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Die Sichel am Sonnenstrahl

Den Altar in Maria Heimsuchung in Kleinstockach ziert auch die Heilige Notburga

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht es nach Kleinstockach.
14. Juni 2021 | von Jürgen Gerrmann
Sichel und Getreidebündel trägt die aus Tirol stammende Heilige Notburga bei sich. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
„Moment einmal – in Kleinstockach gibt es doch gar keine Kapelle!“, mag da der eine oder die andere einwenden. Und das stimmt ja auch: Streng genommen ist Maria Heimsuchung keine Kapelle, sondern eine Expositurkirche. Aber so riesig groß ist die ja auch wieder nicht, zudem spielt diese Finesse für die, die sich gerne dem Zauber kleiner Gotteshäuser hingeben, eine eher untergeordnete Rolle. Machen wir also einen Exkurs zur Expositur – diejenigen, die sich daran stören, dass dieses Kirchlein quasi in einem Atemzug mit einer Kapelle genannt wird, seien daher im Vorfeld schon um Verzeihung gebeten.

Hartnäckige Kleinstockacher.
Doch was ist überhaupt eine Expositur? Aus dem Sprachschatz von heute scheint das Wort so gut wie verschwunden, und nur wenige dürften etwas damit anzufangen wissen. Im Bereich der Politik wird eine Außenstelle einer Bezirks-hauptmannschaft, die alle Amtsgeschäfte ausführen darf, so genannt. Reutte war – zum Beispiel – zwischen 1850 und 1854 innerhalb des Kaisertums Österreich eine Expositur des Bezirks Imst. Auch heute, in der Republik, existiert so etwas noch – allerdings nur ein einziges Mal: Gröbming im Bezirk Liezen in der Steiermark (das auch ein eigenes Autokennzeichen – GB – hat). Innerhalb der katholischen Kirche wird ein „Seelsorgebezirk ohne eigene Vermögensverwaltung“ als Expositur bezeichnet. Deren gibt es im Dekanat Breitenwang übrigens acht: Forchach, Hägerau, Kaisers, Stanzach, Stockach, Vorderhornbach, Zöblen – und eben Kleinstockach. Die Expositurkirche von Kleinstockach war übrigens nicht das erste Gotteshaus dort – womit wir dann doch wieder bei den Kapellen wären: 1680 errichteten die Menschen eine Kapelle zu Ehren der Heiligen Maria auf der Flucht nach Ägypten. Gut 50 Jahre später träumte man dann von einer eigenen Seelsorgestelle – und gab auch nicht auf, als die verschiedenen Fürstbischöfe von Brixen immer wieder Nein dazu sagten. Wieder gut hundert Jahre später wurde diese Hartnäckigkeit mit Erfolg gekrönt: Als die Kleinstockacher und Bichlbächler bei einer Sammlung in Tirol und Vorarlberg die stolze Summe von 14.000 Gulden zusammenbrachten (dafür weist der – nur als grobe Orientierung verwendbare – historische Währungsrechner der Österreichischen Nationalbank für heute eine Kaufkraft von 318.756,06 Euro aus!), konnte man wohl nicht anders, als den Bau der Kirche zu erlauben. Die wurde dann am 27. Juli 1844 von Weihbischof Georg von Prünster (einem gebürtigen Obertilliacher) geweiht. Und im Jahr danach zog dann der erste Expositus (Seelsorger) ein: Johann Veith, der zuvor Kurat in Berwang war. Egal, wie Kunsthistoriker nun den neoromanischen Stil des Kirchleins (in dem übrigens auch Schloss Neuschwanstein entstehen sollte) bewerten mögen: Als Laie ist man beeindruckt von der Ausstattung und Atmosphäre dort. Maria Heimsuchung vermag man übrigens durchaus auch als „Tiroler Gemeinschaftswerk“ einstufen: Ein Bauer aus Schwaz stiftete die (nicht mehr vorhandenen) Figuren des Hauptaltars: Katharina und Barbara. Das Gemälde, das das Ereignis widerspiegelt, das der Kirche ihren Namen gab, war ein Präsent eines Malers aus Weerberg. Der Lermooser Anwalt Johann Joseph Jäger und sein Bruder Alois steuerten die Monstranz bei. Ein Geschenk aus Schluderns ist das Gemälde von Joachim und Anna am Seitenaltar. Und es gibt sogar ein schwäbisches Element in diesem Kirchlein: Das große Leinwandgemälde, das Christus am Kreuz zeigt,  schenkte Magdalena Krämer, die frühere „Beschließerin“ des einstigen Klosters Schussenried in Württemberg (wo sie quasi Chefin über alle dort im Haushalt tätigen Personen war), den Kleinstockachern.

Heilige aus Rattenberg.
Vielleicht tat sie das ja auch wegen der Heiligen am linken Flügel des Hauptaltars: Die Frau mit der Sichel stellt nämlich die Heilige Notburga dar. Und die Tochter eines Hutmachers aus Rattenberg  fungiert ja nicht nur als Beschützerin der Landwirtschaft, sondern hat auch die Dienstmägde in ihrer Obhut. Was vermutlich daran lag, dass sie selbst eine war und Ende des 13. Jahrhunderts bei den Herren von Rottenburg in der Nähe von Buch in Tirol arbeitete. Ihr erster Chef Heinrich I. hatte laut Legende nichts dagegen, dass sie übriggebliebene Speisen an Arme verteilte. Nach dessen Tod änderte sich das: Ottilia, die Frau des neuen Herren, untersagte ihr diese Mildtätigkeit strikt. Auch Notburgas Alternative, selbst Fasttage einzulegen und ihr Essen stattdessen den Bedürftigen zu schenken, missfiel ihr, und sie hetzte ihren Gatten auf. Der stellte sie auch zur Rede, als sie in einer Schürze Essen und in einem Krug Wein zu den Armen tragen wollte: Was sie denn da bei sich habe? Notburgas Antwort: „Holzspäne und Lauge.“ Und als der Herr das wütend kontrollieren wollte, sah er genau dies. Trotz dieses „Holzspan-Wunders“ entließ er Notburga  und schickte sie weg. Auch mit ihrem neuen Dienstherren, einem Bauern aus Eben am Achensee, hatte sie nicht viel Glück, obwohl er ihr versprochen hatte, beim ersten Abendgeläut die Arbeit niederlegen und beten zu dürfen. Davon wollte er indes nichts mehr wissen, als ein Gewitter heraufzog. Was tat Notburga? Sie warf ihre Sichel hoch zum Himmel – und die blieb prompt an einem Sonnenstrahl hängen. Die Skulptur in Kleinstockach erinnert genau daran – zeigt sie die Heilige doch mit einer Sichel und einem Getreidebündel. Für den damaligen Ebener Pfarrer Erwin Corazza war sie vor 29 Jahren wegen ihres Beharrens auf den Feierabend auch eine Beschützerin der Feiertage: „Kämpferin für Freizeit und Sonntag – wenn Sonntag und Freizeit bedroht sind, sei du uns Mahnung!“, formulierte er damals in einem Gebet. Nach Ottilias Tod brach übrigens auf der Rottenburg ein Bruderkrieg aus. Heinrich II. erinnerte sich an seine frühere Magd und bewog sie zur Rückkehr – die sagte Ja und sorgte schnell für eine Versöhnung mit dessen Bruder Siegfried. Zum Dank stiftete Heinrich eine jährliche Speisung von 500 Armen. Und Notburga, die dann auf der Burg bleiben durfte, konnte sich nun mit offizieller Erlaubnis um Arme und Kranke kümmern. Ihr Grab fand sie in Eben, wo zwei Ochsen anhielten, die den Karren mit ihrem Leichnam zogen. Eine bemerkenswerte Parallele übrigens zum Seligen Bruder Ulrich von Pinswang – nur dass es sich dort um Stiere handelte.

Gedenken an Siegfried Würl.
Ein Artikel über das Kirchlein in Kleinstockach darf freilich nicht enden, ohne den Mann zu erwähnen, der bis 1964 der letzte Expositus dort war: Siegfried Würl, schon vor dem Einmarsch der Hitler-Truppen in Österreich ein erbitterter Gegner der Nazis (damals noch als Pfarrer von Namlos), die ihn das mit Haft im KZ büßen ließen, von der er schwer gezeichnet zurückkehrte. Was er durchmachen musste (und auch seine Standhaftigkeit) wurde in den Nachkriegsjahren viel zu wenig gewürdigt. Gott sei Dank hat Reuttes Historiker Richard Lipp noch einige Zeitzeugen interviewt – wie zum Beispiel Rosa Hörbst, die damalige Wirtin des der Kirche gegenüberliegenden Gasthofs „Roter Stein“. Sie berichtete von einem Mann, bei dem nicht nur die Nase von der Gestapo gebrochen worden war. Eigentlich ist es tieftraurig, dass an sein mutiges Leben und bitteres Leiden nur durch eine Tafel an seinem Grab in Uderns erinnert wird. Nicht aber dort, wo er gewirkt hat. Aber vielleicht lässt sich ja das noch ändern.

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