Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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„Mama, ich will kein Mädel sein!“

14. Jänner 2020 | von Nina Zacke
Für Dave Hütter – hier am Bett in seinem Zimmer – hat ein neues Leben begonnen. RS-Foto: Unterpirker
Nun wartet auf Dave noch eine komplizierte Operation. RS-Foto: Unterpirker
Dave Hütter: „Man soll den Mut haben, sich zu outen.“ RS-Foto: Unterpirker
Volle Unterstützung für Dave kommt auch von seinen Eltern Markus und Edith. RS-Foto: Unterpirker

Transsexualität: David Hütter aus Landeck will raus aus dem Grauen und rein in die bunte Vielfalt


  David Hütter ist 19 Jahre alt, und er ist ein sogenannter Transgender. Dave, wie man ihn nennt, hieß früher Franziska. In der RUNDSCHAU spricht der Landecker Tischlerlehrling erstmals über sein Leben, und das, was er bis heute durchgemacht hat. Es ist ihm ein großes Anliegen, Leidgenossen viel Mut zu geben, jenen Weg zu gehen, den er für sich beschlossen hat, zu gehen.   Von Albert Unterpirker   „Es ist der richtige Körper, aber es sind die falschen Geschlechtsmerkmale“, sagt Dave. Eigentlich haben ihn seine Freunde bis zu seinem 16. Geburtstag unter dem Namen Franziska gekannt. Dave ist als Mädchen zusammen mit einer Zwillingsschwester auf die Welt gekommen. Mit sechs Jahren habe er das erste Mal richtig gemerkt, „dass ich anders bin“, so Dave. „Ich war mit meinem besten Freund im Park spielen, und ich war eigentlich gleich wie er – nur hab ich halt dieses Geschlecht nicht gehabt. Ich war vom Geschlecht her ein Mädel, aber vom Kopf her ein Bub.“ Auch sein Verhalten war wie ein solcher. Schon immer habe er sich als Junge gefühlt. „Aber richtig gemerkt habe ich es in der Pubertät“, blickt Dave zurück. „Als meine Brüste angefangen haben zu wachsen und ich die Periode bekommen hab’.“ Beim RUNDSCHAU-Gespräch in der elterlichen Wohnung ist Dave beim ersten Eindruck nicht anzumerken, was er in den letzten Jahren durchgemacht hat. Die Pubertät war für ihn die „schlimmste Zeit, da hab’ ich nicht gewusst, was los ist. Ich hab’ mich nicht mehr ausgekannt und hab’ alles als falsch empfunden.“ In dieser Phase kamen „depressive und suizide Gedanken“, bis er dann mit 16 Jahren beschlossen hat: „Ich bring’ mich um – oder ich oute mich!“ Aber Dave ist ein starker Charakter, zumindest ist er einer geworden. Er entschloss sich, seiner Familie mitzuteilen. Vorher hat es von ihnen keiner gewusst.   GUTACHTEN. „Das war zuerst ein Schock für die Mama“, erzählt Dave. Trotzdem hat die Mutter – wie auch sein Vater – gut reagiert. Auch für seine Zwillingsschwester und seinen älteren Bruder ging wegen dieser Meldung die Welt nicht unter. Außerdem wollte Dave nun weitere Taten setzen. Vorerst ging es um eine Hormontherapie, und dazu brauchte es ein Gutachten, das feststellte, dass er ein Transgender ist. Dieses Gutachten, das er von einer Innsbrucker Psychotherapeutin nach nur einer Sitzung erhielt, gab ihm die Erlaubnis, gegengeschlechtliche Hormone (Testosteron) zu nehmen. Seither bekommt Dave regelmäßig Hormonspritzen, dadurch veränderte sich auch seine Stimme, wurde dunkler. Unangenehmer waren da schon die beiden Operationen, die Dave hatte, namentlich Brust- und Gebärmutterentfernung. Angst davor habe er nicht gehabt, „aber Respekt“, sagt der Landecker Tischlerlehrling. Beide Male war er deswegen vier Tage im Krankenhaus Schwaz, danach je einen Monat im Krankenstand. Wie ist es ihm danach gegangen? „Ich habe mich erleichtert und freier gefühlt“, lächelt Dave, „und es ist mir viel besser gegangen! Nach der Brustentfernung sowieso, weil dann hab’ ich endlich mal schwimmen gehen können ohne T-Shirt, nur mit Badehose!“ Die Hormonbehandlung braucht er das ganze Leben.   KOMPLIZIERT. Wenn es nur das wäre. „Es gibt noch einen längeren Weg“, sagt Dave, „denn jetzt steht noch die schwierige geschlechtsangleichende Operation an.“ Auch davor habe er keine Angst. Freilich ist diese Operation viel komplizierter. „Weil man nicht weiß, ob der Körper das annimmt – aber ich muss das machen, sonst bin ich für mich nicht komplett.“ Jetzt spart Dave auf diese Operation, und er weiß noch nicht, ob er sie in Österreich oder in Deutschland (z.B. Potsdam) machen soll. Es würden Kosten um die 50.000 Euro sein. Oder noch höher. Aber wie war es für die Eltern, als ihnen ihre damals noch vermeintliche Tochter ihr Leid geklagt hatte? „Als er das gemacht hat, war das schon mehr als reif und mutig“, sagt Vater Markus, der es als Zweiter erfuhr, stolz. Mutter Edith erinnert sich: „Man hat in diesem Sommer gemerkt, dass er in einem brutalen psychischen Loch drin war. Dann ist er an einem Sonntag zu mir gekommen und sagte: ‚Mama, ich muss mit dir reden – ich will kein Mädel sein!‘“ Irgendwie sei sie aus allen Wolken gefallen, aber schlussendlich fasste sich die Mutter und erklärte dem Vater die Situation. Dieser meinte nur: „Na und! Wenn sie damit glücklich ist! Der Mensch bleibt ja der gleiche, das ändert sich nicht.“ Schmunzelnder Nachsatz und mit liebevollem Blick in Richtung des Sohnes: „Das einzige, was er nun verlernt hat, ist das Multitasking.“ Das Motto für die gesamte Familie lautete nun: „Wir müssen das unterstützen!“ Viel Unterstützung erhielt Dave auch in seinem schulischen Hort, dem Sonderpädagogischen Zentrum in Zams. „Dieses Selbstbewusstsein hat er nur durch diese Schule bekommen“, ist es der Mutter wichtig, das an dieser Stelle festzuhalten. In diesem Zusammenhang braucht es auch psychologische Unterstützung. „Wünschenswert wäre, dass sich die hiesigen Psychologen bzw. die Psychiatrie im Krankenhaus Zams vermehrt mit dieser Materie befassen“, sagt Mutter Edith.   SICH TRAUEN. Den Namen David hat sich Dave übrigens selbst ausgesucht. Gänzlich neu ist für ihn ein Buben-Name nicht. „Die Jungs, mit denen ich gespielt hab’, haben mich Franzl genannt“, erzählt Dave, „und als ich ihnen alles erzählt hab’, meinten sie nur: ‚Ja mei, das haben wir doch schon immer gewusst!‘“ Nur seine beste Freundin hat sich von ihm abgewendet. Was ist für Dave nun der größte Wunsch? „Sobald wie möglich die Angleichung machen, hoffentlich aber bis spätes-tens 2023. Und dass ich dann mal eine Frau finde, die mich so akzeptiert wie ich bin.“ Der junge Landecker lacht plötzlich auf: „Jetzt wäre es mir schon auch wurscht!“ (eine Freundin zu finden, Anm.). Und welche Botschaft hat Dave an Leidgenossen, derer es im Tiroler Oberland etliche gibt (hohe Dunkelziffer)? „Sich trauen, das öffentlich zu machen. Es braucht sich keiner zu verstecken, und man soll den Mut haben, sich zu outen. Viele meinen, sie bilden sich das ein. Aber so ist es oft nicht.“   Transgender-Vortrag Balian Buschbaum spricht unter dem Titel „Vielfalt er-Leben“ am 24. Jänner um 19 Uhr im Stadtsaal Landeck. Balian Buschbaum – ehemals Yvonne Buschbaum – war vor seinem Coming-Out eine bekannte Leichtathletin. Eintritt: freiwillige Spenden. Nähere Infos: www.vielfalt-erleben.org.  
Nun wartet auf Dave noch eine komplizierte Operation. RS-Foto: Unterpirker
Dave Hütter: „Man soll den Mut haben, sich zu outen.“ RS-Foto: Unterpirker
Volle Unterstützung für Dave kommt auch von seinen Eltern Markus und Edith. RS-Foto: Unterpirker

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