Griaß enk und god dag aus Dänemark, dem Land, in dem die Verdienstlücke zwischen Mann und Frau mit 5,6% mehr als die Hälfte geringer ist als in Österreich. Mein Name ist Stefanie Praxmarer-Fernandes. Geboren und aufgewachsen auf der Öd in Landeck, lebe ich mittlerweile seit 9 Jahren in Dänemark, in der Nähe von Kopenhagen. Gekommen für den Job und geblieben für den skandinavischen Lebensstil, der Beruf und Familie ausgezeichnet miteinander vereinbaren lässt. In diesem Brief in die alte Heimat möchte ich euch Einblick in den skandinavischen Lebensstil geben und euch erzählen, wie sich der auf uns als Auslandsfamilie im täglichen Leben auswirkt.
Als ich zum ersten Mal Mama wurde, wurden mir die großen Unterschiede zwischen Österreich und Dänemark für Familien und vor allem für Frauen sehr schnell bewusst. Nach einer komplikationsfreien Geburt wird man bereits nach ein paar Stunden nach Hause entlassen und dort hauptsächlich von einem speziell ausgebildeten Krankenpfleger*in regelmäßig besucht. Mit dem Baby muss man kaum zum Hausarzt, das allermeiste wird bequem im eigenen Wohnzimmer mit dem Krankenpfleger*in untersucht und besprochen. Väter bekommen ausnahmslos ab der Geburt 2 Wochen frei, was besonders für uns eine große Hilfe war, schließlich leben wir ohne Familie hier.
Papa wäscht, kocht und wechselt die Windel, während Mama arbeiten geht. Väter nehmen einen Teil der Karenz und ermöglichen Frauen somit schon bald wieder zurück zur Arbeit zu gehen. Ich war nur 8 Monate in Karenz, was sich positiv auf meine mentale Gesundheit und meine Karrierechancen ausgewirkt hat. In Dänemark erkennt man die mentale Gesundheit der Mutter als wegweisend für die Gesundheit des Kindes an, was durch unzählige Studien bestätigt werden kann. Jede Mutter wird daher mit der Geburt des Kindes Teil einer Muttergruppe, die aus 5 bis 7 Müttern mit Kindern gleichen Alters in der gleichen Nachbarschaft besteht. Ich habe mich für eine internationale Muttergruppe bei meinem ersten Sohn entschieden und für eine dänische Muttergruppe bei meinem zweiten Sohn. Wenn du selbst Mama bist und das hier liest, dann kannst du höchstwahrscheinlich verstehen, wie einsam und überwältigend das erste Jahr nach der Geburt sein kann. Meine Muttergruppe hat mir Halt gegeben und mir ohne Zweifel das erste Jahr erleichtert. Durch diese Entscheidung, die von der Regierung und dem Arbeitgeber stark unterstützt wird, haben außerdem mein Sohn und sein Papa eine wertvolle Chance erhalten mehrere Monate im ersten Lebensjahr gemeinsam zu verbringen. Väter wechseln Windeln, kochen Abendessen, gehen auf den Spielplatz und waschen Wäsche, was nicht zuletzt der Gleichberechtigung zu danken ist. Ab dem 6. Monat hat jedes Baby in Dänemark einen gesicherten öffentlichen Krippenplatz. Meine beiden Söhne sind seit dem ersten Lebensjahr ganztags in Kinderkrippe, Kindergarten und mittlerweile in der Schule betreut. Jedes Kind hat den Anspruch auf einen Kinderkrippenplatz ab 6 Monaten, die meisten beginnen mit 12 Monaten. Durch die Vollzeitbetreuung ist es mir als Mama möglich, auch Vollzeit arbeiten zu gehen – ein weiterer Schritt in Richtung Gleichberechtigung und finanzielle Unabhängigkeit für Frauen. Dafür bin ich sehr dankbar und schätze das jeden Tag. Obwohl wir hier ohne Unterstützung von Oma und Opa, Tanten und Onkel leben, ist es uns beiden möglich als Eltern Vollzeit zu arbeiten, bei Krankheit zu Hause zu bleiben (egal wie oft das vorkommt) und doch gleichzeitig im Job zu wachsen.
Durch die Unterstützung, die ich als Frau bekomme ist auch die Integration als Ausländer*in leichter. Ausländer*innen, die Fremden, das waren für mich in Landeck immer die anderen. Jetzt bin ich selbst „die andere“ und erlebe, wie es sich anfühlt, wenn man wegen seiner Herkunft, seinem Akzent oder anderen Fremdheiten kritisch beäugt wird. Einmal im Jahr bin ich keine Ausländerin, nämlich dann, wenn wir nach Landeck auf Besuch kommen. Allerdings sind wir auch keine Tiroler Familie mit den 4 Sprachen, die wir sprechen, den anderen Essgewohnheiten, die wir haben, oder dem skandinavischen Lebensstil, an den die Kinder und ich so gewöhnt sind. Dieser Lebensstil wirkt sich auch stark auf die Kindererziehung aus. Die dänische Kindererziehung ist frei, die Zusammenarbeit zwischen Erwachsenen und Kindern auf Vertrauen und Akzeptanz aufgebaut. Fælleskab heißt das Zauberwort, oder auf Deutsch „Gemeinschaft“ und „Gemeinschaftsgefühl“, das u.a. durch gemeinsame Rituale und Traditionen, Mitbestimmung und Mitgestaltung von klein auf und die Vermittlung von Werten wie Solidarität und Verantwortungsbewusstsein gelehrt und gelebt wird. Und obwohl wir hier ohne Familie leben, haben unsere Kinder eine starke Bindung zu anderen Erwachsenen, von denen sie lernen. Das entlastet uns als Eltern sehr.
„Mama, was ist das für eine Wand?“ „Das sind die Berge, mein Schatz!“ Als wir vor ein paar Jahren mit dem Auto von Kopenhagen nach Landeck fuhren, fragte mich mein Sohn, was das für eine Wand sei? „Das sind die Berge, mein Schatz. Die gibt’s hier überall in Tirol.“ Und seitdem sind beide Buben immer sehr daran interessiert auf den Berg zu gehen, wenn wir auf Besuch sind. Es gibt Omas Braten und Kasknödel, Spaziergänge mit Opa und Besuche bei Tanten, Onkeln, Cousinen und Cousins, wofür die Zeit einfach immer zu knapp ist. Wir vergessen oft, dass man in Landeck die 3 Euro für den Extrawurstsemmel mit Gurken in Bargeld mithaben sollte, genauso wie die 500 Euro, um die Skiausrüstung für die ganze Family zahlen zu können. Ein großer Unterschied zu Dänemark, wo wir nur eine Münze für den Einkaufswagen brauchen, und sonst alles mit dem Handy bezahlen. Für meine Kinder und meinen Mann sind die Besuche in Tirol ein Ausflug im Jetzt in die Berge mit Speck, Käse und Vinschgerlen, für mich immer eine Reise in die Vergangenheit.
Schon in jungen Jahren habe ich davon geträumt die Welt zu sehen. Rückblickend waren die Jahre in Landeck sehr prägend und unbewusst habe ich mich für ein Leben in einer kleinen Stadt außerhalb von Kopenhagen entschieden, die trotz der Unterschiede auch Parallelen zu meiner Kindheit in Landeck hat. Hier können wir die Schule und die Arbeit zu Fuß oder mit dem Rad erreichen. Obwohl sich die Dänen aus Klatsch und Tratsch aus dem Leben der anderen raushalten, kennt man sich in der Nachbarschaft und hält oft für einen kurzen Plausch an. Der Fußballklub für die Kinder und der tägliche Spaziergang erinnern mich auch an Landeck. Trotz der Unterschiede in der Gleichberechtigung, der geringeren Verdienstlücke zwischen Frau und Mann, der frühen Förderung von Kindern in Dänemark und der guten Work-Life-Balance, die so wichtig für meine mentale Gesundheit ist, sehe ich bei unseren Besuchen in Landeck auch immer sehr deutlich, dass uns mehr verbindet als trennt.
Letztendlich wollen wir alle nur das eine, ob in Landeck oder Kopenhagen: uns selbst und unseren Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Als österreichisch-portugiesische Familie haben wir das erreicht, als Ausländer fern der Heimat. Und wie glücklich sind wir, mehr als eine Heimat in diesem Leben zu haben.
Stefanie Praxmarer-Fernandes
Der Bagsvaerd See in der Nähe ihres Hauses, wo sie … Foto: Stefanie Praxmarer-Fernandes
… regelmäßig ihre Runden dreht Foto: Stefanie Praxmarer-Fernandes