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Erasmus in Corona-Zeiten

Jenni Zeller berichtet von ihren Erfahrungen während ihres Auslandssemesters in Frankreich

Die Nesselwänglerin Jenni Zeller studiert im Master Translationswissenschaft und Philosophie. Sie verbrachte als Erasmus-Studentin ein halbes Jahr in Frankreich und arbeitete dort an zwei französischen Schulen als Sprachassistentin. Trotz Pandemie und Lockdown gewann sie viele Eindrücke über die „Grande Nation“ und ihre Menschen.
17. Mai 2021 | von Johannes Pirchner
Jenni genießt den beeindruckenden Ausblick über ganz Paris. RS-Foto: Zeller
Von Johannes Pirchner.

RUNDSCHAU: Liebe Jenni, du warst letztes Jahr während dem Höhepunkt der Pandemie im Auslandssemester in Frankreich. Dort warst du Sprachassistentin in Fontainebleau in der Nähe von Paris. Jetzt haben die „Auslandssemester und Praxiserfahrung“ mehrere Ziele. Eines dieser Ziele ist das Kennenlernen vonSprache und Kultur. War dies trotz Pandemie irgendwie möglich?
Jenni Zeller: Ja, das Erleben von Sprache und Kultur war eher eingeschränkt möglich. In Frankreich war nämlich von Anfang November bis Mitte Dezember ein Lockdown und dann nochmal einer von März bis Mitte Mai. Außerdem besteht auch im Freien seit Beginn der Pandemie Maskenpflicht. Auf dem Papier waren die Maßnahmen in Frankreich sehr hart, jedoch sah es in der Praxis etwas anders aus. Zweimal konnte ich sogar eine Reise unternehmen: Einmal in die Bretagne nach Rennes und Quimper, und ein zweites Mal nach Südfrankreich nach Marseille und Bordeaux. Im Gegensatz zu Österreich fand der Schulunterricht bis April überwiegend in Präsenz statt. So habe ich wenigstens andere Mitarbeiter, Deutschlehrer und Sprachassistenten kennengelernt.

RS: Auch das Kennenlernen und der Kontakt mit Menschen war coronabedingt vermutlich schwierig. Gab es für Austauschstudenten bzw. für dich als Sprachassistentin hier Möglichkeiten, trotz Distance Learning und Kontaktbeschränkung Menschen kennenzulernen?
Jenni Zeller: Der physische Kontakt zu gleichalterigen Franzosen war praktisch unmöglich – alle Kultureinrichtungen waren geschlossen, Veranstaltungen abgesagt. Bevor ich nach Frankreich ging, gab es glücklicherweise in Österreich einen Vorbereitungskurs und da habe ich Kontakte zu anderen Sprachassistenten geknüpft. Mit ihnen habe ich dann auch etwas unternommen und mich ausgetauscht. In meiner WG waren wir zudem sehr international: meine Mitbewohner waren ein Amerikaner und ein Chilene. Aber ansonsten war der Austausch mit Franzosen jenseits von Arbeit und Einkäufen sehr schwierig.

RS: Wie kann man sich einen typischen Wochentag im Frankreich des Lockdowns vorstellen?
Jenni Zeller: Der Unterricht geht in Frankreich von 08.30 Uhr bis 17.30 Uhr. Ich habe wöchentlich 12–15 Stunden Unterricht gehalten. Dazu kamen dann noch Unterrichtsvor- und -nachbereitung (zwischen 1–3 Stunden pro Einheit) und Projekte mit den Schülern. Zum Tagesablauf: Morgens ging es also in die Arbeit, mittags zur Nachbarsbäckerei für das klischeehafte Pain au chocolat oder Baguette mit Kaffee. Am Abend haben wir in der WG Filme geschaut, gelesen, gearbeitet oder etwas gespielt. Fontainebleau ist außerdem von einem großen Wald umgeben; den nutzten wir sehr oft für Sport oder zum Lesen in der Hängematte.

RS: Du hast während deines Frankreichaufenthalts eine Kooperation zwischen dem BRG Reutte und deinen französischen Schulen organisiert. Wie bist du auf diese Idee gekommen und wie geht’s jetzt mit dieser Kooperation weiter?
Jenni Zeller: Nach meiner Matura bin ich mit meiner Französischlehrerin, Mag. Michaela Erös-Dengg, am BRG Reutte in Kontakt geblieben. Als ich dann nach Frankreich ging, war viel die Rede von Austauschen, die leider zurzeit nicht möglich sind. Nachdem ich online sehr aktiv bin, kam mir die Idee eines digitalen Austauschs mittels Videos, Chats und Briefen. Wir haben letztlich drei Klassen in Frankreich mit drei in Österreich verpartnert. Da ein persönliches Treffen leider immer noch nicht möglich ist, haben wir für die Schüler jetzt Whatsapp-Gruppen eingerichtet. So können die Schüler nach dem lehrergeleiteten Austausch von Dateien auch privat Kontakte und Freundschaften entwickeln; idealerweise auf Deutsch und Französisch.

RS: Die Schulsysteme in Frankreich und Österreich funktionieren sehr unterschiedlich. Gibt es etwas, was wir in Österreich vom französischen Schulsystem übernehmen könnten bzw. was könnte Frankreich von Österreich übernehmen?
Jenni Zeller: Die französischen Schüler werden meiner Meinung nach unter sehr viel Druck gesetzt: Sie müssen viel auswendig lernen. Als ich mit ihnen Übungsgespräche auf Deutsch über ihre eigenen Meinungen zu führen versuchte, konnten viele damit nichts anfangen und glaubten, ich würde sie Fakten abprüfen wollen. Dabei ging es mir um spontanen Ausdruck und ihre Gedanken. Das französische Notensystem ist auch besonders: Es geht nicht wie bei uns von 1 bis 5, sondern von 1 bis 20, wobei eine 20 ein „Sehr gut mit Sternchen“ (und dementsprechend selten) wäre. 10 ist der „Durchschnitt“ und interessanterweise zugleich die Grenze zwischen positiven und negativen Noten. Anderseits gibt es sehr viele, hochqualitative Spezialisierungen und Möglichkeiten, und das französische System hat eine stärkere Berufs- und Studienorientierung als das unsere. Es herrscht auch mehr Disziplin als bei uns.

RS: Du hast während deines Aufenthalts auch Paris besucht. Wie wirkt eine sonst so lebensfrohe, weltoffene und altehrwürdige Metropole im Lockdown?
Jenni Zeller: Ich war bis letzten Herbst noch nie in Paris; daher kenne ich den Normalzustand nicht. Der Vorteil war sicher, dass ich Paris mit aller Ruhe entdecken konnte. Das fiel vor allem an Tourismus-Hotspots, wie dem Louvre oder dem Eiffelturm, auf. Aber es wirkte schon auch komisch, da alle Kultureinrichtungen und Geschäfte geschlossen waren. Gerade die Champs-Élysées wirkte etwas befremdlich, so menschenleer. Aber die Pariser haben ihre Lebensfreude definitiv nicht verloren und treffen sich dennoch in Parks für ein Glas Wein oder ein Spiel Pétanque.

RS: Eine der furchtbarsten kulturellen Tragödien war die Brandkatastrophe von Notre-Dame. Wie geht es aus deiner Sicht mit dem Wiederaufbau voran?
Jenni Zeller: Es geht voran, die Kathedrale ist rundum abgesichert und verkleidet mit Fotografien und Texten. Die Baustelle kann man natürlich nicht besichtigen. Eindrucksvoll ist Notre-Dame dennoch. Für Frankreich ist diese Kathedrale ein Nationalsymbol; es gibt demnach schon viele neue Publikationen zur Geschichte, Bedeutung für die französische Identität und den Brand selbst.

RS: Wie würdest du die französische Mentalität beschreiben?
Jenni Zeller: Ich kann das Vorurteil des unfreundlichen Franzosen absolut nicht bestätigen. Die Menschen sind freundlich, lebensfroh, hilfsbereit und Virtuosen des Smalltalks.

RS: Napoleon Bonaparte ist in Tirol als Gegner von Andreas Hofer für jeden ein Begriff. Derzeit wird in Frankreich seines 200. Todestags gedacht. Wie gehen die Franzosen mit ihrer Geschichte und Kultur heute um, ist Napoleon eine kritische Figur?
Jenni Zeller: Wenn man sich in Frankreich und Paris aufhält, kommt man an Napoleon nicht vorbei. Ich denke, es verhält sich generell ein bisschen so wie in Österreich: Viele Franzosen haben einen ausgeprägten Nationalstolz, andere sind eher gemäßigt. Dennoch lieben Franzosen das Diskutieren und Kritisieren; im informellen Gespräch fiel mir das selbst bei Schülern auf. Was sicher für die französische Gesellschaft immer noch ein großes Thema ist, sind Rassismus und Xenophobie infolge des Kolonialismus. Das merkt man auch im Schulalltag zwischen einigen Kindern.

RS: Kommt Österreich im französischen Deutschunterricht vor? Kennt man uns oder werden wir als „Deutsche“ abgestempelt?
Jenni Zeller: Der Deutschunterricht in Frankreich ist sehr auf Deutschland zugeschnitten. Österreich kommt im Block mit der Schweiz vor, ist aber stark unterrepräsentiert. Auch bei den französischen Deutschlehrern herrscht hier ein unterschiedliches Bewusstsein. Eine Kollegin meinte beispielsweise, als ich den Kindern Austriazismen wie „Marille“ oder „Maroni“ erklärte, dass das eigentlich kein richtiges Deutsch sei. Andere Kollegen waren dann wieder offener und verwiesen auf die Besonderheiten und Vielfältigkeit der deutschen Sprache. Als ich den Schülern berühmte Österreicher vorstellte, wurde ich überrascht: Mozart und Sissi waren ihnen bekannt, Arnold Schwarzenegger oder Christoph Walz weniger.

RS: Wie oft hast du Crêpes oder Baguette gegessen?
Jenni Zeller: Crêpes habe ich eher selten gegessen; nur die bretonische „Galette“ habe ich ausprobiert.  Baguettes standen jedoch an der Tagesordnung. Was wir in Österreich unter Baguette verstehen, ist nicht vergleichbar. So,wie das süße Pain au chocolat oder Eclair habe ich es gerne und oft genossen.

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