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Bestnoten für „Life Lech“

Internationales Symposium zog höchst positives Fazit des EU-Projekts

Botaniker, Zoologen, Wasserwirtschaftler, Landschaftsarchitekten – eine Fülle von Experten aus den verschiedensten Ländern befasste sich in der zweiten Hälfte der vergangenen Woche mit dem prägenden Element des Außerfern schlechthin: dem Lech. Und als Fazit des zweiten Internationalen Lech-Life-Symposiums im VZ Breitenwang kann nur eins übrigbleiben – dieses Projekt hat sich (zumindest nach dem Urteil der Fachleute) die absolute Bestnote verdient.
27. September 2021 | von Christine Schneider/Jürgen Gerrmann
Bestnoten für „Life Lech“
So wie zwischen Weißenbach und der Johannes-Brücke sieht nach Auffassung der Naturschützer eine ideale Flusslandschaft aus. Dies wurde vergangene Woche beim zweiten internationalen Life-Lech-Symposium deutlich.
Von Christine Schneider und Jürgen Gerrmann.
Schon die zuständige Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, Elisabeth Kös-tinger, hatte in einer Videobotschaft aus Wien von dieser „einzigartigen Flusslandschaft mit faszinierendem Artenreichtum“ geschwärmt. Der in ihrem Hause für Wasserwirtschaft zuständige Sektionschef Günter Liebel erhoffte sich derweil vor Ort vom Symposium „neue Inspiration und einen erweiterten Blick auf das große Ganze“, wobei er sich auch darüber freute, dass Österreich bei Verteilung der Mittel für die Life-Projekte durch die EU ganz besonders gut abgeschnitten habe: 340 Millionen Euro seien dafür in die Republik geflossen, mehr als die Hälfte aus der EU-Kasse. Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe lobte die Veranstalter für ihr „tolles Programm für ein wunderbares Thema“. Es sei in diesen Jahren nicht nur darum gegangen, den Lech zu schützen, sondern auch darum, ihm mehr Raum zu geben: „Das war ein Naturschutzimpuls, der zugleich auch den Hochwasserschutz verbessert hat.“ Das habe wohl auch die EU honoriert, denn es sei nicht selbstverständlich, dass eine Region aus diesem Topf gleich zweimal gefördert werde. Bezirkshauptfraustellvertreter Konrad Geisler und Breitenwangs Bürgermeister Hanspeter Wagner überbrachten die Willkommensgrüße von gastgebendem Bezirk und Gemeinde.

VIELE ASPEKTE ANGESPROCHEN.
In zahlreichen Fachvorträgen wurde unter ebenso lockerer wie kompetenter Moderation durch Christoph Rohrbacher während der anschließenden eineinhalb Tage den verschiedensten Aspekten nachgegangen:  Da wurde zum Beispiel gefragt, ob die Life-Projekte zu den Flusslandschaften zu den Erfolgsprojekten für Europa zählten – und ohne Wenn und Aber mit Ja beantwortet. Man ging aber auch der Bedeutung solcher Landschaften für Gesellschaft und Forschung nach, befasste sich mit Artenschutzmaßnahmen und deren Überwachung und verhehlte auch die Interessenskonflikte nicht, die durch „Flussraummanagement“ (wie es im Fachdeutsch heißt) hie und da entstehen.
Wolfgang Klien, der langjährige Leiter des Baubezirksamtes Reutte, der baulich beide Life-Projekte unter seinen Fittichen hatte, blickte voller Freude auf all das zurück, was unter kräftiger EU-Förderung (60 Prozent der Kosten von 6,1 Millionen für die zweite Maßnahme kamen aus Brüssel) in all den Jahren geschaffen worden war, und zeigte auch mit Hilfe alter Fotos die Entwicklung des Lech im Laufe der Geschichte auf. Leider litt dieser Punkt, der eigentlich am „Gesellschaftsabend“ für eine breite Öffentlichkeit vorgesehen war, darunter, dass der Zeitpunkt gehörig durcheinandergewirbelt wurde und es an dieser Zielgruppe extrem mangelte.

VOM LECH GELERNT.
Aber das war nur ein kleiner Kratzer am Fazit dieses Symposiums. Von dessen wissenschaftlichem Leiter, Leopold Füreder, seines Zeichens Professor für Gewässerökologie an der Uni Innsbruck, wollte die RUNDSCHAU nach Abschluss des Symposiums wissen, was denn nun Europa quasi „vom Lech lernen“ könne. Aus dessen Sicht nicht zuletzt, dass er ein „Referenzsystem“ für diesen Typ darstelle. Und wie beschreibt den der Wissenschaftler? „Ein Gebirgsfluss, der sich dynamisch verzweigt.“ Früher sei das bis zur Donaumündung so gewesen: „Zum Teil war der Lech auch in Schwaben fast zwei Kilometer breit.“ Dann aber sei seine Identität durch Kraftwerksbauten und auch Hochwasserschutzmaßnahmen verändert worden und verloren gegangen.
Das Life-Projekt habe nun genauer gezeigt, wie ein solches Flusssystem funktioniere, welche Pflanzen- und Tier-Arten es geschafft hätten, sich an einen dynamischen Fluss, der sich immer wieder einen neuen Weg suche, anzupassen, wie durch eine Annäherung an den Urzustand Hochwasser abgefedert und Schäden reduziert werden könnten und unter welchen Bedingungen der „Geschiebehaushalt“ so funktioniere, dass es keine großen Eintiefungen oder zu starke Überlagerungen gebe. Füreders Überzeugung: „Wenn ein System noch wirklich natürlich ist, bleibt alles im Gleichgewicht und es gibt nirgends Probleme.“
Diese natürliche wunderschöne Flusslandschaft sei in den vergangenen Jahren selbstverständlich auch zunehmend zu einem Anziehungspunkt für Radler und Wanderer geworden. Befürchtet er dann nicht, dass dieser Magnet dann irgendwann zu stark wirkt? Der Professor schüttelt den Kopf: „Es schaut im Moment nicht nach Overtourismus aus. Und ich glaube, der Naturpark steuert da schon rechtzeitig und in die richtige Richtung dagegen – auch mit den neuen Rangern.“

DER BLICK AUFS DETAIL.
So weit das große Ganze. Aber am Lech lohnt sich auch ein Blick aufs Detail – und das können die Einheimischen am intensivsten erleben. Viele Fachvorträge beschäftigten sich gerade damit.
Als Norbert Müller von der Fachhochschule Erfurt 1988 mit seinen Augsburger Studenten den Lech besuchte, entdeckte er zum Beispiel am Kieswerk in Unterpinswang eine ganz besondere Pflanze: den ehemals an allen größeren Alpenflüssen, auch am Inn, bis zur Donau vorkommenden Zwergrohrkolben. In den vergangenen Jahren haben viele Schulklassen (etwa aus Weißenbach, Pinswang und Vils) unter der Leitung von Professor Müller und dem Naturpark Tiroler Lech mitgeholfen, den Zwergrohrkolben in der Weißenbacher und Forchacher Au wieder anzusiedeln. Müller lobte auch die gute Zusammenarbeit mit Reinhard Lentner von der Landesregierung, Abteilung Umweltschutz, und dem Baubezirksamt Reutte. Dieses Artenhilfsprogramm am Lech startete 2003, und inzwischen arbeitet auch Christina Kollnig vom Ökologischen Büro in Reutte mit an weiteren erfolgreichen Ansiedlungen in Elmen und Luxnach.
Eigentlich würde sich der Zwergrohrkolben auf sandigen Kiesbänken von Wildflüssen gut verbreiten, sagte der Wissenschaftler. Er sei ja nach der Eiszeit auch von der Donau hinauf in die Alpenflüsse gewandert. Doch wenn die Dynamik mit den alljährlichen Überschwemmungen fehle, würden die konkurrenzstärkeren Weidenbüsche oder Kiefern nicht mehr vom Fluss weggerissen. Die Folge: Weiden und Kiefern wüchsen immer höher, und die Zwergrohrkolben gingen zugrunde. Das gleiche Schicksal erleidet eine weitere Leitart der Wildflusslandschaft: die Deutsche Tamariske. Armin Landmann von der Uni Innsbruck äußerte sich kritisch zur Wiederansiedlung des Zwergrohrkolbens. Das sei ja ganz nett, aber wenn er sich da nicht mehr von selbst ausbreite, dann sei er eher gegen das Neuausbringen von Pflanzen.

 
Bestnoten für „Life Lech“
An einem der wenigen Standorte in Europa blüht der Zwergrohrkolben im Lechtal. RS-Fotos: Schneider/Gerrmann
DIE AMPHIBIEN.
Aber nicht nur die bedrohten Leitarten der Wildflusslandschaft finden im Tiroler Lechtal eine Überlebenschance. Wie Florian Glaser,Technisches Büro für Biologie, erläuterte, ist das Tiroler Lechtal ein Hotspot der Amphibienvielfalt. Besonders im unteren Teil. Da leben Alpensalamander, Bergmolch, Nördlicher Kammmolch, Teichmolch, Laub- und Grasfrosch und die äußerst gefährdete Kreuzkröte.
Bei einem gezielten Artenschutzprogramm wurden in Lechaschau, Pflach, Pinswang und Musau neue Tümpel angelegt oder vorhandene ausgebessert. Es wurde nach den Maßnahmen nachgezählt, wie die Arbeit sich auf den Amphibienbestand auswirkt. „Doch ab 2007 kam es trotz massiven Arbeitseinsatzes, trotz der neu gebauten Flutmulde in Oberpinswang, zu einem starken Rückgang. Es besserte sich ein wenig ab dem Jahr 2017. Doch 2018 war so staubtrocken, dass kein einziger Laubfrosch gesichtet wurde. Erst das Jahr 2021 brachte bescheidene Erfolge“, berichtete Glaser. Leider wurde auch mancher Tümpel wieder zugeschüttet oder in den Tümpeln Goldfische ausgebracht, die den Amphibien auch an den Kragen gingen. Insgesamt gibt es wohl einen Hauptprofiteur der umfassenden Maßnahmen, und das ist der Bergmolch. „Er ist ein richtiger Wildflussstratege“, meinte Gasser. Doch außer der Lebensraumzerstörung durch die Menschen gibt es noch eine weitere tödliche Gefahr für Amphibien: Es ist der Chytrinpilz. Er hat zu Amphibiensterben bis zur Ausrottung in Mittel- und Südamerika sowie Australien geführt: „Auch bei uns findet man ihn schon in Memmingen.“ Den genauen Auslöser für die Epidemie weiß man nicht, doch man vermutet, dass Umweltverschmutzung, Klimaerwärmung, Zerstörung der Ozonschicht oder der Einsatz von Pestiziden mitbeteiligt sind. Für die Alpensalamander wäre er tödlich, bis zum Aussterben.

SIBIRISCHE AZURJUNGFER.
Als „europäische Rarität und Lechtaler Spezialität“ bezeichnet Molinia Landmann die Sibirische Azurjungfer. Ihre Heimat ist das östliche Sibirien, und nach der Eiszeit ist sie bis ins Lechtal eingewandert: „Es ist die seltenste Libelle Europas, und ihre Lebenserwartung beträgt 12 Tage. In dieser Zeit fliegt sie vom oberen bis ins unteren Lechtal, also 30 Kilometer weit.“ Sie braucht kühle und seichte Gewässer mit Schnabel-Seggen. Legt man solche Weiher vermehrt an oder reaktiviert vorhandene, dann könnte sie im Lechtal auch weiter überleben.

DIE HEUSCHRECKEN.
Noch einmal wies auch Armin Landmann in seinem Vortrag auf den katastrophalen Zustand der Alpenflüsse hin: „Es gibt in den sieben Alpenländern insgesamt 10 500 Kilometer an Flüssen. Und von diesen Alpenflüssen sind 4,4 Prozent ökologisch sehr wertvoll und fast neun Zehntel verändert und zerstörte Flusssysteme!“ Als „Könige der Wildflüsse“ werden der Tagliamento in den Südalpen und der Lech in den Nordalpen bezeichnet. Trotz einigen Einengungen besitze der Lech immer noch weite dynamische Auen und Kiesbänke. Und da hat der Experte sich mit Heuschrecken, unter anderem der gefleckten Schnarrschrecke oder Kiesbankdornschrecke, beschäftigt. Beide Arten seien in der Schweiz schon lange ausgestorben. „Auch in den anderen Ländern sind sie verschwunden“, erläutert der Fachmann. „Grund ist der Jahrhundert andauernde Druck auf die Flüsse!“ Am schlimmsten sei der Schwallbetrieb der Kraftwerke, was sich ganz dramatisch auf viele Populationen ausgewirkt habe.
Insgesamt kann man sagen, dass das Lechtal als Rückzugsort für Wildflussspezialisten ist, dass aber auch hier der Druck auf die Arten größer wird, und sie durch Hilfsprogramme geschützt werden müssen.
Bestnoten für „Life Lech“
Freuen sich über zwei gelungene Life-Projekte am Lech: Reinhard Lentner von der Umweltschutzabteilung des Landes Tirol, Leopold Füreder von der Uni Innsbruck, der wissenschaftliche Leiter des hochkarätig besetzten Symposiums im VZ Breitenwang, und Wolfgang Klien, der langjährige Leiter des Baubezirksamts Reutte (von links).

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