Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Das harte Leben in alter Zeit – Berggeschichten Tour 11

Eine Wanderung in Berwangs Geschichte - der Hönig erzählt viel

„Willst Du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!“, erkannte einst schon Goethe. Im Außerfern liegt nicht zuletzt das Schöne so nah. Vor allem in den Bergen. Die RUNDSCHAU war nun wieder für ihre Leser unterwegs – und traf dabei auf eine herrliche Aussicht, aber auch Spuren des einst harten bäuerlichen Lebens.
25. August 2020 | von von Jürgen Gerrmann
Einfach herrlich: Die grandiose Aussicht bei einer Wanderung über den Gipfelgrat des Hönigs. RS-Foto: Gerrmann
von Jürgen Gerrmann

Kargheit bestimmte das Dasein in und um Berwang in alter Zeit: Der Boden im Tal war nicht fruchtbar genug, um Basis für ein Leben in Wohlstand zu sein, bittere Armut galt eher als Regel denn als Ausnahme. Grund: Die klimatischen Bedingungen waren einfach zu schlecht. Auf den ersten Blick scheint heute angesichts des schmucken Dorfs nicht viel an dieses harte Leben in alter Zeit zu erinnern. Aber wenn man bei einer Wanderung auf den Hönig genauer hinschaut, dann erzählt die herrliche Landschaft doch einiges von den Mühen, denen sich die Vorfahren der heutigen Berwanger unterziehen mussten – und auch von der Wende zum Guten. Die kam nämlich mit dem Tourismus. Schon 1914 wurden die ersten Skikurse abgehalten – 1949 der erste Lift in Betrieb genommen. Dessen Piste sieht man schon auf den ersten Metern dieser Wanderung, wenn man vom Dorf aus das Sträßlein nach Gröben benutzt.

OHNE VORSICHT GEHT ES NICHT. Doch nun ist Sommer, nun ist Zeit zum Wandern. Und auch dafür hat Berwang eine Menge zu bieten. Schon wenn man hinauf zum Älpele schreitet, taucht man in eine wahre Idylle ein. Aber zugleich lässt sich ablesen, dass es dort nicht immer gemütlich zugeht: Noch jetzt zeigen sich Spuren der Lawinen und Muren, die dort oft im Winter und Frühjahr abgehen, lässt sich ablesen, wie der Weg durch sie immer mal wieder verlegt wird. Und es wird einem bewusst, dass Bergführer, wie der gebürtige Berwanger Walter Falger mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung, so großen Wert darauf legen, diese Tour nur zu gehen, wenn es zwei, drei Tage nicht geregnet hat: Schon hier im Gröbental kann es glitschig sein, und oben auf dem Grasberg mit seinen supersteilen Hängen vermag ein Fehltritt schon fatale Folgen zu haben: Wenn man ausrutscht, gibt es oft buchstäblich kein Halten mehr. Wenn man die Vorsichts-Tipps beachtet, ist die Wanderung im Grunde nicht schwierig. Bricht man zu ihr auf, kurz nachdem sich der letzte Schnee verabschiedet hat, taucht man in ein wahres Blumenparadies ein: Anemone, Strauß-Glockenblume, die verschiedensten Enziane und viele andere mehr gedeihen hier prächtig, und für viele ist der Hönig der schönste Blumenberg weit und breit. Nun im August schlängelt sich der schmale Pfad zwar weitgehend durchs Gras – aber dennoch tummeln sich hier immer noch jede Menge Schmetterlinge: sei es nun Schwalbenschwanz oder der ihm ähnliche Segelfalter.

MÜHEVOLLES MÄHEN. Diese ganze Pracht ist nur etwas fürs Auge: Sie erzählt auch davon, dass die steilen Hänge noch bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts gemäht wurden. Von Hand natürlich. Bis zum Gipfel hinauf. Berwangs Altbürgermeister Peter Sprenger war mit seiner in Gröben beheimateten Familie noch als Kind mit dabei. Für ihn war das in erster Linie Vergnügen, erzählt er im Gespräch mit der RUNDSCHAU, aber Mama und Papa, Opas und Omas mussten sich in ihrem Leben schon gewaltig am Hönig schinden: „Der Berg ist an den meisten Stellen viel steiler als ein Hausdach. Da musste man oft  die Steigeisen unter die Schuhe montieren.“ Auch wenn das Mähen mit der Sense in solch schwierigem Terrain eine Plage gewesen sei: Lassen habe man es trotzdem nicht können. Der heute 75-Jährige: „Die Felder drunten im Tal waren viel zu klein – nur so drei, vier Hektar. Die Bergmahd am Hönig war da wichtig, denn die hat die dreifache Menge wie drunten geliefert. Und das hat man gebraucht, um die paar Stückle Vieh über den Winter zu bringen.“
Jeder, der irgend konnte, musste da mit anpacken. Peter Sprenger selbst hat nie erlebt, dass es zu größeren Unfällen gekommen wäre. Aber in alten Dokumenten ist durchaus von (manchmal tödlichen) Abstürzen die Rede. Denn auch im Herbst und Winter habe man damals noch Heu gezogen. Bei der Bergmahd habe es sich um große Flächen gehandelt, so dass die meisten Familien zweijährig gemäht hätten: Man halbierte sein Terrain, setzte Sense und Sichel nur auf der einen Hälfte an und ließ die andere stehen. Übers Älpeletal seien da Seile hin und her gespannt gewesen: „Dann hat man die Burt (Heuballen) daran befestigt und über Rollen bis kurz hinter Gröben rauslaufen lassen. Da war dann die Ladstatt, wo die Fuhrwerke das Heu vom Endpunkt des letzten Seils abgeholt haben.“ Auch an der Nordseite des Hönigs seien noch zwei Seile hinunter Richtung Dorf gespannt gewesen: „Unsere letzte Mahd ging bis zum Steilhang beim heutigen Rastkopf-Lift.“
Eltern und Großeltern hätten das Gras auf den Huanza aufgehängt: „Und wir Kinder mussten nachrechen, damit ja nix verloren ging.“ Je nach Wetterlage sei es dann ein bis zwei Wochen („oder, wenn man Glück hatte, nur drei, vier Tage“) auf den Huanza gehangen, bis es scheunenreif gewesen sei. Aus Erzählungen seiner Großmutter wisse er, dass das Wetter in einem Jahr einmal so schlecht gewesen sei, dass sich das Gras fast in Mist verwandelt habe und die Vogelnester drin bereits leer gewesen seien, bis man das „Heu“ endlich habe einbringen können: „Da kann man sich vorstellen, wie lange es damals regnete und welchen Nährwert das Futter nachher noch hatte!“

FANTASTISCHE RUNDSICHT. Doch, wenn man rund eine halbe Stunde den schmalen Pfad auf dem Grat entlanggeht oder auf dem Gipfel steht (besser sollte man sagen: den Gipfeln; denn auf dem Bergrücken gibt es gleich drei Kreuze), dann kommen einem freilich weniger Mühe und Plage in den Sinn – man kann (und sollte) im Grunde nur genießen. Das Panorama schlägt einen wirklich in seinen Bann: Roter Stein und Vordere Suwaldspitze sind zum Greifen nah, auf der anderen Seite Thaneller und Almkopf nicht allzu fern, aus etwas größerer Distanz grüßen Zugspitze, Gimpel, Rote Flüh, Hochvogel, Namloser Wetterspitze, Heiter- und Schlierewand. Rotlechwiesen, Galtjoch sowie Ehenbichler und Raaz Alm locken schon zur nächsten Tour. Von solch wunderbaren Erlebnisse beflügelt macht einem dann auch der Zickzack-Abstieg auf der über Brand, Mitteregg und Rinnen gelegenen Seite (auch die Bauern von dort mähten einst bis hinauf zum Gipfelgrat) so richtig Spaß; der Rückweg vom Sattelkopf über die Rastkopfhütte und den Hochbichl ist dann eh eine eher gemütliche Sache und macht Lust, sich mit einer zünftigen Einkehr auch selbst zu belohnen. Zum Beispiel im Gasthof „Bergblick“ der Familie Falger in Brand, der  mit seiner herrlichen Aussicht seinem Namen alle Ehre macht und wo man dann (auch bei guter regionaler Küche) eine wunderschöne Tour nochmals vor dem geistigen Auge Revue passieren lassen kann.

STRECKEN-STENOGRAMM. Start: Berwang, Länge: rund 11 Kilometer, Dauer: gut 5 Stunden, Höhenunterschied: rund 700 Meter bergauf und bergab. Tipp: Man kann vom Sattelkopf auch nach Brand absteigen, die Wanderung dort ausklingen lassen und dann mit dem Bus zurück nach Berwang (letzte Fahrt Rich-    tung Berwang zurzeit: 17.10 Uhr).

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