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„Geben Sie dem Coronavirus keine Chance!“

Intensivmediziner Prim. Walter Hasibeder über schlimme Erfahrungen mit „Corona“ im Oberland und die Impfung

Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder, Primar am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin, zieht eine Corona-Bilanz aus Oberländer Sicht. Sein Fazit ist klar: „Lassen Sie sich impfen!“
27. September 2021 | von Daniel Haueis
„Geben Sie dem Coronavirus keine Chance!“<br />
Prim. Walter Hasibeder: „Die meisten gesunden voll Immunisierten sind aber vollständig geschützt und scheiden auch nach Kontakt mit dem Virus selbst keine Viren aus! Das bedeutet auch, dass sie ihre unmittelbare Umgebung nicht anstecken können!“ Foto: Krankenhaus St. Vinzenz Zams
Von Daniel Haueis

RUNDSCHAU: 48 Landecker und 33 Imster sind bisher an oder mit „Corona“ verstorben, davon wohl etliche im Krankenhaus St. Vinzenz. Welcher Todesfall hat Sie besonders berührt?
Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder:
Prinzipiell jeder! Viele unserer Patient*innen waren vor ihrer Erkrankung fit und führten ein selbstbestimmtes Leben oder anders ausgedrückt: Ohne Corona hätten die meisten von ihnen noch einige glückliche Jahre im Kreis ihrer Lieben verbringen können! Covid-19 verlief bei den am schwersten Erkrankten als ein ständiges Auf und Ab. Kurze Besserungsintervalle wurden durch ein plötzliches Wiederaufflammen der systemischen Entzündungsreaktion mit weiteren Organfunktionseinschränkungen zunichte gemacht. Das war für unser gesamtes Team – die Pflege, unsere internistischen Fachkolleg*innen und meine Kolleg*innen – extrem belastend! Ein Patient geht mir aber bis heute nicht aus dem Kopf. Er lag wegen einer anderen schweren Erkrankung im Sterben und wegen der strikten Corona-Regelungen durfte er nicht von seiner Familie besucht werden – das war wirklich schrecklich, da der gesamte Familienkontakt nur per Telefon erfolgte. Als er dann gestorben war, bat uns ein Sohn, dass wir ihm noch ein Foto seines Vaters schicken – die ganze Situation hat alle sehr berührt und gleichzeitig deprimiert. Diese Geschichte ereignete sich ganz am Anfang der Pandemie, als wir noch kaum Wissen über die Infektiosität und die Pathophysiologie der Erkrankung hatten. Die nächste Frage war dann: Was machen wir mit dem mitgebrachten Eigentum eines Patienten? Am Anfang der Pandemie hieß es, dass alles verbrannt werden müsste. Unser ärztlicher Direktor Prim. Univ.-Prof. Dr. Ewald Wöll und ich haben aber beschlossen, dass wir das Eigentum unserer Patient*innen luftdicht in Tonnen für mindestens eine Woche lagern – in dieser Zeit sollten eventuell anhaftende Viren bereits inaktiviert sein und dann konnten die Sachen den engsten Angehörigen übergeben werden – so konnten wenigstens einige Erinnerungsstücke für die Angehörigen gerettet werden.

RUNDSCHAU: Was an der Krankheit Covid-19 ist das Tückische, was hat auch erfahrene Mediziner überrascht?
Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder:
 Am meisten überrascht waren wir wohl über den lange anhaltenden Entzündungsprozess, den wir bei unseren Patient*innen beobachten konnten. Diese unkontrollierte und im ganzen Körper ablaufende Entzündung führt zu Schädigungen in allen Organen. Trotzdem konnten wir im Verlauf der Erkrankung Unterschiede zwischen der ersten und zweiten Erkrankungswelle feststellen. In der ersten Welle benötigte mehr als die Hälfte der Patienten medikamentöse Herzkreislaufunterstützung, um sie am Leben zu halten. Viele entwickelten auch ein Nierenversagen und bei einigen mussten wir die Nierenfunktion maschinell ersetzen. Die Lungenentzündung, durch das Virus ausgelöst, war zwar schlimm, aber über einen langen Zeitraum besserte sich die Lungenfunktion und die Mehrheit der maschinell beatmeten Patient*innen hat unser Krankenhaus nach langem stationären Aufenthalt in eine Rehabilitations-Einrichtung verlassen. In der zweiten Welle war die Situation anders: Herzkreislaufversagen und Nierenversagen wurden kaum beobachtet. Dafür aber zerstörte das Virus bei vielen Patient*innen die Lunge innerhalb kürzester Zeit. Die Mehrheit der maschinell beatmeten Patient*innen ist während der zweiten Welle verstorben. Leider wurden in Österreich zu dieser Zeit zu wenig Virusgenom-Analysen durchgeführt. Wir vermuten, dass die britische Mutante, das sogenannte „Alpha“-Virus, in dieser Zeit bereits das Infektionsgeschehen im Tiroler Oberland bestimmt hat. Das zweite Erschreckende an dieser Erkrankung sind die enormen Langzeitfolgen. Neben den allseits bereits bekannten Symptomen des „Long-Covid“-Syndroms zeigen große Studien ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere chronische Erkrankungen der Lungen, des Herzkreislaufsys-tems, des Metabolismus und des zentralen Nervensystems! Zu diesen Erkrankungen zählen die Lungenfibrose und die chronische Bronchitis, die koronare Herzerkrankung und der Blutdruck, der Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Störungen der Gedächtnisleistung und psychiatrische Probleme. Aber auch das Risiko vorzeitig zu sterben ist nach überstandener Erkrankung deutlich erhöht.

RUNDSCHAU: Am 21. September waren in Tirol 58% der Menschen gegen das Coronavirus geimpft. Von den „Corona“-Hospitalisierten waren 40% vollimmunisiert, von den Intensivpatienten waren es 33%. Haben die vollimmunisierten Hospitalisierten eine besondere Vorgeschichte?
Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder: Die Impfdurchbrüche betreffen vor allem immunologisch geschwächte Personen. Dazu zählen z.B. Patient*innen unter aktiver Chemotherapie wegen eines Krebsleidens, Patient*innen mit schweren Nierenerkrankungen, Diabetes mellitus und Patient*innen unter einer Therapie, die das Immunsystem unterdrückt. Das wären zum Beispiel Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen, Erkrankungen aus dem rheumatologischen Formenkreis oder Organtransplantierte. Das betrifft immerhin mehrere hunderttausend Menschen in Österreich! Aber auch bei Patient*innen über 60 Jahren zeigen Studien mit der Zeit einen Abfall neutralisierender Antikörper gegen das Coronavirus. Der Verlust an neutralisierenden Antikörpern beträgt laut einer Studie in der älteren Bevölkerung zirka 30% pro Jahr. In Israel wird deshalb bereits ein halbes Jahr nach dem „Zweitstich“ eine dritte Auffrischungsimpfung für Menschen über 60 Jahren empfohlen. Dieser „Immunboost“ führt zu einem deutlichen Anstieg der Abwehrkörper und schützt nachweislich vor schweren Infektionen mit gefährlichen Virus-Varianten. Für Organtransplantierte empfiehlt die amerikanische Gesundheitsbehörde den „3. Stich“ bereits 28 Tage nach der 2. Impfung. In Österreich sind zirka 92% der derzeit wegen einer schweren Covid-19-Erkrankung auf Intensivstationen behandelten Patient*innen nicht geimpft!!! Selbstverständlich können Durchbruchsinfektionen auch bei jüngeren vollimmunisierten Menschen ohne Vorerkrankungen auftreten. Allerdings sind die Infektionen in der Regel symptomlos oder verlaufen mit milden Symptomen eines oberen respiratorischen Infekts ohne Lungenentzündung ab. Die meisten gesunden voll Immunisierten sind aber vollständig geschützt und scheiden auch nach Kontakt mit dem Virus selbst keine Viren aus! Das bedeutet auch, dass sie ihre unmittelbare Umgebung nicht anstecken können! Studien zeigen, dass bei jungen Gesunden dieser Impfschutz zumindest ein Jahr anhält. Natürlich kann sich diese Situation bei Auftauchen neuer gefährlicher Varianten rasch ändern.

RUNDSCHAU: Was ist das Wichtigste an der Impfung – der individuelle Schutz oder vielleicht die Verhinderung der Ausbreitung, womit Mutationen unwahrscheinlicher werden?
Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder:
Das Allerwichtigste für mich ist: 1. Der Schutz der vulnerablen Bevölkerung. Das sind jene Menschen, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation auch trotz Impfung schwer erkranken können und am Virus versterben können. 2. Eine möglichst rasche Beendigung der Pandemie durch Impfung eines Großteils der Weltbevölkerung. Das Sars-CoV-2 ist ein globales Problem. Wenn wir es nicht schaffen den größten Teil der Weltbevölkerung zu impfen, werden mit Sicherheit neue gefährliche Varianten auftauchen, gegen die derzeitige Impfstoffe kaum wirken und die mit einer gesteigerten Sterbe- und Invaliditätsrate („Long-Covid“-Syndrom) einhergehen werden. 3. Der persönliche Schutz ist selbstverständlich auch wichtig! Spätestens dann, wenn man kaum mehr Luft bekommt, weil die Lunge durch die Entzündung immer schlechter bewegt werden kann und der „Lufthunger“ immer dramatischer wird, wird auch der „eingefleischteste“ Impfgegner und „Verschwörungstheoretiker“ vom „Saulus zum Paulus“.

RUNDSCHAU: Wie zufrieden sind Sie mit einer Durchimpfungsrate von knapp 60% im Bezirk Landeck und von gut 56% im Bezirk Imst? Die für eine Herdenimmunität angeblich nötigen 80% werden nicht einmal in „Spitzengemeinden“ wie Galtür erreicht, wo 74% vollimmunisiert sind.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder:
Mit dieser Durchimpfungsrate bin ich natürlich nicht zufrieden! Ich denke wir haben im Tiroler Oberland das zweifelhafte Glück, dass wahrscheinlich viel mehr Menschen als bisher angenommen bereits in der ersten Welle infiziert waren und somit einen relativen Schutz vor dem Sars-CoV-2-Virus haben. Das ist möglicherweise der Grund, warum unser Krankenhaus, im Gegensatz zu vielen Häusern in Ostösterreich, von der vierten Welle bisher nur marginal getroffen wurde. Aber das könnte sich rasch wieder ändern. Als Intensivmediziner kann ich nur, auch im Namen aller meiner Kolleg*innen, bitten: „Lassen Sie sich impfen! Geben Sie dem Coronavirus keine Chance!“

RUNDSCHAU:  Danke.
 

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