Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Nur wer Erinnerung hat, hat auch Zukunft

2. Juli 2019 | von Nina Zacke
„Es lebe die Freiheit“ schrie Hans Scholl, gespielt von Hartwig Ladner, kurz vor seiner Hinrichtung 1943. Die „Theatergruppe Vorderes Ötztal – Gegenwind“ bringt einmal mehr ein kontroversielles, schwieriges Stück auf die Bühne. RS-Foto: Hirsch
Verhaftet, verhört, zum Tode verurteilt. Das Theaterstück „Die Weiße Rose“ erzählt die Geschichte der Widerstandgruppe in Rückblenden. Nora Winkler als Sophie Scholl, Hartwig Ladner als Hans Scholl und Andreas Flür als Robert Mohr (v.l.) RS-Foto: Hirsch

Die „Theatergruppe Vorderes Ötztal – Gegenwind“ bringt „Die Weiße Rose“ auf die Bühne


Eindrucksvoll und unter die Haut gehend. Eine Prämiere der „Theatergruppe Vorderes Ötztal“, die keinen kalt gelassen hat. „Gegenwind“ zeigte einmal mehr, dass Theater ein Spiegel sein kann – ein Spiegel der Gesellschaft. Gestern, heute und morgen. „Die Weiße Rose“ ist wahrlich nicht der Stoff, aus dem die Märchen fürs Theater sind. „Gegenwind“ erzählt eine wahre Geschichte, die es nach mehr als 70 Jahren immer noch und mehr denn je zu erzählen gilt. Ein Prämierenbericht.


Von Friederike Hirsch


Ein sonnige, heißer Abend im Juni im Ötztal. Die Besucher der Prämiere „Die Weiße Rose“ sind gut gelaunt. Man freut sich auf einen Theaterabend. Einen Abend unter blauem Himmel und leichter Brise. Lukas Leiter, Regisseur und Obmann der Theatergruppe, betritt die Bühne. Fast ausdruckslos verliest er die original Anklageschrift aus dem Jahr 1943. Ein grauer Stuhl, eine schwarze Wand und drei Lichtstrahler am Boden. Die 70 Zuschauer werden ruhig. Es ist 20.20 Uhr und plötzlich branden Maschinengewehrsalven auf. Not, Tod und Kriegswirren waren bis dahin weit entfernt. Auf einmal, wie aus heiterem Himmel, befinden sich die Prämierengäste mitten im Jahr 1943. Wir schreiben den 18. Februar 1943, als die Geschwister Sophie und Hans Scholl an der Universität München Flugblätter der Weißen Rose auslegen. Sie werden vom Hausmeister entdeckt, von der Gestapo verhaftet und vier Tage später vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt.




Verhaftet, verhört, zum Tode verurteilt. Das Theaterstück „Die Weiße Rose“ erzählt die Geschichte der Widerstandgruppe in Rückblenden. Nora Winkler als Sophie Scholl, Hartwig Ladner als Hans Scholl und Andreas Flür als Robert Mohr (v.l.) RS-Foto: Hirsch

Die Rollen

Nora Winkler, als Sophie Scholl, verkörpert die Figur der jungen, idealistischen Nationalsozialistin, bis hin zur erklärten und entschlossenen Gegnerin des Regimes, mehr als glaubwürdig. Mit jeder Faser ist sie Sophie Scholl. Begeistert, hoffnungsvoll, melancholisch, verzweifelt, fröhlich, leicht und traurig, schwer. Hartwig Ladner, in den Rollen als Hans Scholl und Fritz Hartnagel besticht nicht minder. Gemeinsam ist den Männern nur ihre Liebe zu Sophie. Einmal ist Hartwig Ladner der wütende Student Hans Scholl, der das Regime stürzen will und dann wieder schneidiger Verlobter und Wehrmachtssoldat Fritz Hartnagel, der noch immer an Pflicht und Gehorsam glaubt. Er verkörpert zu jeder Sekunde beiden Rollen brillant. Engelbert Kaneider überzeugt gar in drei unterschiedlichen Rollen. Er ist Robert Scholl, Vater von Sophie und Hans und zugleich Hausmeister Jakob Schmid, der die Geschwister der Gestapo übergibt. Er ist aber auch Kurt Huber, Professor an der Universität München, der sich der Weisen Rose anschließt. Tamara Hechenberger, zu sehen als Susanne, Else Gebel, Wärterin überzeugt ebenso, wie Mathias Walch als Braunhemd und Gerhard Hechenberger als Ankläger und Richter Roland Freisler. Andreas Flür brilliert in drei Rollen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Er ist Robert Mohr, Christoph Probst und Gestapo-Beamter. Robert Mohr leitete die Sonderkommission, die für die Suche nach der Widerstandsgruppe Weiße Rose verantwortlich war. Er verhörte vom 18. bis 20. Februar 1943 Sophie Scholl und brachte sie dazu, die Verteilung der Flugblätter der Weißen Rose zu gestehen. Eindringlich, überzeugend agiert Andreas Flür. Spricht leise und sanft, um zu manipulieren. Wird laut und handgreiflich, um endlich ein Geständnis zu erzwingen. Als Christoph Probst, deutscher Medizinstudent und Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose zeigt er sich durchdrungen von Freiheitsgedanken und einem humanistischen Weltbild Andreas Flür glänzt in beiden Rollen. Mimik und Gestik ändern sich, die Haltung wird eine Andere und selbst die Stimme verändert sich, sobald Andreas das Kostüm wechselt.



Die Inszenierung

Die „Theatergruppe Vorderes Ötztal“ erzählt die Geschichte der Weißen Rose in Rückblenden, ohne aufwendiges Bühnenbild und ablenkende Requisiten, dafür zum Teil im Zuschauerraum und unter Einbeziehung des Publikums. Konzipiert ist das Stück für zwei Frauen und fünf Männer, die dabei in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen müssen. Lukas Leiter und den Schauspielern gelingt es, den Zuschauer auf eine Reise in die Abgründe einer Diktatur zu führen. Es geht nicht darum, nur historische Fakten zu vermitteln, sondern Menschen und ihre Schicksale über eineinhalb Stunden zu begleiten. Eindringlich, pathosfrei und zurückgenommen zeigt die Inszenierung, wie es den Menschen damals ging und man begreift, was es hieß, damals zu leben. Erschreckend die Erkenntnis, wie schnell man für seine Überzeugungen sterben konnte. Damit die Geschwister Scholl und Christoph Probst nicht als starre mythenumrankte Helden verharren, sondern jeder neuen Generation zum lebendigen Vorbild werden, dafür sorgen Theaterstücke wie dieses.

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