foto: ÖAW
Von Daniel Haueis

Die Gletscher in Österreich sind durch den Klimawandel unter Druck geraten. Selbst in großer Höhe schmelzen die Eiskappen ab: Der Gletscher auf der Weißseespitze im Kaunertal liegt auf 3498 Meter Seehöhe und verliert derzeit im Schnitt 0,6 Meter Eis pro Jahr. „Insgesamt gibt es hier noch 10 Meter Eis, dessen unterste Schicht etwa 6000 Jahre alt ist. Durch den Vergleich mit his-torischen Aufzeichnungen und instrumentellen Messdaten, die in den Alpen bis 1770 zurückreichen, wissen wir, dass der derzeitige Masseverlust deutlich höher ist als der Schnitt der vergangenen 6000 Jahre“, sagt Andrea Fischer vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Schmelzereignisse auf dieser Seehöhe waren in der Vergangenheit Einzelfälle. Heute verliert die Eiskappe jedes Jahr einen halben Meter. Die Schmelze passiert im Sommer, wir sehen auch, dass die Eiskappe durch Winderosion im Winter und die fehlenden Sommerschneefälle kaum mehr wächst“, sagt Fischer, die Erstautorin der Studie in Nature Scientific Reports ist.

LERNEN FÜR DIE ZUKUNFT. Die Analyse basiert auf Bohrkernen, die dem Eis entnommen werden. Daran sieht man ähnlich wie bei Jahresringen von Bäumen die hellen Schichten mit lufthaltigem Wintereis und dunkle Schichten mit Staub, Ruß und organischen Ablagerungen, die Schmelz-ereignisse im Sommer zeigen. Sehr dunkle Schichten weisen auf ungewöhnliche, mehrere Wochen lange Warmphasen hin, sagt Fischer. Die Klimadaten werden von den Forschern mit Daten aus anderen Quellen kombiniert. Der Gletscher auf der Weißseespitze hat demnach zwischen 1893 und 2018 rund 40 Meter Eis verloren, in etwa zehn Jahren wird die Eiskappe komplett verschwunden sein. Damit geht eines der wichtigsten Archive für extreme Klimaereignisse verloren. Deshalb versucht das Forschungsteam der ÖAW derzeit, möglichst viele Eisbohrkerne aus dem noch vorhandenen Eis zu entnehmen und für zukünftige Analysen zu konservieren. Ein derartiges Archiv von Extremereignissen ist für die Wissenschaft von enormem Interesse, weil es gerade Ausreißer sind, die für die Sicherheit der Siedlungen in den Alpen auch in Zukunft ausschlaggebend sein werden. Die Daten aus den Bohrkernen können etwa dabei helfen, Modelle für künftige Hochwasserereignisse zu erstellen. Auch wenn die Gebiete oft unzugänglich sind und die Entnahme viele Ressourcen benötigt: „Die Mühe lohnt aber definitiv, weil wir aus den Analysen noch viel über das Klima lernen können“, sagt ÖAW-Forscherin Fischer.

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