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Ein Vierteljahrhundert für die Zukunft des Bezirkes

Cornelia Weinseisen, die scheidende „Jugendamtsleiterin“, über ihre Arbeit für Familien, speziell Kinder

Cornelia Weinseisen war mehr als ein Vierteljahrhundert lang für das Wohl der jungen Land­ecker zuständig. Wenn sie nun in Pension geht, hinterlässt sie eine moderne, professionell arbeitende Abteilung „Familie & Soziales“ – gesellschaftliche Zustände, die sie schmerzen, gibt’s aber weiterhin.
16. Mai 2023 | von Daniel Haueis
Ein Vierteljahrhundert für die Zukunft des Bezirkes
Diplomsozialarbeiterin Cornelia Weinseisen: „Heute kommen viel mehr Menschen, die sagen, sie brauchen Unterstützung.“ RS-Foto: Haueis
Von Daniel Haueis

Vieles ist interessant, was einem als Journalist erzählt wird, manches berührt, nur weniges vergisst man nicht mehr. Cornelia Weinseisen, Leiterin der BH-Abteilung „Familie & Soziales“, ist jemand, der vieles erzählen könnte, das in diese letzte Kategorie fällt. Etwa wenn sie sich an eine junge Mutter erinnert, die als Kind vom Vater mutmaßlich missbraucht wurde und die sie dann dabei sieht, wie sie ihrem Vater ihre eigene Tochter zum Aufpassen überlässt. Oder wenn sie erzählt, dass das Land Tirol Pädagogen bezahlt, die Kinder vor dem Fernseher wegholen, um mit ihnen im Wald zu spielen, sie die Natur erleben lassen, da die Eltern dies nicht tun. Es ist dies aber nur eine Seite der Arbeit der Leiterin des ehemaligen Jugendamtes, die nun mit 1. Juni in Pension geht. Auch nach 26 Jahren, die immer wieder belastende „Fälle“ bereit gehalten haben, wirkt die 63 Jahre alte Referatsleiterin keineswegs verbittert oder ermattet: „Es war ein so vielfältiger Aufgabenbereich … Ich hätte nichts gefunden, was interessanter wäre.“

DIE FAMILIE ERMÄCHTIGEN. Weinseisen ist 1997 als Sozialarbeiterin zur BH Landeck gekommen, seit 2002 leitete sie das Subreferat Jugendwohlfahrt, das inzwischen zum Referat „Familie & Soziales“ gewachsen ist. Es ist das zweitgrößte Referat an der BH Landeck – aus gesellschaftlicher Sicht aber wohl das wichtigste: Im Zentrum stehen Kinder, jene, die den Bezirk Landeck in Zukunft prägen werden. Und so hat Cornelia Wein­seisen auch gewirkt: Sie hat nicht nur bei Adoptionen, Besuchsregelungen, Gefährdungsmeldungen oder als Rechtsvertreterin gewirkt, sondern auch Aufklärungsarbeit geleistet: „Vor 25 Jahren sind wir noch ein Schreckgespenst gewesen“, erinnert sie sich – beim Wort „Jugendamt“ schwebte stets Kindesabnahme u.ä. im Raum. Inzwischen melden sich mehr Lehrer oder Kindergärtnerinnen bei Fragen, auch wenn manche noch skeptisch sind. „Wir haben viel Aufklärungsarbeit geleistet, gerade im professionellen Bereich“, sagt Weinseisen, die auch am MCI unterrichtet und Vorträge gehalten hat. Und auch die jungen Familien selbst rufen an: „Heute kommen viel mehr Leute, die sagen, sie brauchen Unterstützung.“ Die Kinder- und Jugendhilfe kann natürlich Unterstützung anbieten, auch ambulant. Und es ist manchmal auch eine Fremdunterbringung nötig, aber Weinseisens Credo war stets: die Familie ermächtigen.

„ES BRAUCHT EINFACH VIEL, VIEL MEHR“. „Die Sozialarbeit ist viel professioneller geworden“, dia­gnostiziert Cornelia Weinseisen – wiewohl auch hier die Herausforderung besteht, „Nachwuchs“ zu finden. Früher lautete das Credo in etwa: „Helfen und Gutes tun“, heute gibt es auch klarere Richtlinien und Vorgaben, Pflegefamilien z.B. benötigen eine Ausbildung, wie’s einem adoptierten Kind geht, wird immer wieder überprüft u.a.m. Verändert hat sich aber auch die Gesellschaft: Früher wurde das „Jugendamt“ mit der Feststellung „Der Bub folgt nicht“ kontaktiert – heute sind es vielfach psychische Auffälligkeiten mit Krankheitswert wie generalisierte Angststörungen. „Das wird eine Herausforderung“, sagt Weinseisen – und damit sind nicht nur Eltern, sondern auch Schulen überfordert. Unterschiedliche Erziehungsstile der verschiedenen Kulturen wirken sich ebenfalls aus: Zu Hause wird nicht immer vorgelebt, was von den Kleinen im Kindergarten oder in der Schule erwartet wird. Weinseisen kennt auch traumatisierte (ehemalige) Flüchtlinge, die nun im Bezirk leben und dann auch als Erwachsene mehr als gefordert sind. „Es braucht im Sozialbereich einfach viel, viel mehr“, kann sie mit ihrem Wissen aus der Praxis nur sagen. Einer wirklich gesellschaftlichen Anstrengung bedarf es wohl auch, um das in den Griff zu bekommen, was Cornelia Weinseisen immer wieder schmerzt: die Generation Handymama, eine Mutter, die ins Handy starrt, während sie ihr Kind im Kinderwagen schiebt oder dieses auf dem Spielplatz herumtobt – anders ausgedrückt: die fehlende Aufmerksamkeit für die Kinder – jene Landecker, die den Bezirk morgen gestalten.


Pflegepersonen gesucht
Die aktuellste Statistik der Kinder- und Jugendhilfe der BH Land­eck betrifft das Jahr 2021. Es wurden (damals auch noch von Corona beeinträchtigt) 179 Erziehungshilfen gegeben, 34 Mal „volle Erziehung“ in Wohngemeinschaften oder bei Pflegefamilien. Rechtsvertretungen, z.B. bei Unterhaltsfragen, gab es 1.169 und Gefährdungsabklärungen waren fast zwei pro Woche vorzunehmen: 93. Pflegepersonen gab es im Bezirk damals 13 – hier ist die BH Landeck auf der Suche nach weiteren.

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