Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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„Da blutet uns das Herz“

Landeck: Jugendtreff und Anlaufstelle berichten von großen Belastungen für Jugend

Das aktuelle Positionspapier der offenen Jugendarbeit Tirol spricht von extremen psychischen Belastungen, Vereinsamung und Gewalt bis hin zu vermehrten Selbstmorden bei Jugendlichen. Auch beim Jugendtreff Landeck und der Anlaufstelle in der Malser Straße weiß man um diese Dinge Bescheid. Noch ein solches Jahr dürfe es auf gar keinen Fall mehr geben, so die Verantwortlichen.
19. April 2021 | von Von Albert Unterpirker
„Da blutet uns das Herz“<br />
Norbert Zangerl (l.) und Mario Pircher hoffen zusammen mit den Jugendlichen auf bessere Zeiten. RS-Foto: Unterpirker
Von Albert Unterpirker

Für die meisten Jugendlichen haben die Coronavirus-Pandemie und die anhaltenden Kontaktbeschränkungen enorme negative Fol-geerscheinungen. Auch bei den Jugendeinrichtungen in Landeck weiß man um die mittlerweile herrschende große Verunsicherung bei der jüngeren Generation. Vor allem die zusätzliche Testpflicht für die Innenräume im Jugendzentrum und die Anlaufstelle sei „eine zu große Hürde für die Jugendlichen die Angebote in Anspruch zu nehmen“, so Norbert Zangerl, Leiter der offenen Jugendarbeit. Nicht zuletzt deshalb habe sich die Anzahl der Besucher auf rund ein Viertel verringert. Dieser extreme Schwund sei auf die diversen Maßnahmen zurückzuführen. „Wenn früher an einem Freitag 40 Leute da waren, dürfen jetzt höchstens zehn Leute anwesend sein“, erklärt Zangerl. Zudem trete durch den permanenten Wechsel der Verordnungen „das Angebot in den Hintergrund“, erläutert Mario Pircher (Mobile Jugendarbeit), „weil Besuche im Jugendzentrum eher spontan passieren“. Wie ist das dann, wenn 12 Leute kommen? „Dann müssen wir zwei verschicken“, sagt Zangerl, und fügt an: „Da blutet uns das Herz!“ Noch ärger sei aber die heruntergesetzte Altersbeschränkung auf den 18. Geburtstag, die eigentlich nicht nachvollziehbar sei. „Wir haben viele Burschen, die sind 18, 19 Jahre alt, und es gibt auch Freundschaften, wo einer 17 ist und einer 18 – jetzt kommen beide nicht mehr.“ Auch die Ausweiskontrolle sei „total gegen unsere Prinzipien“, da gebe es Konflikte, die man mit sich selbst austragen müsse.

BELASTEND. Extrem belastend sind die Pandemie-Maßnahmen indessen generell für die Jugend. Das Positionspapier der offenen Jugendarbeit Tirol (POJAT) zur Lage der Jugendlichen in Tirol spricht davon, dass die „schon länger andauernde ‚graue Grundstimmung‘ vermehrt zu Depressionen“ führe. Angststörungen würden sich häufen. „Ich kenne vier Menschen in meinem Alter, die sich das Leben genommen haben“, sagt da eine 16-Jährige. Oder: „Ich hab’ das Gefühl immer depressiver zu werden, und möchte nur noch meine Freunde sehen“, berichtet eine 15-Jährige. Ein Stimmungsbild, das auch in Landeck zu beobachten ist. „Das bekommt man auch bei uns mit“, nickt Zangerl, „wie eine Perspektivenlosigkeit. Zudem haben wir viele Kontakte verloren – das ist ewig schade.“ Andere Jugendliche würden von spannungsgeladenen Situationen zu Hause erzählen. „Und was willst du machen? Du triffst draußen in der Sonne zum Beispiel drei Jugendliche, die zusammen auf der Haag-Stiege hocken, und es ist einfach ein Wahnsinn, wenn du sagen musst: Wisst ihr schon? Wenn da jetzt ein Polizist kommt, dann könnte es sein, dass ihr gestraft werdet? Dabei hocken sie einfach nur da, und tun gar nichts.“ Man merke nun generell bei der Jugend, „dass sie in ihrem Leben extrem beschnitten wird, und was früher das Allernormalste war, das geht jetzt nicht mehr.“ Nebenbei würden nun Tendenzen verschärft werden, „die vorher schon latent waren“, so Pircher, „wie eben Angststörungen und Sozial-Phobien. Man kann be-obachten, dass das zunimmt.“

VERANTWORTUNG. Erschwerend komme hinzu, dass es momentan kaum möglich sei, einen Modellplatz beim Psychotherapeuten zu bekommen. „So etwas würde es nun unbedingt brauchen“, führt Zangerl aus. Die Bereitschaft an einem kommunikativen Austauschen per Video-Konferenz nehme derweil sukzessive immer mehr ab. Vor allem das Face-to-Face-Treffen sei in der Jugend extrem wichtig, etwa um „neue Leute kennen zu lernen – das fällt jetzt eigentlich alles weg“, weiß Zangerl. Außerdem koche im Hintergrund zusätzlich noch die Klimakrise weiter. Die meisten Jugendlichen seien indessen sehr verantwortungsbewusst. „Da gibt es Sachen, wo du dir denkst: Wow, das hätte ich mir jetzt nicht gedacht“, erzählt Zangerl, „die Jugendlichen sind auf jeden Fall vernünftiger als viele Leute denken!“ Pircher: „Als Sündenböcke eignen sich Jugendliche de facto nicht!“

VERSTÄNDNIS. Was wäre den beiden Betreuern am liebsten? „Es wäre eine große Erleichterung, wenn wir mit den Jugendlichen einen Selbsttest durchführen könnten, wenn sie ins Jugendzentrum kommen wollen, und dass dieser Test anerkannt wird. Gut wäre auch, wenn es mehr Raum für Selbstverantwortung und zielführendere Maßnahmen geben würde“, so beide unisono. Die Alterssenkung auf 18 Jahre gehe komplett an der Realität vorbei. „Hier könnte man das wieder an die gängigen Konzepte anpassen.“ Schön wäre zudem, wenn ältere Leute mehr Verständnis für die Situation der Jugendlichen zeigen würden.



JUZ-Änderungen
Durch die neuen Maßnahmen, die regelmäßig aufgrund neuer Anordnungen auch im Präventionskonzept geändert werden müssen, können derzeit nur Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren kommen (bis zum 18. Geburtstag, vorher bis zum 21.). Jugendtreff-Öffnungszeiten sind derzeit Dienstag bis Freitag 15 bis 19 Uhr und Samstag von 14 bis 19 Uhr. Auch die Anlaufstelle in der Malser Straße ist geöffnet, dort wurden die Öffnungszeiten erweitert von zwei auf vier Tage für Kleingruppen, andere Zeiten nach Terminvereinbarung. Es dürfen je zehn Jugendliche gleichzeitig in das Jugendzentrum bzw. in die Anlaufstelle kommen. Diese müssen einen gültigen PCR- oder Antigen-Test vorweisen können, ein sogenannter Wohnzimmer-, Nasenbohrer- oder Schultest reicht nicht. Zudem herrscht Maskenpflicht oder Abstandsregel. Die Mitarbeiter müssen entweder Maske tragen oder einmal pro Woche testen gehen. Bezüglich Standorterhaltung in der Malser Straße müsse heuer wieder ein Antrag zur Verlängerung an die Liechtensteiner Stiftung gestellt werden.

 

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