Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
Artikel teilen
Artikel teilen >

„Dem Himmel ein Stück näher“

23. Juli 2019 | von Nina Zacke
Herrliche Aussichten bieten sich bei der Tour rund um das Bernhardstal. Über zwei Tage lang kann sich das Auge nicht satt sehen. RS-Fotos: Gerrmann


Eine Dreitages-Wanderung von Elbigenalp rund um das Bernhardstal


„Willst Du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!“, erkannte einst schon Goethe. Im Außerfern liegt nicht zuletzt das Schöne so nah. Vor allem in den Bergen. Die RUNDSCHAU war für ihre Leser unterwegs – und traf dabei auf Schmuggler-Spuren, aber auch auf die Erinnerung an einen Berg-Pionier mit tragischem Schicksal.


Von Jürgen Gerrmann


diente er nicht nur der Erinnerung an die Passion Jesu Christi. „Da oben waren Zöllner stationiert“, erzählt Guido Degasperi, Wirts-Legende vom Restaurant „Geierwally“ und Lechtaler mit Leib und Seele. Und die passten genau auf: Denn die herrlichen Wege hoch zur Hermann-von-Barth-Hütte, über Krottenkopf- und Gumpensattel wurden nicht nur von harmlosen Wanderern, die Stille und Erholung suchten, benutzt – sondern auch von Zeitgenossen, die Konterbande illegal über die Grenze zu Bayern bringen und die Republik Österreich um Steuereinnahmen prellen wollten.

Drückten die ab und an ein Auge zu? In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wohl eher nicht: „Die mussten ja auch ihre Daseinsberechtigung nachweisen“, schmunzelt Degasperi. Wobei er aus eigener leidvoller Familienerfahrung spricht: Sein Vater hatte nämlich eine Leica-Kamera, die auch nicht zu 100 Prozent legal den Weg vom Allgäu ins Lechtal gefunden hatte. Gern kam er dem Wunsch seiner Nachbarn im Dorf nach, doch ein Foto von ihnen oder ihren Kindern zu machen (was damals beileibe noch nicht so einfach war wie im Zeitalter der Handy-Schnappschüsse). Dummerweise konterfeite er allerdings auch den Sohn eines der Zöllner ab. Und der hatte nichts Besseres zu tun, als die Herkunft des Fotoapparats zu erforschen und den Herrn Degasperi als Nutznießer der Schmuggelei zu überführen. Peinlich, peinlich – schließlich war der von Beruf Jurist...


ZACKIGER AUFSTIEG.

Heute kann man freilich drüber lachen und die herrliche Landschaft im Grenzgebiet bewundern. Obwohl (oder weil) es durchaus einer gewissen Anstrengung bedarf, sie sich zu erschließen. Die dreieinhalb Stunden, die die Wandertafel am Geierwally-Parkplatz zu Elbigenalp für die Wanderung zur Hermann-von-Barth-Hütte angibt, sind durchaus realistisch, und gerade, wenn man den Rucksack-Transportservice mit der Materialseilbahn nicht annimmt, kann man ganz schön ins Schwitzen kommen. Für Otto Normalwanderer unglaublich, dass die Rekordzeit von Josef Wachter aus Weißenbach für die rund 650 Höhenmeter laut Anschlag an der Talstation bei unter 30 Minuten liegt!

Doch es ist eh besser, sich Zeit zum Genießen zu gönnen, denn je schmaler der Pfad wird, desto schöner erlebt man ihn – sei's am Baltschebach, an der Wolfsebne oder am Pause-Baum. Und wenn man Glück hat, dann kann man friedlich grasende Gämsen direkt vor einem erleben. Wenn dann urplötzlich die Hermann-von-Barth-Hütte vor einem auftaucht, dann ist das schlichtweg ein Traum – das Panorama von dort oben lässt sicher keinen kalt.

Und irgendwann am Abend kommt einem sicher die Frage in den Sinn, was es eigentlich mit diesem Hüttennamen auf sich hat. Nach einem Ur-Lechtaler klingt er ja nicht gerade.


TOD IM FIEBERWAHN.

Mit dieser Vermutung liegt man auch richtig: Hermann Freiherr von Barth-Harmating (so sein kompletter Nane) erblickte nämlich am 5. Juni 1845 auf Schloss Eurasburg das Licht der Welt. Das liegt im bayerischen Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, nur einen Katzensprung vom Starnberger See entfernt. Eigentlich wollte (oder sollte) er Jurist werden, doch schon als Rechts-praktikant galt seine Leidenschaft den Bergen. Bereits mit 23 erkundete er die Berchtesgadener Alpen (damals weitgehend unbekanntes Terrain), mit 25 bestieg er 88 Gipfel im Karwendel (auf zwölf davon stand zuvor niemand), im Sommer darauf hatte es ihm das Wettersteingebirge angetan.

Schon 1869 hatte er sich intensiv den Allgäuer Alpen gewidmet und auch dort drei Gipfel erstmals bestiegen (auf insgesamt 44 stand er).

Doch nicht nur die bayerisch-tirolerischen Höhen faszinierten ihn, der 1873 mit dem Studium der Naturwissenschaften begann: 1876 brach er zu einer Forschungsreise nach Afrika auf. Er sollte nicht mehr zurückkehren: In São Paulo de Luanda, Hauptstadt der portugiesischen Provinz Angola und damals noch einer der Brennpunkte des Sklavenhandels mit Brasilien, fing er sich eine Fieberkrankheit ein, die ihn geistig so verwirrte, das er sich das Leben nahm. Mit nur 31 Jahren.

Zweifelsohne: ein tragisches Schicksal. Das allerdings in den Hintergrund tritt, wenn man Marion Wolfs zünftige Küche (Spezialität: Kaiserschmarren und Kässpätzle) genießt und ihr Mann Harald zur Steirischen greift: Dann gibt es kein Halten mehr, dann jodelt die ganze Hütte (egal, ob Jung oder Alt), dass es eine wahre Pracht ist. Denn dieser fantastischen Stimmung kann sich wohl kaum einer entziehen.


DIE KÖNIGSETAPPE.

Nach der Nacht auf 2131 Metern (höher steht keine andere Schutzhütte in den Allgäuer Alpen) kann


Wenn der Armin (auch ein fantastischer Koch mit einer Passion für die regionale Küche) neben seiner Iveta, die sich seit nunmehr 16 Jahren voller Herzlichkeit um das Wohl der Gäste kümmert, auf der Terrasse steht und von 1812 Metern Richtung Süden auf die Gipfel der Lechtaler Alpen deutet, will die Aufzählung kein Ende nehmen. Sein Fixpunkt dabei ist die Parseier Spitze (der einzige 3000er ringsum): „Rechts davon stehen Saxerspitze, Freispitze, Greitjoch, Sonnenkogel, Lechtaler Wetterspitze, die Schlafende Jungfrau am Rotschrofen und Maldongrat. Links Ruitlspitze, Imster Muttekopf, Wannenspitze, Lichtspitze, Namloser Wetterspitze, Kreuz- und Pfeilspitze.“ Bei so viel Spitzen schießt es einem fast unweigerlich durch den Kopf: Ja wirklich – einfach spitze hier oben!

Man kann es also durchaus nachvollziehen, dass er, der schon als Kind bei der Oma mit von der Hütten-Partie hier war, auch noch nach 18 Jahren als Hüttenwirt nicht mehr weg von hier will. Zu eng ist dieser Platz mit seiner Familie verbunden. Und: „Jeder Tag hier oben ist anders. Man ist dem Himmel ein Stück näher.“


man dann frisch gestärkt auf die „Königsetappe“ gehen. Die Umrundung des Bernhardstals erfordert durchaus Kondition, und die sechs Stunden auf der Wandertafel sind eher das Minimum denn das Maximum. Aber jetzt im Sommer, wenn die Tage noch lang sind, spielt das auch keine allzu große Rolle.

Manche nehmen da sogar noch den Großen Krottenkopf (mit 2656 Metern auch er Rekordhalter dieser Gebirgsformation) mit, aber das muss nicht sein. Von Schaf- und Krottenkopfscharte (mit 2352 Metern der höchste Punkt der Tour) sowie Gumpensattel hat man auch so herrliche Ausblicke, und auch sonst warten durchaus alpine Passagen auf einen. Immer wieder schaut man dabei aufs Bernhardstal, eine „lech-begleitende Schlucht von hohem ökologischen Wert“ (so die Beschreibung der Regionalentwicklung Außerfern). Sie hat schon Anton Falger, den „Vater des Lechtals, fasziniert und geradezu magisch angezogen. In der „Wunderkammer“, dem Heimatmuseum von Elbigenalp, sieht man einige seiner naturwissenschaftlichen Fundstücke, in der Anton-Falger-Stube in Guido Degasperis „Geierwally“ hängen beeindruckende Lithografien und Zeichnungen von ihm, auf denen er die verschiedensten von ihm gefundenen Versteinerungen der Nachwelt festgehalten hat.

Auch der Großmahderstein im Bernhardstal ließ ihn nicht los: Ihn hat Falger immer wieder gezeichnet, er taucht sogar auf den peniblen Abbildungen der Elbigenalper Faschingsumzüge auf. Und zu den Lieblingsorten und -motiven des Malers und Heimatforschers zählt auch der Eingang zu dieser Schlucht, wo heute die Geierwally-Bühne steht und der einen auch am Ende dieser Tour begeistert (wenn man nicht den Forstweg, sondern die Fußpfade von der Gibler Alm aus benutzt).


EIN BLUMENPARADIES.

Hoch oben hinterm Gumpensattel wartet allerdings erstmal in Blumenparadies auf einen: Nachdem über Stunden der Fels dominiert hat, freut man sich, das letzte Wegstück bis zur Bernhardseckhütte auf weichem Untergrund absolvieren zu können. Wie es da grünt und blüht, das lässt einem schon das Herz aufgehen! Und es wundert einen kein bisschen, wenn Armin Hummel, der Wirt der Bernhardseck Hütte, davon erzählt, dass dieses herrlichen Fleckchen Erde vor einigen Jahren bei der Tiroler Wiesenmeisterschaft auf dem zweiten Platz landete. Gutachter Roland Mayer hat damals festgehalten, dass dieses Biotop wegen seines Reichtums an den verschiedensten Blüten „vor allem für Schmetterlinge, aber auch für andere Insekten, sehr bedeutsam ist.“ Zu den Blumen, die er damals für die „Sommermähder“ katalogisiert hat, zählen das Orangerote Habichtskraut, der Echte Wundklee, die Große Bibernelle, die Großblütige Braunelle, Berg-Klee und -Arnika, die Zweiblättrige Waldhyazinthe, die Europäische Trockenblume, die Perücken-Flockenblume und und und...


EINFACH SPITZE.

Wenn der Armin (auch ein fantastischer Koch mit einer Passion für die regionale Küche) neben seiner Iveta, die sich seit nunmehr 16 Jahren voller Herzlichkeit um das Wohl der Gäste kümmert, auf der Terrasse steht und von 1812 Metern Richtung Süden auf die Gipfel der Lechtaler Alpen deutet, will die Aufzählung kein Ende nehmen. Sein Fixpunkt dabei ist die Parseier Spitze (der einzige 3000er ringsum): „Rechts davon stehen Saxerspitze, Freispitze, Greitjoch, Sonnenkogel, Lechtaler Wetterspitze, die Schlafende Jungfrau am Rotschrofen und Maldongrat. Links Ruitlspitze, Imster Muttekopf, Wannenspitze, Lichtspitze, Namloser Wetterspitze, Kreuz- und Pfeilspitze.“ Bei so viel Spitzen schießt es einem fast unweigerlich durch den Kopf: Ja wirklich – einfach spitze hier oben!

Man kann es also durchaus nachvollziehen, dass er, der schon als Kind bei der Oma mit von der Hütten-Partie hier war, auch noch nach 18 Jahren als Hüttenwirt nicht mehr weg von hier will. Zu eng ist dieser Platz mit seiner Familie verbunden. Und: „Jeder Tag hier oben ist anders. Man ist dem Himmel ein Stück näher.“


GEMÜTLICHER ABSTIEG.

Doch es hilft nichts: Am dritten Tag wartet der Abstieg ins Tal. Am besten über die Fußwege durch den Wald, wo noch viel Schönes auf einen wartet. Und, wo kurz vor dem Ziel, bei der Gibler Alm von Conny Wasle noch eine prima Einkehr auf einen wartet. Falls man mit Kindern unterwegs ist, können die sich auf einem tollen Spielplatz austoben – und die „Connys Pizzas“ werden auch von ihren Kollegen gerühmt.

Die drei Wandertage kann man dann in der „Geierwally“ ausklingen lassen. Die echte Lechtaler Küche geht Guido Degasperi über alles, und er schwelgt nur so in Delikatessen seiner so geliebten Heimat: Schlutz-, Kraut- und andere Krapfen zählen da ebenso dazu wie Spinat-, Rhonen- und Käsknödel, eine Lechtaler Spätzlepfanne oder ein mit heimischem Ziegenkäse überbackenes Stück Pute.

Langweilig wird es einem da gewiss nicht. Denn Guido hat viele Geschichten zu erzählen. Nicht nur über Schmuggler und Zöllner.


 


Feedback geben

Feedback abschicken >
Nach oben