Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Durchs wildromantische „Bärenhatztal“

Eine Wanderung zum und durchs Lieblingstal des „Vaters des Lechtals“

„Willst Du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!“, erkannte einst schon Goethe. Im Außerfern liegt nicht zuletzt das Schöne so nah. Vor allem in den Bergen. Die RUNDSCHAU war nun wieder für ihre Leser unterwegs – zu seltenen Fossilien in einer ursprünglichen Landschaft.
2. August 2021 | von Jürgen Gerrmann
Immer wieder bieten sich bei der Bernhardstalrunde fantastische Ausblicke –wie hier zum Beispiel vom Bernhardseck zur Parseierspitze. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Alles auf dieser Erde ist relativ. „Unter ,leichte Familientour' wurde die Berndhardstalrunde in einem der Bücher des Bergsteigers und Alpinschriftstellers Toni Hiebeler aufgeführt“, erinnert sich Armin Hummel, der mittlerweile selbst legendäre Wirt der Bernhardseckhütte. Vielleicht lag das daran, dass der Publizist, der im Alter von 54 Jahren bei einem Hubschrauberabsturz in Slowenien ums Leben kam, in seiner Jugend auch dort als Ziegenhirt unterwegs war. Oder es hat einen anderen Grund, wie der Armin schmunzelnd hinzufügt: „Vielleicht waren die Familien vor 50 Jahren einfach noch anders drauf als heute.“
Wie dem auch sei: Eine herausfordernde Tour ist das zweifelsohne, wobei geübte Außerferner die zweifelsohne auch in einem Tag „packen“ können. Wir aber wollen nicht nur Kilo- und Höhenmeter sammeln, sondern auch genießen, die herrliche Bergwelt bei Elbigenalp mit allen Sinnen erleben  und uns auf keinen Fall einen Stress machen.

SICH ZEIT LASSEN.
Also teilten wir die Route auf. Der Aufstieg am Nachmittag zum Bernhardseck ist schon das pure Vergnügen.
Und in diese Freude bettet sich auch der Abend in der Bernhardseckhütte ein, die von Armin Hummel und seiner Ivet sowie Unterstützung von Janka  mit so viel Leidenschaft  und Begeisterung geführt wird. Das bekannt gute Essen, die netten Gespräche – das ist eine tolle Kombination. Und als Tüpfelchen auf dem I sagen einem die vielen Berge ringsum gute Nacht (respektive guten Morgen): Ruitlspitze und Parseierspitze, Saxerspitze und Freispitze,  Sonnenkogel und Wetterspitze, Kreuzkarspitze und Rotwand auf der einen,  Krottenkopf, Mädelegabel, Widderstein, Fellhorn auf der anderen Seite – das ergibt schon eine beeindruckende Kulisse.
Der nächste Morgen zeigt uns dann, dass dieser Außerferner Sommer durchaus seine Tücken zu haben vermag. Erstmal steigen wir im Nebel hinauf zur Mutte. Und spüren dabei: Nebel hat nicht nur eine meteorologische Dimension, sondern auch eine ästhetische. Der Blick in die Ferne mag eingeengt sein, aber dafür fällt einem viel mehr auf, was einem praktisch zu Füßen liegt und über das man sonst im wahrsten Sinne des Wortes einfach achtlos drüber hinweggeht.

TÜCHTIG DURCHZAUST.
Ab dem Rothornjoch werden wir tüchtig durchzaust: Der Wind heult uns um die Ohren, der Regen peitscht uns durch und macht uns klar, dass auch der Begriff „regenfeste Kleidung“ wohl nur relativ ist. Wir kommen auf dem Karjoch an und wollen dort im Grunde keine Sekunde verweilen, weil es jetzt gerade so unwirtlich ist. Aber leider ist die Markierung auf dem höchsten Punkt unserer Tour genauso miserabel wie das Wetter im Moment.
Schließlich finden wir unseren Weg doch, und schon bald können wir in eine Idylle eintauchen, die nicht nur uns, sondern auch schon einen berühmten Außerferner begeistert (hat): Johann Anton Falger, den „Vater des Lechtals“, wie er auch gern genannt wird.

FALGERS VERSTEINERUNGEN.
„Er war ein absoluter Experte des Bernhardstals“, weiß Mathilde Schlichtherle-Frey vom Team der Elbigenalper Wunderkammer, in der viele von seinen Schätzen aufbewahrt werden. In seinem „Mineralienkabinett“ hütete er zum Beispiel 40 „Petrefakten“, die er dort fand – also seltene Versteinerungen. Als „größte Ehre“ sah er es an, dass die Geologen gleich drei davon nach ihm benannten, weil er der Erste war, der sie entdeckt hatte: Cidaris, Pecten und Inoceramus Falgeri – also urzeitliche Arten von Seeigeln beziehungsweise Muscheln. Davon berichtete auch Christian Schneller, ein aus Holzgau stammender Philologe und Volkskundler, kurz nach Falgers Tod in einem Aufsatz für die Zeitschrift des Ferdinandeums. Freilich: Nicht mit allen „Geognosten“ (wie man die Geologen im 19. Jahrhundert nannte) war der Lechtaler gut Freund. Laut Schneller „grollte“ er so manchem von ihnen, weil diese „gierigen“ Zeitgenossen „seine seltensten Schätze wegtrugen und nicht mehr zurücksandten“. Schneller notierte gar: „Dem Einen oder dem Andern wäre auch kaum zu rathen gewesen, Falgers Haus zum zweiten Male zu betreten.“ Auch der bayerische Schrifsteller Ludwig Steub spiegelt in seinem Buch „Drei Sommer in Tirol“, für dessen zweite Auflage Falger selbst 1871 (also fünf Jahre vor seinem Tod) noch eigenhändig einige Informationen an den Autor geschickt hatte, dessen Leidenschaft wider. Steub erzählt davon dies: „Ferner warnt Herr Falger, das Bernhardsthal ja nicht wieder zu vergessen. Dieses sei eine sehr  sehenswerte Klamm mit einem Wasserfall und ganz wunderbaren Schichtungen des Felsens. Eine Stunde weiter komme man auf eine Alpe, welche schöne Versteinerungen biete.“

SACHSENS KÖNIG ZU BESUCH.
Das sah sich übrigens auch ein gekröntes Haupt ganz aus der Nähe an: Falger begleitete 1850 Friedrich August II., den König von Sachsen höchstselbst, dorthin. Der wurde auf den beeindruckenden Namen Friedrich August Albert Maria Clemens Joseph Vincenz Aloys Nepomuk Johann Baptista Nikolaus Raphael Peter Xaver Franz de Paula Venantius Felix getauft und war ein großer Fan Tirols, wo er auch das Zeitliche segnen sollte: 1854 stürzte er in Karrösten im Nachbarbezirk Imst aus seinem Pferdewagen, ein Pferd trat ihn gegen den Kopf – und das überlebte er nicht. Falger vertrat übrigens eine interessante Theorie über einen seiner absoluten Lieblingsplätze: Der Einschnitt zwischen den mächtigen Bergen habe ursprünglich „Bärenhatztal“ geheißen, weil sich die Ureinwohner „zeitweilig mit der Bärenjagd zu erlustigen pflegten“. Als es indes vorbei mit den gro-ßen Beutegreifern gewesen sei, habe ein Missverständnis Platz gegriffen und die Elbigenalper machten (so Schnellers Kurzfassung) „wie es bei Ortsnamen nicht gar selten vorkommt, aus dem Bärenhatzthal ein gar vornehmes Bernhardsthal“. Wer diese Wanderung macht, der wird aber auch feststellen: Sie ist zwar anspruchsvoll (für Außerferner indes auch nicht allzu sehr), aber an der Karalm, wo die Kühe noch eine riesige Fläche haben, in der sie sich ungestört von Menschenmassen noch tummeln können, kann man auch in eine Romantik eintauchen, die an die Heimatfilme der 50er-Jahre erinnert. Wie schön, dass man heutzutage dann doch immer wieder eine heile Welt um sich herum zu spüren vermag.

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