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Alter Herr mit weißem Bart

Kapellen – Heilige – Legenden (Teil 33) Gedanken zur Darstellung Gottvaters in der Winklerkapelle in Bach

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht’s nach Bach.
24. Mai 2022 | von Jürgen Gerrmann
Ein populäres Bild, das aber auch seine fragwürdigen Seiten hat, findet sich auch in der Winklerkapelle von Bach: der alte Mann mit dem weißen Bart. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann

Ihr Wurzeln reichen gut dreieinhalb Jahrhunderte zurück, vor knapp 300 Jahren erhielt sie ihr heutiges äußeres Aussehen – und wie eh und je steht sie am Hauptverbindungsweg (respektive -straße) zwischen Bach und dem Nachbarort Stockach: Ihr eher schlichtes Inneres verdankt die Antoniuskapelle (oder Winklerkapelle, wie die meisten ob ihrer Nähe zum Bacher Ortsteil Winkel sagen) freilich nicht einer bewussten Entscheidung der Menschen im Lechtal. Sondern herrschaftlicher Willkür.

NACH DER PEST ERBAUT. Anlass zum Bau des kleinen Gotteshauses hatte wohl die Seuche gegeben, die während des Dreißigjährigen Krieges auch im Außerfern mit brutaler Gewalt wütete: Auch in der Nähe der Antoniuskapelle befand sich einstens wohl (wie Karlheinz Eberle auf seiner Internetseite verren.at schreibt) ein Pestfriedhof. Darauf deutet auch der Name des kleinen Kirchleins hin: Der heilige Antonius von Padua zählt wie seine „Kollegen“ Sebastian und Rochus von Montpellier zu den in deutschsprachigen Landen wohl am meisten angerufenen Pestheiligen. Eberle geht daher davon aus, dass Hans Selb und seine Frau Anna (eine geborene Klotz) 1668 wohl ein Gelöbnis aus jenen schrecklichen Jahren einlösten – eine solche Katastrophe sollte sich nie mehr wiederholen. 1680 wurde diesem Andachtsort dann die Messlizenz erteilt, und 53 Jahre später baute man dann die Kapelle in vergrößerter Form neu. Die Menschen in diesem Teil des Lechtals waren wohl so eng mit ihr verbunden, dass sie ihre Ausstattung stets erweiterten – 1743 kamen etwa Kreuzwegstationen hinzu. Am 15. Dezember 1786 gab es indes ein gravierendes Ereignis: Kaiser Joseph II. legte in einer Verordnung „für alle KK. Erbländer“ fest, wie mit dem in als „entbehrlich“ eingestuften Kirchen und Kapellen aufzufindenden Interieur umzugehen sei. „Unter Hinzuziehung des Ortspfarrers“ musste dabei das zur Kapelle gehörende Vermögen inventarisiert und einem Kirchendepositorium übergeben werden. Und von dort wurden die Kleinodien des Volksglaubens oft verkauft. Daher rührt es also, dass, wenn man die Antoniuskapelle betritt, der Blick sofort auf den Altar fällt. Dessen zentrales Bild zeigt natürlich den Namensgeber des Kirchleins. Mit ihm hatten wir uns ja schon im Zusammenhang mit der Folge über die Antoniuskapelle in Mühl beschäftigt. Aber es lohnt sich, auch „eine Etage höher“ zu schauen. Dort finden sich nämlich Jesus und sein Vater im Himmel, und darüber schwebt der Heilige Geist.

EIN BILDERVERBOT? Damit soll wohl die Dreieinigkeit Gottes zum Ausdruck kommen. Aber Moment mal? Steht da nicht irgendwas in der Bibel, angesichts dessen man ins Grübeln geraten kann? Ach ja, richtig: 2. Buch Mose, Kapitel 20: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen...“
Und dennoch finden sich natürlich nicht nur in der Winklerkapelle Darstellungen des Schöpfers. Wie kam es eigentlich dazu? Nun, das Judentum nahm und nimmt diese Vorschrift immer noch sehr ernst. In der Tora (im Christentum das Alte Testament) tauchen daher nur Symbole auf: Ein Windhauch, ein Säuseln, aber auch ein Sturm, ein Fels, eine Burg oder eine Feuersäule. Das buchstäblich „Greifbarste“ im Zusammenhang ist  wohl eine Holzkiste auf Tragestangen: Die Bundeslade. Sie soll verloren gegangen sein, als Babylons König Nekubadnezar II. etwa 586 vor Christus Jerusalem eroberte und die Elite der jüdischen Bevölkerung in seine Heimat verschleppte. Das „Bilderverbot“ des Buches Mose wird übrigens auch als ein Zeichen der Abgrenzung gegenüber den anderen Kulturen im Vorderen Orient angesehen, die die verschiedensten Kultstandbilder anbeteten. Auch die Israeliten waren davor ja anfangs nicht gefeit: Der „Tanz ums goldene Kalb“ (aus Frust während der Wanderschaft durch die Wüste) gehört ja heute noch zum festen Repertoire der deutschen Sprache und Sinnbilder. Und so nimmt es kein Wunder, dass es die frühen Christen sehr ernst mit diesem Gebot nahmen. Über ein Jahrtausend hinweg findet sich so gut wie keine Darstellung. Allerdings behalf man sich durchaus: Gott war ja in Jesus Mensch geworden – und Menschen durfte man abbilden. Schließlich sagte der auch im Johannesevangelium: „Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen.“ Und so zeigte man ihn auch in den verschiedensten Situationen und Zusammenhängen: als guten Hirten, als Kind in der Krippe, gemeinsam mit seinen Jüngern, beim letzten Abendmahl sowie natürlich am Kreuz und (wohl der engste Zusammenhang mit dem Vater) als Weltenrichter. Wobei diese Liste noch äußerst unvollständig ist.

FRAGWÜRDIGES KLISCHEE. Etwa zu der Zeit, als die Stauferkaiser den Thron des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erklommen hatten, änderte sich das dann. Die einfachen Menschen, die weder lesen noch das Latein der Messe verstehen konnten, sehnten sich nach einer konkreteren Ahnung, ja nach einem „Bild“ von Gott. Und dieser Wunsch wurde ihnen erfüllt. In den ersten beiden Jahrhunderten sah man zunehmend noch eine weitere Gestalt neben Jesus. Übrigens: Im selben Alter. Denn die damaligen sakralen Künstler wollten ja die „Wesensgleichheit“ von Sohn und Vater unterstreichen. Aber dann brach sich das menschliche Vater-Sohn-Bild eben doch Bahn: Der „alte Mann mit langem weißen Bart“ war geboren. Und bis heute hat sich dieses Eben-Bild in den meisten Menschen verfestigt. Ein populäres Klischee, das aber wie alle Klischees durchaus auch seine fragwürdigen Seiten zu haben vermag.
Und das hat Judith Werner von der Jungen Kirche der Erzdiözese Wien in einem Artikel eindrucksvoll thematisiert. Sie ist zum Beispiel der Meinung, dass Gott dadurch zu einem „vergänglichen, verletzlichen und altersschwachen Gebilde“ degradiert werde, bei dem man sich frage, ob es in der Welt von heute überhaupt noch etwas bewirken könne. Zudem hätten viele Menschen nicht nur gute Erinnerungen an ihre eigenen Väter, die oft abwesend oder ungerecht oder gar jähzornig gewesen seien. Beim langen weißen Bart denke ein Großteil der jungen Leute zudem weniger an Lebensfülle und stattdessen eher an Langeweile. Und letztlich würden die weiblich-mütterlichen Aspekte im jüdisch-christlichen Gottesbild total in den Hintergrund gedrängt und stattdessen die patriarchalische Weltanschauung legitimiert.
Zum Schluss verweist sie übrigens auf ein Zitat des großen katholischen Theologen Karl Rahner: „Gott sei Dank“ (!) gibt es das nicht, was sich 90 Prozent der Menschen unter Gott vorstellen.“ Da muss sich halt jede(r) selbst auf die Suche begeben. So wie der Schnitzer des Altars in der Winklerkapelle.

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