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Assistierter Suizid – reden wir darüber

Katholisches Bildungswerk lud zum Vortrag über sensibles Thema ins Veranstaltungszentrum Breitenwang

„Was bleibt mir, wenn meine Kraft zu Ende geht? Was bleibt mir, wenn ich das nicht mehr kann, was ich immer konnte? Wer kümmert sich um mich?“ – Fragen, die sich Menschen, deren Leben sich in seiner letzten Phase befindet, oft stellen. „Ich will niemandem zur Last fallen. Wer bezahlt das alles? Ich halte es nicht mehr aus, will keine Schmerzen mehr haben.“ – Ängste, die Kranke und Sterbende oft plagen. „Ich möchte sterben.“ – Ein Gedanke, der dann oft geäußert wird. Ab 1. Jänner 2022 ist in Österreich assistierter Suizid per Gesetz und unter bestimmten Bedingungen möglich.
15. November 2021 | von Sabine Schretter
Assistierter Suizid – reden wir darüber
Sie redeten in Breitenwang über ein sensibles und sehr aktuelles Thema, den assistierten Suizid: Moderatorin Mag. Angelika Stegmayr, Dr. Klaus Gazda (Palliativteam Reutte), Martina Häsele, MSC (Palliativteam Reutte), Krankenhausseelsorger Georg Rehm, Gerhard Hartmann (Hospizteam Reutte), Hannelore Sandhacker (Katholisches Bildungswerk Lechaschau) und Dr. Werner Mühlböck (GF Tiroler Hospizgemeinschaft) (v.l.). Foto: Kath. Bildungswerk/Tscherner
Von Sabine Schretter.
Es ist ein sensibles Thema, das Fragen aufwirft, unbeantwortet lässt und daher angesprochen und diskutiert werden muss. Im Veranstaltungszentrum Breitenwang taten dies Dr. Werner Mühlböck – GF Tiroler Hospiz Gemeinschaft, Georg Rehm – Klinikseelsorger Reutte, Dr. Klaus Gazda – Palliativteam Reutte und Martina Häsele, Msc – Palliativteam Reutte.

Neuregelung.
Der österreichische Verfassungsgerichtshof entschied im Dezember 2020, dass das in Österreich geltende Verbot jeglicher Art der Hilfe zur Selbsttötung verfassungswidrig sei. Am 31. Dezember wird die entsprechende Bestimmung aufgehoben, mit 1. Jänner 2022 tritt eine Neuregelung in Kraft, die jede Form der Beihilfe zum Suizid straffrei stellt. Bis 12. November hatten verschiedene Organisationen, darunter auch die Hospiz Gemeinschaft, die Möglichkeit zur Stellungnahme. Für die  Inanspruchnahme der  Beihilfe zum Suizid gelten strenge Vorgaben: In einer beim Notar oder einem Patientenanwalt errichteten „Sterbeverfügung“ wird der Entschluss des Patienten, sein Leben beenden zu wollen, festgehalten. So eine Verfügung kann nur entrichten, wer „an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leidet, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen“. Der sterbewillige Patient muss entscheidungsfähig und volljährig sein. Minderjährige sind von einer Sterbeverfügung explizit ausgeschlossen. Vor der Errichtung einer Sterbeverfügung muss sich der Patient von zwei Ärzten aufklären lassen – ein Arzt muss über ausreichend Erfahrung im palliativmedizinischen Bereich verfügen. Patienten erhalten zudem die Möglichkeit, sich suizidpräventiv beraten zu lassen. Ist die Entscheidungsfähigkeit einer sterbewilligen Person nicht gegeben, wird ein Psychiater oder Psychologe beigezogen. Eine Sterbeverfügung kann frühestens zwölf Wochen nach der ersten Aufklärung durch die beiden Ärzte errichtet werden. Während dieser Frist besteht durchaus die Möglichkeit, dass ein Patient eine sehr kritische und akute Krise und damit den Suizidwunsch überwindet. Ist bei einem Sterbenskranken mit einem sehr raschen Tod zu rechnen, kann eine Sterbeverfügung bereits zwei Wochen nach dem Aufklärungsgespräch errichtet werden. Bei Widerruf durch den Betroffenen oder nach Ablauf eines Jahres wird die Sterbeverfügung unwirksam.
Begleitend zu dieser Neuregelung soll in Östereich die Hospiz- und Palliativversorgung flächendeckend ausgebaut werden. Ab 2022 wird es vom Bund dafür einen jährlichen Zweckzuschuss geben. Für 2021 sind 21 Mio. Euro, für 2023 36 Mio. Euro und für 2024 51 Mio. Euro vorgesehen. Ein wichtiger Schritt, wie GF Dr. Werner Mühlböck bestätigt, aber nicht ausreichend.

Gesprächsbedarf.
Für Dr. Mühlböck sind die Herausforderungen enorm, einige Fragen aber nicht ausdiskutiert: „Zu besprechen ist vor allem, wie wir mit der Situation, die ab 2022 besteht, umgehen. Als Hospizteam begleiten wir kranke und sterbende Menschen und deren Angehörige. Wir schenken Zeit, die gerade in dieser letzten oft schwierigen Lebensphase sehr kostbar ist. Wir werden dezidiert nicht beim Suizid assis-tieren“, so Mühlböck. Dr. Klaus Gazda arbeitet beim Palliativteam Reutte und erachtet das Gesetz als durchaus wichtig, weil es dem assistierten Suizid die Illegalität nimmt. „Es wird immer Fälle geben, in denen Kranke nur noch diese eine Option sehen. Oft entsteht ein Sterbewunsch aus einer tiefen Einsamkeit. Wir können mit unserer Versorgung dazu beitragen, gerade solche Situationen zu lösen.“ Für Krankenhausseelsorger (BKH Reutte) Georg Rehm wird sich mit der Neuregelung nicht viel ändern. „Wenn eine wirkliche Lebenssattheit oder Lebensmüdigkeit besteht, kann eine einfühlsame Palliativbetreuung helfen, auch andere Möglichkeiten als den Siuzid ins Bewusstsein zu rücken. Das hat auch mit dem Selbstbild eines Menschen zu tun. Man ist nicht nichts mehr wert, nur weil man nicht mehr alles kann. Lebensmüdigkeit soll nicht zwangsläufig in den Suizid führen.“ Krisensituationen, in denen ein Patient nur noch den Suizid als Ausweg sieht, sollten in Begleitung überwunden und stabilisiert werden können. Das ist auch für Martina  Häsele vom Palliativteam Reutte eine ganz klare Tatsache. Der Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung sei daher schon der richtige Ansatz, allerdings „ist das am Land oft viel schwieriger. So fehlt bei uns im Außerfern eine stationäre Einrichtung wie das Hospiz in Hall. Wir können die Betreuung an den Wochenenden oder in der Nacht nicht in dem Maße übernehmen, wie wir das gern möchten. Unsere Pflegekräfte und Schüler sind oft sehr schnell überfordert. Einserseits sollen Schüler gut vorbereitet werden, andereseits werden Ausbildungsstunden reduziert.“
Worüber zudem dringend gesprochen werden muss, ist, was passiert, wenn ein assistierter Suizid misslingt. „Immer wieder kommt es zu Fehlversuchen mit verheerenden Folgen“, gab Dr. Klaus Gazda zu Bedenken und stellte die Frage in den Raum: „Sollen Patienten, die ein letales Medikament haben wollen, dieses aber nicht einsetzen, von einem Arzt aufgeklärt werden, wie der assistierte Suizid sicher gelingt?“ Nein, waren sich die Vortragenden einig. Ein Suizidwunsch sei immer zu hinterfragen. Mit gezielten Maßnahmen kann Sterbenden der Druck des suizidalen Auswegs oft genommen werden. Aus dem Publikum kam die Frage, geäußert von Dekan Franz Neuner, wie jemand, der beim Suizid assistiert hat, damit weiterleben kann. Ein schwieriges und viel zu wenig diskutiertes Problem, bestätigte Dr. Werner Mühlböck. „Es gibt viele Studien, die belegen, dass Angehörige nach einem assistierten Suizid in ein tiefes Loch fallen und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen müssen.“ Mit der Gesetzesneuregelung werde ab 1. Jänner eine Tür geöffnet, hinter der das Leben nicht mehr das höchste Gut ist. „Es wird eine gesellschaftliche Veränderung stattfinden. Die Würde eines Menschen erhält eine andere Gewichtung: Wer todkrank ist, dessen Leben ist nicht mehr lebenswürdig. Der Ausweg daraus ist der assistierte Suizid.“

„Reden wir darüber“
heißt der Titel der Vortagsreihe des Katholischen Bildungswerks Tirol in den Bezirken. Wieder mehr zur Einheit werden, den Tod nicht an den Rand drängen, endendes Leben als würdig erachten und die kostbaren Momente wahrnehmen, Begrifflichkeiten erklären, begleiten und Alternativen aufzeigen – die Experten sind sich einig, dass noch viel zu tun ist und die Herusforderungen groß sein werden. Das sensible Thema geht alle an: Ärzte, Pflegende, Kranke, Sterbende und Angehörige. „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen – darüber muss gesprochen werden“, so Georg Rehm. Darüber reden – der Zeitpunkt ist jetzt der richtige.

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