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Griaß enk aus … Istanbul in der Türkei, Wien und dem Burgenland

„Griaß enk aus …“ ist eine RUNDSCHAU-Serie, in der „Auslandslandecker“ zu Wort kommen. In ihren „Briefen“ ermöglichen sie Lesern einen Blick auf das Leben in einem manchmal sehr weit entfernten Teil der Welt. Viel Freude beim Lesen, Sicherinnern, falls Sie den Absender kennen, und Neues Erfahren. Die Redaktion
4. Juni 2024 | von Daniel Haueis
Griaß enk aus … Istanbul in der Türkei, Wien und dem Burgenland
Gerhard Ender 1971 in Istanbul, 1982 in Istanbul und aktuell. Fotos: Gerhard und Hedy Ender
Ich war in der fünften Klasse des Gymnasiums, als unser Englischlehrer uns eröffnete, dass er uns verlassen und an die österreichische Schule in Istanbul gehen werde. In Landeck geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, kam ich nach dem Studium als Lehrer ans Land­ecker Gymnasium. Es war schön, es war fast alles schön, ich war jung, ziemlich beliebt, spielte beim SV Fußball, blies bei der Stadtkapelle die Trompete, hatte viele Freunde, man könnte sagen, es passte alles. Doch irgendwann wurde mir klar, ich muss raus. So sehr ich die Berge liebte, sie waren zu hoch. Sie verdeckten die Sonne, die uns im Winter erst gegen Mittag mit ihren Strahlen traf. Die Nebel hingen im November unter Stanz, ich fühlte mich eingesperrt. 1970 folgte ich meinem Englischlehrer und ging nach Istanbul.

Der Direktor des Landecker Gymnasiums verabschiedete mich als Renegat, meine Mutter weinte, da sie dachte, sie würde mich nie mehr wiedersehen. Ich wollte so 2 oder 3 Jahre bleiben. Doch diese Stadt wurde zu meiner zweiten Heimat. Ich war fasziniert vom orientalischen Leben, von den Moscheen, Minaretten, den Gerüchen (guten und schlechten), von der Quirligkeit, vom Geschrei, vom Hupen der Bosporus-Schiffe und ganz besonders vom Meer. Neben dem Bosporus, die Meeresstraße zwischen Eu­ropa und Asien, und dem Goldenen Horn (damals eher eine Kloake) gibt es das Marmarameer und das Schwarze Meer. Das Geräusch der Wellen und der Meergeruch sagten mir täglich, wo ich war.
Die Schule unterschied sich sehr von einem österreichischen Gymnasium. Da war einmal die „Hardware“, wie am Boden festgeschraubte Dreierbänke für die Schüler, die Räume waren mit 40 bis 50 Kindern überfüllt, kaum ein Fenster war zu öffnen. Äußerst lebhafte und auch verwöhnte Kinder könnte man als die Software bezeichnen, die es zu bearbeiten und zu bändigen galt. Schon nach kurzer Zeit war mir klar, dass meine österreichischen Methoden hier nicht griffen. In der Türkei musst du der Boss sein, du musst zeigen, dass du stärker, besser, überlegen bist. Als ich das mitbekommen hatte, begann für mich als Lehrer eine wunderschöne Zeit in Istanbul. Ich hielt mich daran bis zum Ende meines Aufenthaltes und fuhr sehr gut damit. Natürlich habe ich mich im Laufe der Jahre auch mit der türkischen Sprache angefreundet.
Sehr oft werde ich gefragt, was der Unterschied zwischen österreichischen und türkischen Schülern sei. Die türkischen Kinder sind genauso begabt wie unsere österreichischen, sie sind aber fleißiger, sie haben einen sehr starken Willen etwas zu erreichen, sie sind im Auswendiglernen wahrscheinlich Weltmeister, was für mein Fach (Mathematik) nicht gerade erwünscht war. Verstehen und Denken waren meine Vorgaben und sie lernten es, sie lernten es sehr gut. Das Größte aber ist die Dankbarkeit, die Zuneigung und die ehrliche Freude, mit der sie einem ehemaligen Lehrer begegnen. Ich bin fast jedes zweite Jahr zu einer Maturafeier in Istanbul eingeladen. Das gibt es in Österreich nur sehr selten.

Das Leben in Istanbul war für Ausländer sehr angenehm, wenn man genug verdiente. Das war am Anfang nicht der Fall, änderte sich aber ab meinem zweiten Jahr. Wir lebten in einer Ausländerglocke, vor allem Deutsche und Österreicher. Daneben gab es dann, so man es wollte, auch türkische Freunde. Ich hatte welche, mit denen ich bis zu deren Tod in Kontakt war. Allerdings darf man auch die negativen Seiten nicht vergessen. Zwei Militärputsche mit zwei Militärregierungen (1971 und ab 1980), eine Cholera­epidemie 1971, Ausschreitungen gegen die griechische Minderheit anlässlich des Zypernkonflikts 1974, ab 1977 politische Instabilität mit täglich bis zu 15 politischen Morden, Demonstrationen, Aufmärsche, Krawalle. Verbunden damit der wirtschaftliche Niedergang. Es gab keinen Kaffee, kein WC-Papier, keine Zigaretten, keine Schokolade und viele weitere Artikel des täglichen Bedarfs fehlten. Vor allem aber, es gab kein Benzin bzw. Diesel. Man musste als Mann bis zu acht Stunden anstehen, um 20 Liter zu ergattern. Wir Ausländer schickten meistens unsere Frauen zum Tanken, sie wurden vorgelassen und waren nach einer halben Stunde mit einem vollen Tank wieder zu Hause. Dass wir in einem islamischen Land lebten, hat unser Leben nie beeinflusst und war für uns nie ein negativer Faktor

In all diesen Jahren fuhr ich zumindest einmal im Jahr nach Österreich und natürlich auch nach Landeck. Landeck war und ist meine Heimat, hier lebten meine Mutter und mein Bruder, hier lebten und leben viele meiner besten Freunde, hier lebt mein Sohn Gerhard. Es war immer schön in Landeck, so das Wetter passte, es war vor allem schön, dass auch trotz der Jahre der Abwesenheit die Verbundenheit mit vielen Menschen erhalten blieb. Und jedes Mal, wenn ich auf die Trams ging, hatte ich Tränen in den Augen. Meine glückliche Kindheit und Jugend in Landeck stand wieder vor mir auf.
Nach meiner ersten Zeit in Istanbul kehrte ich 1982 aus privaten Gründen nach Österreich zurück und bekam eine Stelle am Vorstudienlehrgang der Wiener Universitäten. Das war etwas vollkommen Neues für mich. Der Lehrgang ist eine Einrichtung der Wiener Universitäten, um Ausländer vorzubereiten, die in Wien studieren wollen. In erster Linie mussten diese Studenten Deutsch lernen, aber es wurden ihnen je nach Herkunftsland auch verschiedene Fächer vorgeschrieben, in denen sie eine maturaähnliche Prüfung abzulegen hatten. Wien war und ist natürlich nicht mit Landeck und auch nicht mit Istanbul zu vergleichen. Gegen Istanbul war es (in den 1980er-Jahren) gemütlich und langsam, ab 19 Uhr waren die Straßen leer (was mich sehr an Landeck erinnerte). Der große Unterschied zu meinem bisherigen Leben lag im großen Kulturangebot der Stadt, sei es Theater, Oper, all die kleinen, aber tollen Bühnen und die vielen Ausstellungen der verschiedenen Museen. Auch meine Arbeit als Lehrer war sehr interessant, da ich mit Studenten aus aller Welt zu tun hatte.
Nach acht Jahren Wien zog es mich wieder nach Istanbul. Natürlich hatte sich auch Istanbul in all den Jahren, die ich dort verbrachte, geändert. In meiner ersten Zeit gab es keine Autobahnen, keine Brücke über den Bosporus (die erste wurde 1973 fertiggestellt), es gab keine Ampeln, es gab Einbahnen, an die sich aber niemand hielt, es gab fast nur amerikanische 8-Zylinder-Autos, ich könnte es beliebig fortsetzen. In den Neunzigern gab es fast nur noch europäische oder japanische Autos. Es gab jetzt zwei Brücken über den Bosporus, es gab jede Art europäischer Waren zu kaufen, man begann den Bau der U-Bahn, man musste nun bei einer roten Ampel anhalten. Doch das, warum ich so an der Stadt hänge, ist geblieben. Die Freundlichkeit der Menschen (vor allem, wenn man ein bisschen Türkisch spricht), die Szenerie, der Orient, die Gerüche und das Meer.

Nach weiteren acht Jahren in der Stadt meiner Träume hieß es endgültig Abschied zu nehmen und nach Wien zurückzukehren. Da die Pension immer näher rückte, kauften wir uns ein kleines Häuschen im Südburgenland. Sanfte Hügel, viel Sonne, Sonnenuntergänge wie in der Karibik und viel Grün erfreuen mich in diesem Teil Österreichs. Auch die Mentalität der Menschen ist mir aus meiner Tiroler Heimat sehr bekannt, stur, schwer verständlich und als nicht Einheimischer ist man das, was man auch bei uns ist: ein Zuagraster. Aber wir haben so die Möglichkeit der Großstadt Wien zu entfliehen, am burgenländisch-steirischen Dorfleben teilzuhaben und rundherum die Natur zu genießen.

Ich habe es nicht geschafft oder nicht gewollt, ich bin weder ein Wiener und schon gar nicht ein Burgenländer geworden. Im Herzen war ich immer Tiroler und Landecker.

Gerhard Ender
Griaß enk aus … Istanbul in der Türkei, Wien und dem Burgenland
Istanbul mit Hagia Sophia in den Siebzigern, Istanbul in den Siebzigern Fotos: Gerhard und Hedy Ender
Griaß enk aus … Istanbul in der Türkei, Wien und dem Burgenland
Istanbul, Blick auf den Bosporus von Familie Enders Wohnung aus, Istanbul in den Siebzigern Fotos: Gerhard und Hedy Ender
Griaß enk aus … Istanbul in der Türkei, Wien und dem Burgenland
Familie Enders Garten in Rohrbrunn, Blick zur Riegersburg und Koralpe, Ballonflug in der Steiermark (2023) Fotos: Gerhard und Hedy Ender

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