Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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„Das war eine richtige Hexenjagd“

Der „Schnittpunkt“-Corona-Fall hatte massive und nachdenklich machende Auswirkungen

Wer auf Corona positiv getestet ist, muss nicht nur mit Husten, Halsschmerzen, Kurzatmigkeit u.a.m. rechnen – auch Anfeindungen und Vorwürfe sind die Folge.
21. September 2020 | von Daniel Haueis
„Das war eine richtige Hexenjagd“<br />
Schnittpunkt-Chefin Dagmar Kral vor ihrem Friseursalon in Zams: Beschimpfungen waren die Folge der bekannt gewordenen Coronavirus-Infektion einer Mitarbeiterin. RS-Foto: Haueis
Von Daniel Haueis

Das Coronavirus wurde weltweit verbreitet, aber es sind immer einzelne Menschen, die die Auswirkungen konkret zu spüren bekommen. Im Bezirk Landeck sind bislang 16 Menschen an der bzw. mit Virusinfektion verstorben. Die Sterblichkeit ist aber eine sehr geringe, denn infiziert waren mehr als 1000. Allein bis Mitte Juni wurden rund 150 davon im Krankenhaus St. Vinzenz in Zams behandelt, ein Zehntel davon auf der Intensivstation. Aber auch bei mildem oder gar symptomlosem Verlauf kann „Corona“ recht schlimme Auswirkungen haben – wie in Landeck zu sehen war.

VORWÜRFE. „Das war eine richtige Hexenjagd“, fasst Robert Erben vom Friseursalon Schnittpunkt in Landeck zusammen. Eine Friseurin war positiv getestet worden, und da nicht alle Kunden-Kontaktdaten vorgelegen sind, wurde von Landesseite ein öffentlicher Aufruf gestartet – gesucht waren Kunden, die sich von 1. bis 8. September im „Schnittpunkt“ in Landeck die Haare machen haben lassen. Die Friseurin hatte keine Symptome, wusste also gar nichts von der Infektion (getes-tet wurde sie, da sie Kontaktperson war). Besitzerin Dagmar Kral und Partner Robert Erben haben den Salon von sich aus geschlossen, bis die Tests der übrigen Mitarbeiterinnen vorgelegen sind. Und inzwischen ist einiges passiert: „Das war wirklich wild, das war brutal“, sagt Erben, „die Mitarbeiterinnen haben mir am meisten leid getan … Die waren fertig.“ Dabei waren sie es, die acht Stunden am Tag mit Mundschutz gearbeitet haben und sich mitunter deshalb anpöbeln lassen mussten (Vorwurf, durch die Maske Panik zu erzeugen u.ä.). Massive Anfeindungen waren aber auch nach dem positiven Test die Folge. Sie bzw. Mitarbeiterinnen seien privat angerufen und beschimpft worden, sagt Dagmar Kral. Mitarbeiter seien per SMS und WhatsApp angefeindet worden, schreibt Robert Erben auf der „Schnittpunkt“-Facebookseite. Eine Mitarbeiterin hat sich gezwungen gesehen, einen privaten Social-Media-Account zu löschen. „Welch nervliche Belastung das für alle war, brauchen wir wohl nicht erwähnen …“, schreibt Robert Erben. Es wurde offensichtlich auch nicht von allen zwischen den Standorten Landeck und Zams unterschieden – Motto: „Schnittpunkt“ ist „Schnittpunkt“, auch wenn der positive Fall in Landeck und nicht in Zams war.

UNTERNEHMER RUFEN AN. Dass der öffentliche Aufruf (der nötig war, da die Kontaktdaten aller Kunden der fraglichen Zeit nicht bekannt waren) massive Auswirkungen haben kann, haben auch viele Unternehmer mitbekommen: Ihn hat z.B. eine Friseurkollegin angerufen, aber „auch andere Unternehmer rufen an“, sagt Erben: „Was ist, wenn das bei mir passiert?“, fragen sie. Robert Erben hat inzwischen mit der Friseurinnung Kontakt aufgenommen, um einen gangbaren Weg für seine Kollegen zu finden, die schon morgen betroffen sein können.

SCHLIESSUNG? Robert Erben fragt sich, weshalb die Behörde keine Schließung des Friseursalons in Landeck angeordnet hat und weshalb er aus dem Radio erfahren musste, dass es einen öffentlichen Aufruf in Zusammenhang mit „Schnittpunkt“ gibt. Die Antwort darauf hat BH-Stv. Siegmund Geiger. „Das ist eine Erkenntnis daraus“ – man werde künftig bei einem öffentlichen Aufruf sicherlich vorher mit den Betroffenen in Kontakt treten. Dass der Salon nicht behördlich geschlossen wurde, hat mit der geringen Infektiosität in diesem Fall zu tun. Und solange nicht mehr positive Tests vorliegen, könne man keinen Betrieb schließen. Die Tests, so Robert Erben, wurden am Mittwoch gemacht, am Samstagabend trafen die Ergebnisse ein. Leicht haben’s also Infizierte nicht, aber auch die Verwaltung ist sehr gefordert: „Es ist eine ganz schwierige Zeit für Vollzugsbehörden“, sagt Siegmund Geiger.
Inzwischen sind die „Schnitt-punkt“-Friseursalons in Landeck und Zams wieder geöffnet – alle dort tätigen Mitarbeiterinnen sind negativ getestet.



Altbekannt
Zu bemerkenswerten Reaktionen soll es übrigens auch in Zams gekommen sein – dort hatte bekanntlich eine deutsche E5-Wanderin übernachtet, die später positiv getestet wurde. Begonnen hat’s aber bereits im März – im „Kitzloch“ in Ischgl. In Bernhard Zangerls Après-Ski-Lokal, das mit einem 36-jährigen Barkeeper den zweiten bekannten Coronavirus-Infizierten im Bezirk Landeck aufwies (nach einem 22-jährigen Studenten in Pettneu). „Anfangs waren es noch sehr viele Anfeindungen mittels Postings, Emails etc., es sind so gut wie alle Plattformen im Internet, die mit dem ‚Kitzloch‘ in Zusammenhang stehen, genutzt worden, um Beschimpfungen und Drohungen loszuwerden“, antwortete Bernhard Zangerl Anfang April auf eine RUNDSCHAU-Anfrage.

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