Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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„Das ist keine Normalität, das sind Geistergottesdienste!“

Schritt für Schritt wird auch das religiöse Leben wieder hochgefahren

Das Recht der freien Religionsausübung geht auf das Staatsgrundgesetz von 1867 zurück und wurde nach dem Untergang der Habsburgerreichs beinahe wortgenau in die Bundesverfassung der neunen Republik Österreich übernommen. Auch sie ist derzeit beschnitten.
12. Mai 2020 | von Von Johannes Pirchner
„Das ist keine Normalität, das sind Geistergottesdienste!“<br />
Schon bald werden sich die Kirchen – hier die Pfarrkirche Wängle – wieder füllen. RS-Foto: Pirchner
Von Johannes Pirchner

Die strikten Maßnahmen waren gerechtfertigt um das Coronavirus einzudämmen. Seit einigen Tagen ist das Außerfern als erster Tiroler Bezirk Corona-frei. Lockerungen der strengen Auflagen lassen schrittweise „Normalität“ zurückkehren. Wie geht es nun mit dem religiösen Leben weiter? Am 23. April haben Kulturministerin Susanne Raab und Kardinal Christoph Schönborn, der für alle österreichischen Religionsgemeinschaften sprach, Vorgaben aufgezeigt, wie das religiöse Leben in Österreich langsam wieder hochgefahren wird. Eine wichtige Frage für das religiöse Leben in den Pfarren ist die Abstandsregelung. So soll jeder Gläubige einen Sicherheitsabstand zu seinem Nächsten einhalten, wenn dieser nicht im selben Haushalt lebt. Das beschränkt den Gottesdienstbesuch. So dürften etwa den Wiener Stephansdom nur noch 120 Menschen betreten. Weitere Corona-Einschnitte, die das religiöse Leben belasten, betreffen nicht nur Menschen, die sich zu einer Religionsgemeinschaft bekennen, sondern auch Personen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören. Taufen, Hochzeiten, Begräbnisse können nur noch unter strengen Reglementierungen stattfinden. Aber auch das Tiroler Brauchtum steht vor schwierigen Herausforderungen. Die Hochfeste Christi Himmelfahrt, Fronleichnam und Herz Jesu stehen bevor und sind mehr als religiöse Feste – es sind Landesfeste. Ob diese heuer stattfinden können, ist fraglich. Schützen, Musikanten und Trachtenverbände werden dieses Jahr wohl nicht aufmarschieren können. Aber wie genau die wichtigsten Fragen rund um die Öffnung der Gottesdienste aussehen werden, welche Regelungen gelten werden und wie das religiöse Leben wieder hochgefahren wird, stellt die RUNDSCHAU im Interview nun Dekanatsassistent Alois Gedl.

RUNDSCHAU: Wie sind die Außerferner Pfarren und Seelsorgeregionen auf die Öffnung der Kirchen vorbereitet?
Alois Gedl: Auch in den Kirchen werden die neuen Regelungen gelten, wie wir sie in den Geschäften kennengelernt haben. Das heißt, die Kirchen sind mit Desinfektionsmittel an den Zugängen ausgestattet, es wird eine Maskenpflicht geben und natürlich werden die allgemeinen Verhaltensregeln an den Türen angeschlagen werden.

RS: Wie viele Gläubige werden in den Kirchen Gottesdienst feiern können?
Gedl: Es gilt – wie in den Geschäften – als Faustregel: Pro Person zehn Quadratmeter  Kirchenraum und zwei Meter Abstand. Das bedeutet beispielsweise für die Dekanatspfarrkirche in Breitenwang, dass nach diesen Richtlinien 35 Personen mitfeiern können. Bei kleinen Kirchen, wie etwa in der Pfarrkirche Forchach sind das gerade einmal elf Gläubige – den Priester mitgerechnet. Der Krise geschuldet ist das vielleicht für kurze Zeit vorstellbar,  aber das ist keine neue Normalität, das sind eigentlich „Geistergottesdienste“.

RS: Gibt es spezielles Personal, welches den Einlass kontrolliert?
Gedl: In den Pfarren werden Ordnerdienste eingerichtet – Mitarbeiter der jeweiligen Pfarre, etwa Pfarrgemeinderäte. Sie sollen die Mitfeiernden auf die Regeln hinweisen und jene, die nicht mehr Platz finden, auf andere Angebote aufmerksam machen. Den Gläubigen wird hier sehr viel abverlangt, das ist uns bewusst. Daher gilt auch weiterhin: Es ist noch immer die Zeit der Hauskirche! Zuhause beten, die Bibel lesen oder einen Gottesdienst via Fernsehen, Radio oder Internet mitfeiern.

RS: Wäre es nicht eine Möglichkeit, dass sich Gläubige in der jeweiligen Pfarre zum Gottesdienst anmelden könnten?
Gedl: Diese Überlegung gibt es derzeit nicht, dazu wäre der Aufwand viel zu groß.

RS: Wäre eine andere Variante etwa gezielt Zielgruppen, Familien oder Senioren anzusprechen?
Gedl: Familiengottesdienste würden aufgrund der Abstandsregelung schwer durchführbar sein. Mit zehn Familien wäre auch eine größere Kirche schon „voll“. Wir können aber jetzt in dieser Zeit unsere Kirchen weiterhin zum persönlichen Gebet nützen – auch als Familie gemeinsam besuchen, ein Gebet sprechen, in der (Kinder-)Bibel lesen. Oder einfach still sein und Kraft tanken.

RS: Wie steht es um den Ablauf der „neuen“ Gottesdienstes aus. Wird es eine Eucharistie geben?
Gedl: Die Kommunion als zentrales Element der Eucharistiefeier wird es geben. Bei der Kommunionausteilung entfällt der Dialog zwischen Priester und Gläubigen („Der Leib Christi.“ „Amen.“), es wird nur die Handkommunion geben. Der Priester wird sich vorher die Hände desinfizieren und eine Maske tragen. Das Händereichen beim Friedensgruß wird durch ein Zunicken ersetzt und natürlich bleiben die Weihwasserbecken leer. Auch wird die Kollekte nicht durchgereicht werden. Dafür werden bei der Kirchentüre dafür Körbchen aufgestellt.

RS: In Tirol gibt es eine enge Verknüpfung von Kirche und Brauchtum, was zum Beispiel bei Prozessionen sichtbar ist. Können diese in irgendeiner Art und Weise stattfinden?
Gedl: Übliche große Prozessionen sind dieses Jahr nach aktuellem Stand nicht möglich; es wird aber noch intensiv verhandelt, ob und in welcher Form kleinere Prozessionen stattfinden können. Auch Pfarrfeste und größere Veranstaltungen sind bis in den Sommer hinein ausgesetzt. Bei pfarrlichen Gruppentreffen, Versammlungen und Veranstaltungen gilt derzeit die allgemeine Grenze von zehn Personen. Allerdings ändern sich manche Regeln recht schnell, daher kann man alles eigentlich nur sehr kurzfristig planen. Auf der Homepage des Dekanates www.dibk.at/dekanatbreitenwang kann man die aktuellen Bestimmungen finden.

RS: Wie wurden die Regelungen im Hinblick auf kirchliche Feste wie Hochzeiten oder Begräbnisse von den Gläubigen aufgenommen?
Gedl: Natürlich sind es ganz sensible Themen. Aber die Menschen haben in Mehrheit großes Verständnis gezeigt. Hochzeiten und Taufen könnten mit zehn Personen gefeiert werden; die allermeisten wurden daher verschoben. Bei Begräbnissen gilt ab jetzt eine Regelung für 30 Personen; sie finden auch weiterhin direkt auf den Friedhöfen statt. Gerade bei der Verabschiedung von Verstorbenen schneiden diese Maßnahmen natürlich ein. Die sonst üblichen Sterbegottesdienste – als Messfeier in der Kirche – können zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Das wir dann mit den Angehörigen im Einzelfall besprochen. Weil jetzt viele Gottesdienste entfallen sind, können derzeit keine neuen Messintentionen angenommen werden. Jahresgedenken sind derzeit nicht möglich. Auch hier wird den Gläubigen viel abverlangt.

RS: Was ist mit den Erstkommunionen und den Firmungen? Gibt es hierfür schon neue Termine?
Gedl: Alle Firmungen sind auf 2021 verschoben worden. Bei den Erstkommunionen wird dies im Herbst mit den Eltern in den jeweiligen Pfarren neu geplant. In kleineren Pfarren ist es auch vorstellbar, dass im nächsten Jahr dann zwei Jahrgänge gemeinsam feiern. Dies wird aber immer in enger Abstimmung mit den Eltern entschieden.

RS: Müssen auch andere Veranstaltungen verschoben werden?
Gedl: Ja, das betrifft beispielsweise Vorträge und Bildungsveranstaltungen. Auch unsere für 6. Juni geplante Altkleidersammlung muss in den Herbst verschoben werden. Und auch Zeltlager oder andere Kinder- und Jugendfahrten mit Übernachtungen dürfen in diesem Sommer nicht durchgeführt werden. Es wird an alternativen Tagesangeboten für Kinder gearbeitet.

RS: Gibt es auch etwas Positives, das die Kirche und wir als Menschen generell aus dieser Krise mitnehmen können?
Gedl: Man sagt, eine Krise sei immer auch eine Chance – nämlich Neues zu lernen. Das gilt für die gesellschaftlichen Themen, wo wir unseren globalisierten Konsum und die enthemmte Mobilität hinterfragen müssen. Und das gilt sicher auch für das Glaubensleben. Vielleicht hat die eine oder andere Familie das gemeinsame Gebet als „Hauskirche“ wiederentdeckt. Vielleicht hat jemand nach längerer Zeit wieder einmal in der Bibel gelesen. Vielleicht entstehen neue und neugefundene traditionelle Formen des Gebets in kleinen Gruppen – in Nachbarschaften etwa, die sich um einen Bildstock oder eine Ortsteilkapelle versammeln. Wenn das Gewohnte gerade nicht möglich ist, ist es eine gute Zeit, Neues zu probieren. Dazu möchte ich allen Mut machen!

RS: Vielen Dank für das Gespräch.
Gedl: Danke auch. Gesund bleiben – und den Humor nicht verlieren!

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