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Der Berg der zwei Gesichter

Die Ölbergkapelle von Elbigenalp lohnt gerade in der Passionszeit einen Besuch

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht es zur Ölbergkapelle in Elbigenalp.
22. März 2021 | von Jürgen Gerrmann
Der Engel zwischen Angst und Rettung: Wolfram Köberls beeindruckendes Deckenfresko in der Ölbergkapelle von Elbigenalp. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
In der Fastenzeit vor Ostern wird unter den Christen intensiv des Leidens Christi gedacht. Deswegen spricht man ja auch von der „Passionszeit“. Ein ganz zentraler Punkt darin ist die nächtliche Szene auf dem Ölberg nahe Jerusalem, in der Jesus einen Satz sagt, der heute noch lebendig ist: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“ Über dem Duarf von Elbigenalp erinnert sogar eine Kapelle an dieses zutiefst menschliche Ereignis. Es dürfte wohl kaum jemand geben, der diesen Satz nicht schon vor sich hin gesprochen oder als Stoßgebet zum Himmel geschickt hat.

Beeindruckendes Fresko. 
Und diese Verbindung schuf auch der Kirchenmaler Wolfram Köberl in seinem beeindruckenden Deckenfresko von 1974 in der Kapelle, deren Wurzeln laut Tiroler Landeskunstkataster bis ins Ende des 17. Jahrhundert zurückreichen und die dann 1764 neu erbaut wurde. Da liegt der verzweifelte Jesus buchstäblich am Boden, da hebt Gottvater seine Hände, bei denen man nicht sicher ist, ob sie nun gebieten oder segnen – und zwischen beiden schwebt der Engel, bei dem auch keine rechte Klarheit darüber herrscht, ob er den Kelch hinunter zur Erde oder wieder hinauf in den Himmel bringt. Aus meiner Sicht eher das Letztere, denn der Vater scheint mit seiner linken Hand fast danach zu greifen. In der christlichen Symbolik gilt dieses Motiv, wie Wolfgang Menzel in seinem Standardwerk aus dem Jahre 1854 darlegt, oft als „Gegenpol“ zur Begegnung Jesu mit dem Teufel in der Wüste: Zu Beginn seines Wirkens setzt ihn der Satan der Versuchung der Macht aus, am Ende dann sieht er sich mit der Versuchung der Angst konfrontiert. Menzel schreibt: „Dort in der Wüste wurde Jesus versucht durch Hoffnung, hier am Ölberg durch Angst; dort wandte sich der Versucher an den Stolz seiner göttlichen, hier an die Schwäche seiner menschlichen Natur.“ Interessant: Die frühe Christenheit wollte von diesem Bild zunächst nicht viel wissen, Christus nicht im Moment seiner Verzweiflung und seines Leides zeigen. Das änderte sich erst ab dem Mittelalter. Und es bliebt nicht bei Gemälden. In Nischen an oder in Kirchen und Kapellen sieht man Jesus in Dialog mit dem Engel, der ihm den Kelch entgegenreicht – und mit ihm oft auch die Jünger Petrus, Johannes und Jakobus, die ihn in den Garten Gethsemane begleitet hatten, dann aber eingenickt waren und das Ganze verschlafen hatten. Wolfram Köberl (der übrigens im Jahr nach seinem Werk in Elbigenalp auch das Deckenfresko in der Breitenwanger Dekanatspfarrkirche geschaffen hat) verzichtete in der Ölbergkapelle auf dieses Sinnbild der Einsamkeit Jesu.

Kein Zufall.
Dass sich die Szene ausgerechnet am Ölberg abgespielt haben soll, kommt natürlich nicht von ungefähr. Schon im Alten Testament, den heiligen Schriften des Judentums, taucht er als höchst symbolträchtiger Ort auf: Zum Beispiel als Absalom, der Sohn Davids, gegen seinen Vater putscht, den er für einen Schwächling hält, um sich selbst als „starken Mann“ auf dem Königsthron zu installieren. David muss aus Jerusalem fliehen, lässt nur seine zehn Nebenfrauen zurück und überschreitet den Fluss Kidron, wo auch Jesu letzter Spaziergang begann: „David aber ging die Anhöhe der Olivenbäume hinauf und weinte, während er hinaufging. Und sein Haupt war verhüllt, und er ging barfuß“, berichtet das zweite Buch Samuel. Der Prophet Ezechiel nimmt in seine „Visionen von der Herrlichkeit“ den Ölberg ebenfalls auf. Darin wird Gottes Gegenwart durch den Götzendienst der Israeliten aus dem Allerheiligsten im Tempel vertrieben. Die Cherubim tragen ihn auf ihren Flügeln aus Jerusalem hinaus: „Und die Herrlichkeit des Herrn stieg auf aus der Mitte der Stadt, und sie stellte sich auf den Berg, der im Osten der Stadt liegt.“ Unter den Juden erzählt man sich auch, dass die in die babylonische Gefangenschaft Deportierten ihre Heimat ebenfalls über den Ölberg verlassen haben – auf dessen anderer Seite, im Jordantal, lagen nämlich die internationalen Handelsstraßen: „Der Ölberg ist hier Inbegriff des Abschieds und des Heimatverlustes“, schreibt der evangelische Theologe Dr. Jörn Kiefer von der Rostocker Johannisgemeinde. Freilich: Auch hier gibt es wieder ein Gegenbild. Und zwar beim Propheten Sacharia. Der hat zunächst ein verstörendes Bild parat: Gott sammelt nämlich die Feinde Jerusalems zum Kampf – aber dann wechselt er doch wieder die Seiten (so muss es zumindest dem theologischen Laien vorkommen) und steht seinem Volk bei. Und zwar so: „Und an jenem Tag treten seine Füße auf den Ölberg, der Jerusalem gegenüber im Osten liegt, und der Ölberg spaltet sich von seiner Mitte her nach Osten und nach Westen durch ein sehr großes Tal. Da weicht die Hälfte des Berges nach Norden und die andere Seite nach Süden.“ So können sich die Israeliten in Sicherheit bringen, ohne den kräftezehrenden Anstieg in Angriff nehmen zu müssen. Eine unverkennbare Parallele zur Teilung des Roten Meeres bei der Flucht aus Ägypten. Der Ölberg ist also auch ein Berg, von dem Heil und Rettung kommt. Im Rabbinischen Judentum wird der Baum, von dem die Taube nach der Sintflut den Olivenzweig zu Noahs Arche bringt, „nicht zufällig“ (so Kiefer) auf dem Ölberg verortet. Und ebenso kein Zufall ist es, dass Jesus am Palmsonntag natürlich ebenso über den Ölberg nach Jerusalem einzieht. Denn schon Ezechiel hatte ja geschrieben, dass der vertriebene Herr auch wieder über den Ölberg zurückkehren werde, wo er die Stadt ja verlassen hatte. Hier soll also der Messias erscheinen, dort erwarten die Juden auch die Auferstehung der Toten (dort gibt es auch einen großen jüdischen Friedhof, wo einige Gräber noch bis in die biblische Zeit zurückreichen).  Am Fuße des Ölbergs soll dann das Jüngste Gericht stattfinden. Daran glauben übrigens auch die Muslime – für sie wird in der Endzeit ein Seil vom Tempelberg bis zum Ölberg gespannt (das sind immerhin rund eineinhalb Kilometer): Darüber werden dann die Gerechten ohne Probleme gehen.

Berg der Himmelfahrt.
Der Ölberg ist also in den verschiedensten Traditionen auch ein Berg des Übergangs. Ein Berg der zwei Gesichter: Leid und Erlösung sind mit ihm verbunden, Weinen und Jubel. Und für Christen vielleicht der „Osterberg“ schlechthin, vollendet sich doch da die Auferstehung. In der Apostelgeschichte wird es so beschrieben: „Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: ,Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.' Da kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem Berg, der heißt Ölberg und liegt nahe bei Jerusalem, einen Sabbatweg entfernt.“ Und so erlebt man in der Kapelle in Elbigenalp nicht nur die Konfrontation mit der Angst (vielleicht auch der eigenen), sondern auch die Begegnung mit der Hoffnung.

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