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Ein Leben mit der Eisenbahn

Der frühere Reuttener Bahnhofsvorstand Manfred Inderst ist nun Herr über 500 Loks

Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es für einen Buben fast nur einen Traumberuf: Lokomotivführer! Der Biberwierer Manfred Inderst hat sich ihn erfüllt – und wie! Er steuert nämlich nicht nur eine Lok, sondern gleich 500. Und rund 2000 Waggons noch dazu. Es ist schwer vorstellbar, dass es im Außerfern noch eine größere Modelleisenbahn gibt als die auf seinem Dachboden.
28. Juli 2020 | von von Jürgen Gerrmann
Auch im Ruhestand in Biberwier lässt den früheren Reuttener Bahnhofsvorstand Manfred Inderst seine große Leidenschaft nicht los: die Eisenbahn. RS-Foto: Gerrmann
von Jürgen Gerrmann

Sie ist das Ergebnis einer buchstäblich lebenslangen Leidenschaft des gebürtigen Watteners. „Ich hatte schon immer den Drang zur Eisenbahn“, erzählt er. Was sicher sehr mit dem Opa zusammenhing, der als Fahrdienstleiter in Gries am Brenner fungierte: „Den haben wir oft besucht, als ich ein Kind war. Natürlich mit der Bahn.“
Und eines Tages, noch vor der Schulzeit, stand dann eine Modelleisenbahn unter dem Christbaum. Eine kleine. Aber eine, die große Folgen zeitigen sollte: „Der Papa hatte eine Kiste gebaut, die man wie einen Koffer auf- und zuklappen konnte. Später war dann im Keller fast jeder Quadratmeter mit Gleisen belegt. Dieser Virus lebt bis heute.“
Nach der Schule kam der heute 68-Jährige freilich beruflich erst einmal auf Abwege, lernte mit sehr gutem Erfolg (er bekam dreimal das goldene Leistungsabzeichen) Bau- und Gerätetischler. Das Dumme (oder Gute) dabei war nur: „Meine Lehrwerkstatt in Hall war direkt neben dem Bahnhof. Da hat der Meis-ter schon öfter gesagt ,Du sollst auf die Arbeit schauen, nicht dauernd auf die Züge!'“ Und der Chef habe dann schon schlucken müssen, als er ihm nach der Gesellenprüfung gesagt habe: „Ich bleibe nicht, ich geh zur Bahn!“

47 BAHNJAHRE IM AUßERFERN. In Hall fing er dann als Verschieber im Rangierbahnhof an, aber mit 19 stand dann für ihn fest: „Ich will Fahrdienstleiter werden.“ Die Ausbildung, zu der er auch nach Wien musste, schloss er mit der praktischen Einschulung im Bahnhof Imst-Pitztal ab, und im Herbst 1972 war es dann so weit: „Ich konnte meine erste selbstständige Schicht im Bahnhof Schönwies absolvieren.“ Nach Zwischenstationen in Flaurling und Völs kam Manfred Inderst dann am 13. März 1973 ins Außerfern, wo er zunächst bis 1982 in Ehrwald blieb, dann für neun Jahre nach Reutte wechselte, bevor er für drei Jahre als Bahnhofsvorstand an den Fuß der Zugspitze zurückkehrte, bis er dann von 1994 bis 2009 als Bereichsvorstand die gesamte Bahnstrecke durchs Außerfern unter sich hatte.

GEWALTIGE TÜFTELEI. Wollte er damals nach Feierabend einfach alles hinter sich lassen? Nein, ganz im Gegenteil: Die Modelleisenbahnanlage wurde immer größer. Das erforderte eine gewaltige Tüftelei: „Es braucht einen Mindestradius von 70 Zentimetern für die Kurven. Da braucht man schon eine gehörige Fantasie, um all das umzusetzen.“ Für die jetzige, traumhaft schöne Version hat er „zwei Winter nur gezeichnet“. Das reicht ihm jetzt aber auch: „Ich will für den Rest meines Lebens nicht mehr bauen, nur mehr fahren.“
Das kann er auch, denn an Material mangelt es ihm keinesfalls: Der stolze Modellbahnhofsvorsteher, der er jetzt ist, kann über 500 Loks („70 Prozent elektrische, 25 Prozent Dampfloks und 5 Prozent mit Dieselantrieb) und 2000 Wagen gebieten. Groß umstellen muss er sich dabei nicht: „Ich fahre so, wie ich das gelernt habe – alles analog.“

EINE RUNDE DAUERT NEUN MINUTEN. Wenn er zum Beispiel vom Nachbau des prächtigen alten Bahnhofs von Baden-Baden aus (ging am 27. Juli 1845 in Betrieb – war im Original übrigens ein Kopf-  und nicht ein Durchgangsbahnhof) den imposanten Zug mit der Dampflok der Baureihe 39 der einstigen preußischen Staatseisenbahnen auf die 450 Meter lange Reise durch Kurven, Tunnels, Berge, Brückenpassagen und Ebenen schickt, dann dauert es neun Minuten, bis er wieder einfährt.
Aber der passionierte Eisenbahner belässt es natürlich nicht dabei, eine einzige der von Firmen wie Fleischmann, ROCO, Liliput oder dem früheren DDR-Betrieb Piko („Die haben sich in Sonneberg wirklich sehr gut gemacht“) Garnituren kreisen zu lassen. Über seine große Schalttafel kann er nämlich das gesamte Geschehen beeinflussen – wie im richtigen Eisenbahner-Leben eben: „Ich fahre im Blockabstand – immer von Signal zu Signal.“ Wenn einer anhalten muss, müssen das die anderen auch.
Und so folgt auf die E44.5 der Deutschen Bundesbahn („Die war nach Berchtesgaden unterwegs...“) zum Beispiel der Fahrrad-Zug in die Wachau, der Fernzug „Maria Theresia“, der „mit einem Autoreisezug hintendran von Wien nach Basel gefahren ist“, sowie die legendären „Krokodile“ der Schweizer Bundesbahnen mit den SBB-Doppelstockwagen im Gefolge.
Überhaupt: „Ich hab schon ein großes Faible für die Bahnen der Eidgenossen.“ Warum das? „Bei denen ist alles perfekt – Fahrplan, Pünktlichkeit, Material. Sie werden von der Politik begünstigt, und die Leute mögen sie einfach.“ Wobei sich die ÖBB mittlerweile auch zur „Nummer 1 in der EU“ entwickelt hätten.

SCHÖNE ERINNERUNGEN. Auch seine Lieblingslok stammt aus Österreich: „Die 1010 der ÖBB, sechsachsig, grün, bis Mitte der 90er im Einsatz.“ Und auch an den von der Compagnie Internationale des Wagons-Lits (CIWL/zu deutsch: Internationale Schlafwagen-Gesellschaft)betriebenen blauen Speisewagen des Arlberg-Expresses hat er sein Herz verloren: „Der war luxuriös wie im Orientexpress, da drin konnte man prima essen. Und zudem musste ich im Nachtdienst in Imst immer einen Korb voll Kohlen hinbringen.“
Und so verweben sich beim langjährigen Presbyter der evangelischen Kirchengemeinde Reutte immer wieder Hobby und Beruf miteinander. Eine schöne Erinnerung verbindet sich für ihn zum Beispiel mit dem Januar 1990: „Da hat es frühmorgens am Bahnhof in Reutte geklopft. Zwei Lokführer aus der DDR, wo kurz zuvor die Wende war, haben gefragt, ob sie hier übernachten dürfen. Mit Didi aus Leipzig hat sich danach eine tolle Freundschaft entwickelt. Bei ihm habe ich das Fotografieren gelernt, er hat mir die Dampfloks erklärt und jedes Mal, wenn er mich besuchte, hat er mir ausrangierte Lokschilder mitgebracht.“ Sie zieren heute die Wände seines Modellbahn-Paradieses.
Was fasziniert denn Manfred Inderst so an seinem Freizeitvergnügen? „Es hat immer was mit Technik und Strom zu tun. Man muss immer wieder Zusammenhänge erkennen, stunden- und nächtelang dran sitzen, bis es endlich funktioniert. Aber wenn es klappt, ist das ein unbeschreibliches Gefühl!“ Das sei heute noch so: „Ich mache sämtliche Reparaturen selbst, reinige die Motoren und Garnituren. Nur mit den Augen wird es jetzt schwieriger. Aber ich will und darf nicht aufgeben. Sonst geht es irgendwann wirklich nimmer.“
Doch auch wenn`s mit dem Hinschauen zuweilen Probleme gibt: In Sachen Eisenbahn hat der Manfred Inderst den Durchblick wie kaum ein anderer.

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