Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Eine ideale „Warmlauftour“

Wanderung vom Tannheimer Tal übers Älpele zum Vilsalpsee

„Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!“, erkannte einst schon Goethe. Im Außerfern liegt nicht zuletzt das Schöne so nah. Was in Nach-Corona-Zeiten vielleicht bedeutsamer ist denn je. Die RUNDSCHAU war daher auch heuer für ihre Leser unterwegs – und traf dabei auf begeisterte junge Alm-Wirte, beeindruckende Kreuze und herrliche Aussichten.
23. Juni 2020 | von von Jürgen Gerrmann
In die Berge gehen, Natur erleben und „Gschichtln“ hören, die nicht viele wissen: Es gibt sie wieder – die Berggeschichten in der RUNDSCHAU. Foto: Patrick Anderwald
von Jürgen Gerrmann

Auch wenn es fast 1000 Höhenmeter bis zum Joch an der Feldalpe zu bewältigen gilt, kommt man nicht allzu sehr ins Schwitzen (es sei denn, es ist ein glühend heißer Tag). Vom Tannheimer Parkplatz West bei Kienzen geht es auch über den Steig relativ sanft bergauf, und man wird auch schon durch die vielen Blumen, die einem den Wegesrand säumen, so richtig beflügelt. Und am Kreuz zu Beginn der Älpele-Hochebene kann man sich nach rund eineinhalb Stunden sicher sein: Bereits die Hälfte der Steigung ist geschafft.

PREMIERE AM ÄLPELE. Ein guter Anlass also für eine erste Einkehr. Wobei diese Saison für Viktoria Lochbihler  und Stephan Dreger eine ganz besondere ist. Nicht so sehr wegen Corona: Den dadurch verzögerten Start konnten die beiden ganz gut für die Renovierung der alten Wirtsstube (besonders des wunderschönen Kachelofens) nutzen. Nein: Sie feiern heuer  Premiere als eigenständige Alm-Wirtsleute. Und das freut die beiden jungen Leute ganz offensichtlich: „Stephan war früher Hirt auf einer anderen Alm, ich habe auch schon auf Almen gearbeitet, mein Papa Ludwig und mein Bruder Michael führen ja auch die Roßalpe“, strahlt Viktoria mit ihrer dreijährigen Tochter Valentina im Arm. Und man spürt: Das Leben hier auf 1530 Metern Höhe ist für alle eine große Leidenschaft. „Megst au an Kaiserschmarren?“, fragt sogar die kleine Valentina schon ganz routiniert. Denn der gehört natürlich genauso zur Speisekarte wie viele andere typisch Tiroler Gerichte. Aber dafür ist es jetzt noch zu früh. Nun heißt es Abschiednehmen vom Älpele, wo Viktoria, Valentina und Stephan den Sommer über mit acht Milchkühen (Stephan macht eigene Butter), 90 Stück Vieh, zehn Pferden, 30 Hennen  (auch bei den Eiern ist man also Selbstversorger) und vier Almschweinen leben. Wirklich schön haben sie’s hier!
Auf geht’s also zum zweiten Teil der Steigung! Am Ende des Älpeletals heißen einen schon die Murmeltiere willkommen, und – dank ihnen und der auch hier fantastischen Blumenwelt achtet man kaum auf die Steigung hinauf zum Joch auf der Feldalpe. Den Schnurschrofen zur Linken, das Gaißhorn zur Rechten kann man dann in ein Panorama eintauchen, das seinesgleichen sucht. Hier muss man einfach eine Rast machen und schlichtweg genießen! Man weiß gar nicht, wo man mit Schauen anfangen und wo aufhören soll.

 
Eine ideale „Warmlauftour“
Immer wieder herrliche Ausblicke bietet die Wandertour vom Älpele zum Vilsalpsee – nicht zuletzt hier auf der Oberen Roßalpe. RS-Foto: Gerrmann
FANTASTISCHES PANORAMA. Bschießer, Ponten, Zirleseck, Rohnenspitze, Aggenstein, Rote Flüh, Gimpel, Zugspitze (die von hier aus besonders imposant wirkt), Krinnenspitze, Schochenspitze, Lachenspitze, Steinkarspitze – man kann sich da einfach nicht sattsehen. So grandios ist das hier!
Der Abstieg ist steiler und beschwerlicher als der Aufstieg, zumindest wirkt er subjektiv so. Aber auch das vergisst man angesichts der herrlichen Ausblicke, die man immer wieder hat. Einer der Highlights: der Blick vom Kreuz auf der Roßalpe hinüber zum Gaißhorn (das auch einer der Lieblingsberge von Viktoria Lochbihler ist). 90 Jahre ist das Gipfelkreuz dort drüben auf 2247 Metern  jetzt – als der Skiclub aus Legau im Allgäu, der es aufgestellt hatte, es am 13. Juli 1930 von Kaplan Kohler weihen lassen wollte, herrschte indes miserables Wetter: Man musste sich durch Schneegestöber nach oben kämpfen, der Geistliche fragte nach Schilderungen des katholischen Gesellenvereins Legau immer wieder, wann denn das Kreuz endlich komme (zu sehen war es offenkundig also nicht), und musste die Zeremonie im Sturmgeheul und bei eisiger Kälte abhalten – und das mitten im Sommer!
Als wir  unterwegs sind, passt aber einfach alles. Christine Schneider, die Pflanzenexpertin der RUNDSCHAU, ist ganz begeistert von der außergewöhnlichen Vielfalt der Bäume entlang des steilen Weges bergab. Vor allem die vielen Birken, die sonst eher ungewöhnlich für einen solchen Landschaftstyp, haben es ihr angetan. Sie erzählen nicht zuletzt von der Feuchtigkeit, die diesen Abhang prägt.
Lang hält er sich verborgen, aber dann taucht er doch in seiner ganzen Schönheit auf: der Vilsalpsee. Und man kann verstehen, dass er nicht nur für die vielen Touristen, die begeistert vom Tannheimer Tal sind, ein Ort der Sehnsucht ist, sondern auch für die Außerferner. Und so darf man es  auch als Einheimischer nicht verpassen, sich hier noch ans Ufer zu setzen, den Blick ins Naturschutzgebiet hinein schweifen und die Beine und die Seele baumeln zu lassen.
Wem die Stunde Wegzeit zurück zum Tannheimer Tal zu viel ist, der kann ab hier auch das kleine Bähnle benutzen. Aber vielleicht ist man ja von dieser schönen Tour auch so beschwingt, dass man die kurze Strecke auch noch per pedes in Angriff nimmt. Denn auch dieses „Auslaufen“ ist wunderschön.

STRECKEN-STENOGRAMM. Start und Ziel: Parkplatz West in Tannheim. Länge: etwa 14 Kilometer. Höhenunterschied: etwa 1000 Höhenmeter bergauf und bergab. Dauer: etwa 6 Stunden.

BERGGESCHICHTEN. Die RUNDSCHAU knüpft an die erfolgreichen Berggeschichten aus 2019 an und veröffentlicht auch heuer wieder alle zwei Wochen eine Berggeschichte von Jürgen Gerrmann. Jürgen hat sich wieder besondere Ziele ausgesucht und würzt die Berg- und Wegbeschreibungen mit „G’schicht’ln“, die nicht jeder weiß.

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