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Ein Feuerschweif am Horizont

Scheibenschlagen bald immaterielles Kulturerbe

Wahrscheinlich schon im März folgt der im Talkessel und im Stanzertal gelebte -Feuerbrauch den Vorarlberger Vorbildern auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der Unesco. Dafür setzt sich der Pettneuer Kurt Tschiderer ein. Ihn fasziniert das Scheibenschlagen als gesellschaftliches Ereignis am Kassunnti jedes Jahr wieder.
21. Feber 2022 | von Von Christina Hötzel
Ein Feuerschweif am Horizont<br />
Im Scheibenfeuer werden die Scheiben nach Anbruch der Dämmerung zum Glühen gebracht. Foto: Feuerwehr Pettneu
Von Christina Hötzel

Bei Anbruch der Dunkelheit brennen die Scheibenfeuer. Die Zuschauer warten schon gespannt. Bald werden die Schläger mit ihren Scheiben große Feuerkreise und leuchtende Bögen in den dunklen Nachthimmel zeichnen. Die runden oder quadratischen Scheiben mit einem Loch in der Mitte werden im Feuer zum Glühen gebracht. Dann werden sie an die Spitze eines Steckens gesteckt und von einer Anhöhe talwärts katapultiert. Als Rampe zum Abschlag dient eine kleine Holzbank. Das Scheibenschlagen findet am „Kassunnti“, dem ersten Sonntag in der Fastenzeit, statt. Aufgrund der Corona-Maßnahmen ist eine Durchführung in Pettneu aber leider auch in diesem Jahr fraglich.

FÜR NEUGIERIGE. Das Scheibenschlagen ist ein alter Feuerbrauch in Mitteleuropa, den man in Tirol seit mehr als 300 Jahren kennt. Ab dem 17. Jahrhundert tauchte er in historischen Quellen auf. Allerdings war das Scheibenschlagen zeitweise wegen Brandgefahr verboten. In der heutigen Zeit wird der Brauch gerade im Raum Landeck von Vereinen, hauptsächlich von den örtlichen Feuerwehren, betrieben. Für jeden Haushalt wird eine Scheibe geschlagen. Diese soll für das restliche Jahr Glück bringen. Dazu wird ein Spruch zu namentlich genannten Personen des Ortes aufgesagt. „Begebenheiten, die sich im Laufe des Jahres zugetragen haben, werden in lustige Reime verpackt. Von besonderem Interesse sind dabei Liebschaften, besonders die fehlgeschlagenen. Schwangerschaften werden schon angekündigt, bevor die Betroffenen etwas davon wissen. Das Scheibenschlagen ist ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem Neugierige Sachen erfragen, von denen sie sonst nichts gewusst hätten“, beschreibt Tschiderer.

KAS UND SCHEIBEN. Vor dem Beginn des Scheibenschlagens gibt es „Kaskiachla“. Die sind jedoch nicht für die Namensgebung des „Kassunnti“ verantwortlich. Auf den ersten Fastensonntag entfiel im Mittelalter die Zinspflicht der Bauern. Die Abgaben wurden oft in Form von haltbaren Milchprodukten wie Käse gemacht, erklärt Tschiderer. Das Scheibenschlagen war früher eine reine Männersache. Nun werden auch Frauen eingebunden – so wünscht es sich nicht zuletzt die Unesco. Die Scheiben werden aus harten Laubhölzern angefertigt. In Pettneu ist Birkenholz üblich, andere Orte verwenden Buche. Die Stecken sind von der Haselnussstaude, grün für bessere Elastizität und etwa 1,50 Meter bis 2 Meter lang. Das Anfertigen der Scheiben ist in jedem Fall eine nette Geste der Kameradschaftspflege. Das Scheibenschlagen in Vorarlberger Gemeinden wurde schon 2015 in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Als nächstes hatte der Prägratner Bürgermeister Anton Steiner eine Aufnahme angeregt. Er bekam Hilfe vom Flirscher Volkskundler Karl Berger, dem wiederum das Scheibenschlagen im Talkessel Landeck und im Stanzertal bekannt war und den Osttiroler Bürgermeister an den Pettneuer Kurt Tschiderer verwies. Tschiderer befasst sich seit 2021 mit der Aufnahme und hat festgestellt, dass das Scheibenschlagen im Bezirk Landeck in Pettneu, Strengen, Grins, Stanz, Landeck, Zams und Tobadill durchgeführt wird. In Mitteleuropa verteilt es sich hauptsächlich auf den schwäbisch-alemannischen Raum, auf den Südtiroler Vinschgau, Tirol, Vorarlberg und das Außerfern.
Das Licht der glühenden Scheiben wird mit dem Frühling, länger werdenden Tagen und der Sommersonnenwende in Verbindung gebracht. Nach Mitternacht darf jedoch keine Scheibe mehr abgeschlagen werden, denn sonst kann Schlimmes passieren. Unheimliche Sagengestalten wie der Riese Pöschi oder gar der Teufel persönlich könnten dann erscheinen.
Ein Feuerschweif am Horizont<br />
Eine Partie Scheibenschlager der Feuerwehr Landeck in den 1950ern Foto: Feuerwehr Landeck
Ein Feuerschweif am Horizont<br />
Wie Sternschnuppen erleuchten die Feuerschweife den Pettneuer Nachthimmel. Foto: Feuerwehr Pettneu

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