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Der Graf von Falkenstein

22. Jänner 2019 | von Nina Zacke
Imagepflege für den Kaiser (und für das Wirtshaus mit dazu) – so könnte man heute die Lüftlmalerei über der Eingangstür der „Goldenen Krone“ (einem der ältesten Reuttener Gasthöfe) bezeichnen. In Wahrheit verlief der Besuch des Grafen Falkenstein, als er dort nächtigte, ziemlich unspektakulär.
Nicht nur die Maler, sondern auch ein Dichter war an der „Krone“ am Werk. Seine Wortspielereien können auch nach rund zwei Jahrhunderten noch begeistern. RS-Fotos: Gerrmann
Zwei Männer sitzen in der Kutsche, beide gleich gekleidet – welcher ist der Kaiser (respektive Graf Falkenstein)? Für Richard Lipp ist es ganz klar: „Rechts sitzend natürlich!“ Das österreichische Protokoll legt dies nämlich seit eh und je klar fest. Der prominente Besucher Reuttes ist also auf diesem Foto links zu sehen. Beim anderen soll es sich um den damaligen Schlosskommandanten, Philipp Freiherr von Heßberg handeln, der nach einer Theorie auch Autor des Lobpreis-Gedichts war.

Das Gemälde an der „Goldenen Krone“ zu Reutte erinnert an Kaiser Joseph II


Hochgepriesen wird er an der Fassade des Gasthauses „Goldene Krone“ am Reuttener Obermarkt: Dass ein leibhaftiger Kaiser im Außerfern nächtigt, kommt ja schließlich nicht allzu oft vor. So groß die Ehre für Markt und Wirt damals gewesen sein mag – die Politik Josephs II. war nicht allzu populär bei den Menschen hier.

Von Jürgen Gerrmann

Welch gravierende Einschränkungen mit dem „Josephinismus“ (wie diese Epoche in der Geschichtswissenschaft genannt wird) verbunden waren, hat Richard Lipp in seinem Buch „Kirchengeschichte in Breitenwang und Reutte“ eindrucksvoll deutlich gemacht.
Doch davon später.
Wenden wir uns zunächst einmal der Lüftlmalerei zu, die im ersten Teil unserer Serie „Außerferner Fassaden“ im Mittelpunkt stehen soll. Als „First voll Güte“ und „aller Teitschen Lust“ wird er da beschrieben: „Der Kaiser ziert die Krohne, die sonst den Kaißer ziert“, heißt es überschwänglich über dessen Übernachtung am 28. Juli 1777. Was zu verstehen ist, schließlich passiert so etwas ja nicht alle Tage.
Dieses Gemälde ist ja nicht nur wegen der Malerei höchst interessant. Es war auch ein wahrer Wortkünstler am Werke. Mit Sinn für geschichtliche Anknüpfungspunkte wie für Wortspiele gleichermaßen. „Aller Teitschen Lust“ spielte nämlich nicht nur auf die Untertanen des „Firsten“ im Heiligen Römischen Reich an, sondern auch auf die Familie des Wirtes: Hanspaul Teitsch.
August ist der Kaiser.

Nicht nur die Maler, sondern auch ein Dichter war an der „Krone“ am Werk. Seine Wortspielereien können auch nach rund zwei Jahrhunderten noch begeistern. RS-Fotos: Gerrmann


Und (nicht nur) Richard Lipp ist ganz begeistert von einer weiteren Passage. Da ist nämlich vom „besseren August“ die Rede. Dass Ende Juli die Situation so beschrieben wurde: „Dort Blüten unsere Felder, dort Grünten unsre Hainen, die Frichte kamen belder, August traf im Juli ein“ – das lag keineswegs an einem durch den Monarchen ausgelösten Naturwunder. Vielmehr war mit „August“ der Augustus gemeint, der Kaiser also. Alle Achtung also vor dem Autoren des Kurz-Gedichts, der hatte ganz schön pfiffige Ideen.
All der Jubelworte zum Trotz: Strenggenommen war der Kaiser gar nicht in Reutte. Sondern nur der Graf Falkenstein, als der er sich einquartiert hatte.
Eine Undercover-Aktion gewissermaßen. Wobei Joseph anders als die Geheimagenten von heute keineswegs einen Tarnnamen verwendete, sondern nur einen von seinen unzähligen Titel wählen musste: Graf von Falkenstein.
Durch die Heirat des lothringischen Herzogs Franz Stephan mit der österreichischen Kaiserin Maria Theresia (Josephs Mutter) war das Mini-Territorium in der Pfalz (am Donnersberg etwas nördlich von Kaiserslautern) zu den Habsburgern gekommen, so dass er also völlig zu Recht unter diesem Namen in der „Krone“ nächtigte.
Auf der Rückreise von Paris.

Laut Richard Lipp war Joseph auf der Rückreise von seiner Schwester in Paris: Marie Antoinette, ihres Zeichens Königin von Frankreich, die sich in den Jahren zuvor etliche Feinde am Hofe an der Seine gemacht hatte. Laut Wikipedia drängte auf dieser Reise aber der Bruder sie und ihren Gatten Ludwig XVI. (der genau wie sie nach der französischen Revolution hingerichtet werden sollte) auch „sich endlich der Frage der Nachkommenschaft anzunehmen.“ Offenkundig mit Erfolg. Im Dezember 1778 wurde (nach acht Jahren Ehe) eine Tochter geboren.
Graf von Falkenstein kam wohl über Füssen nach Reutte, was Richard Lipp nicht zuletzt daraus schließt, dass der Bau der Straße von Füssen zur Ulrichsbrücke auf den Kaiser zurückgeht. Warum er diese Route nach Wien wählte (obwohl die kürzeste Strecke doch wie heute über Straßburg und München führte), ist nicht so recht klar.
Ohne Aufsehen gekommen.

Zwei Männer sitzen in der Kutsche, beide gleich gekleidet – welcher ist der Kaiser (respektive Graf Falkenstein)? Für Richard Lipp ist es ganz klar: „Rechts sitzend natürlich!“ Das österreichische Protokoll legt dies nämlich seit eh und je klar fest. Der prominente Besucher Reuttes ist also auf diesem Foto links zu sehen. Beim anderen soll es sich um den damaligen Schlosskommandanten, Philipp Freiherr von Heßberg handeln, der nach einer Theorie auch Autor des Lobpreis-Gedichts war.


Eins steht aber fest: Der Besuch in Reutte war weit unspektakulärer, als es die Malerei über der Eingangstür zur „Goldenen Krone“ vermuten lässt. Richard Lipp hat nämlich in die Chronik des Klosters geblickt und dort gefunden, dass Joseph „ohne Aufsehen gekommen und wieder weitergefahren“ sei. Zwar soll er nach späteren Berichten alles Mögliche in Reutte verhandelt und entschieden haben. Doch der Historiker ist überzeugt: „Das ist völliger Mumpitz.“
Zwei Jahre vor der Nacht in der „Krone“ hatte Joseph als Mit-Regent seiner Mutter Maria Theresia übrigens den Reuttenern eine liebe Tradition verboten: den Kreuzgang nach Ettal. Dagegen hatte freilich nicht einmal der Bischof von Augsburg Einspruch erhoben, weil wohl viele Reuttener die zweitägige Veranstaltung nicht nur als spirituelle Erfahrung oder Bußgang sahen, sondern auch und vor allem als „Event“, wie man wohl heute sagen würde.
„Die Folgen zeigten sich oft neun Monate später“, schreibt Lipp in seinem Buch.
Das Räuchern verboten.

Das war schon einschneidend genug. Doch nach dem Tod seiner Mutter 1780 legte Joseph erst so richtig los. Er empfand sich als aufklärerischer Monarch und verbot 1784 zum Beispiel die Weihnachtskrippe. Den Reuttener Franziskanern wurde allerdings eine Mini-Version gestattet, die freilich nach Dreikönig wieder verschwunden sein musste. Zwei Jahre später ging es sogar der Christmette an den Kragen: Verboten! Ein Jahr später wurde sogar eine Höchstzeit für die Predigt eingeführt (30 Minuten) und auch der Inhalt reglementiert (tätige Nächstenliebe und sonst nichts).
Selbst das heute wieder so beliebte Ausräuchern der Häuser und Ställe fand keine Gnade vor dem Herrn in Wien: Seit 1785 verboten. Zehn Jahre zuvor war schon die Prozession mit dem Palmesel untersagt worden.
1784 mussten den Heiligenstatuen die prächtigen Kleider ausgezogen werden – was in Reutte natürlich hauptsächlich die heilige Anna traf. Die Kirchgänger durften die Reliquien nicht mehr küssen und der Heiland an Himmelfahrt nicht mehr mit Seilen zur Kirchendecke hinaufgezogen werden.
Sämtlichen Gemeindefeiertagen ging es an den Kragen: Verboten! Das Annafest (26. Juli) durfte nicht mehr an Werktagen gefeiert werden: Verboten! Nikolauslaufen: Verboten! Neujahrsschießen: Verboten! Wetterläuten gegen Hagel: Verboten!
Überwachung von Ehrenberg.

Und ob all diese Verbote eingehalten wurden, kontrollierte das Pflegamt Ehrenberg penibel, drohte den Geistlichen mit Gehaltssperre oder sogar Absetzung. 1789 (im Jahr vor Josephs Tod) wurde sogar noch der ewigen Anbetung der Garaus gemacht.
Schlimm hatte es 1787 auch die Rochuskapelle getroffen. Sie wurde gesperrt und ihr Vermögen (7000 Gulden) eingezogen.
Vor dem Abbruch rettete sie Reuttes Bürgermeister Josef Anton Ostheimer, der sie für 57 Gulden kaufte – als Heuablage. Später erwarb sie die Pfarrgemeinde um denselben Preis zurück.
Einen Monat vor seinem Ableben am 20. Februar 1790 machte Joseph dann noch teilweise einen Rückzieher und erlaubte dem Volk wieder „althergebrachte Andachtsübungen, zu denen es nach seiner gewohnten Denkart besonderes Zutrauen hegte.“ Die einen sehen in Joseph einen aufgeklärten Herrscher, der die Privilegien der Kirche brechen wollte.
Die anderen einen Despoten, der seine berechtigten Anliegen überzog und keinerlei Sensibilität für das Empfinden des einfachen Volkes walten ließ. Denn die Verbote der kirchlichen Feiertage hatten ja auch eine Folge: Man musste zur Arbeit gehen. Es war mithin auch (salopp gesagt) eine kaiserlich verordnete Urlaubskürzung.
Wegen der man natürlich auch weniger Zeit hatte, in „der Krone“ (an der der Kaiser so gerühmt wird) zu sitzen.

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