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Tragbare Skulpturen

Zams: „Zwischenzeiten füllen Träume“ von Martina Öttl

Eine besondere Ausstellung präsentierte die Zammerin Martina Öttl kürzlich beim Lochputz in Zams. Mit nachhaltig produzierten Modekreationen stellt sie die Wertschätzung für textiles Handwerk in den Vordergrund.
18. Oktober 2022 | von Von Irmgard Pfurtscheller
Tragbare Skulpturen<br />
Die in Peru gewebten Stoffe wurden zu tragbaren Skulpturen. Wertschätzung für das textile Handwerk ist für Martina Öttl sehr wichtig. RS-Foto: Pfurtscheller
Von Irmgard Pfurtscheller

Martina Öttl, geboren 1989 in Zams, absolvierte nach der HTL für Innenarchitektur ein vierjähriges Architekturstudium in Innsbruck. Das textile Handwerk, besonders das Nähen, übte sie nebenbei mit Begeisterung aus und entschloss sich, dieses Handwerk auf professioneller Ebene zu erlernen. Sie besuchte in Wien das Modekolleg und die Meisterklasse für Haute Couture und schloss ihre Ausbildung mit der Meisterprüfung für Damenkleidermacher ab. Nach der intensiven Lernphase plante Öttl eine längere Auszeit im Ausland.

AUF ZU NEUEN UFERN. Dass sie die Reise nach Peru führte, wäre ein glücklicher Zufall gewesen, so Öttl. Im Rahmen des bestehenden Sozialprojektes „Asociación Caminemos Unidos (ACU)“ bekam sie die Möglichkeit, in einer Näherei in Moro in Peru für einige Monate als Volontärin mitzuarbeiten. „Es hat sich sozusagen einfach ergeben, was im Nachhinein ein wunderbares Glück für mich war.“ Aus dem geplanten halben Jahr wurden eineinhalb Jahre, die Öttl in Süd-amerika und Spanien verbrachte. Mitgebracht hat sie neben den textilen Kunstwerken für die Ausstellung auch unvergessliche Eindrücke und intensive Einblicke in unterschiedliche Kulturen. Die anfänglichen Sprachbarrieren waren dabei eine große Herausforderung. Öttl sprach kein Spanisch, die Frauen nicht Englisch. Das Gefühl, „fremd“ zu sein, sich nicht verständigen zu können und selber nichts zu verstehen, erlebte sie hautnah. Nach einem Sprachkurs im Süden Perus und einigen Monaten in Spanien war sie sprachlich gerüstet für das zweite halbe Jahr in Bolivien und Peru. Drei Monate arbeitete Öttl bei dem Female Empowerment Projekt „Awamaki“ mit, wo sie auch die Stoffe für ihr Projekt weben ließ.

WEBSTUHL „TO GO“. Besonders beeindruckt hat Öttl die Art und Weise, wie die Frauen das Handwerk Weben ausüben. Die mobilen Konstruktionen werden an einem eingeschlagenen Pflock befestigt, die Spannung der Wollfäden wird mit einem umgelegten Hüftgurt am Körper der Weberin reguliert. Diese spezielle Webtechnik, die einen vollen Körpereinsatz fordert, ermöglicht den Frauen ihrem Handwerk ortsungebunden nachgehen zu können. Für die peruanischen Weberinnen stellt diese Arbeit einen wichtigen Zusatzverdienst für ihre Familien dar. Bei der Arbeit für ihr eigenes Modeprojekt war Öttl Mercedes, eine Mitarbeiterin bei „Awamaki“, eine große Hilfe bei der Kommunikation. Schlussendlich hätte aber alles gut funktioniert und so wäre die Zusammenarbeit für beide Seiten sehr lehrreich gewesen. „Ich durfte von den Frauen so viel lernen. Alleine die Art und Weise, wie diese traditionell gewebten Stoffe erzeugt werden, ist sehr beeindruckend und komplex zugleich, vor allem, wenn man die sehr bescheidenen Hilfsmittel bedenkt, mit denen gearbeitet wird.“

HANDWERK BRAUCHT ZEIT. „Was sehr prägend und wichtig für mich und meine Haltung gegenüber dem Kunsthandwerk war, ist dass ich durch die Frauen noch mehr erkennen durfte, dass eine gute Arbeit auch wirklich ihre Zeit beanspruchen darf. Handwerk braucht Zeit.“ Wenn die Frauen für ihre Kinder Zeit brauchten oder bei der Feldarbeit mithalfen, mussten ihre Stoffe eben warten. Auch die Farben der Textilien, die mit Blumen und Pflanzen gefärbt wurden, waren je nach Jahreszeit nicht immer verfügbar. Da musste man dann halt das Farbkonzept ändern. „Die Ruhe dieser Menschen hat mich fasziniert und mich doch auch, bedingt durch meine europäisch geprägte Mentalität, zeitweise im Inneren herausgefordert“, sagt Martina Öttl. Diese Erfahrungen waren für die Zammerin sehr lehrreich und sie gewann die Erkenntnis, dass nicht immer alles planbar ist. „Man lernt das Loslassen und sich selbst mehr Freiheit zu schenken.“

TRÄUME FÜLLEN AUCH RÄUME. Im Juni wurden ihre Arbeiten in Wien in der Glasgalerie der alten Wirtschaftsuniversität gezeigt, im Oktober folgte dann die Ausstellung in Zams. „Experimentelles Modedesign bedeutet für mich, kleine Architektur am Körper zu schaffen. Ich denke Mode und Bekleidung als Architektur, im Maßstab des menschlichen Körpers. Bei meinen Stücken erarbeite ich mir textile, weiche Skulpturen, die man auch als Kleidung tragen kann. Die Auseinandersetzung mit der wandelbaren Form bildet bei mir die Grundlage für jedes tragbare Kleidungsstück“, erklärt Öttl ihre Herangehensweise. Auch die Räume, in denen die Stücke ausgestellt werden, beeinflussen die Formgebung dieser „textilen Körper“. „Die Stücke ergeben in jedem Raum einen anderen Sinn“, und so verändern sich die abstrakten Linien, Flächen und Volumina gegebenenfalls zu tragbaren Skulpturen. Im Winter folgt eine weitere Präsentation der gewebten Kunstwerke aus Peru. Spannend wird dabei sein, wie diese auf die zwei zur Verfügung gestellten Schaufenster bei der Kunststraße Imst reagieren werden.
Tragbare Skulpturen<br />
In ihren Kleidungsstücken spieglen sich die Farben der Natur. RS-Foto: Pfurtscheller

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