Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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„Erbe und Verantwortung“

Ausstellung in Reutte schärfte die Sinne für den Schutz des Lebensraums Alpen

Die Alpen: Ein wunderbarer, aber auch akut bedrohter Lebensraum – auf beide Aspekte macht eine Ausstellung aufmerksam, die zurzeit durch Tirol „tourt“ und in den vergangenen Wochen auch am Reuttener Zeillerplatz zu sehen war.
13. Juni 2022 | von Jürgen Gerrmann
„Lokaltermin“ am Lech: Naturführerin und Künstlerin Christine Schneider (links) machte die Teilnehmer der Exkursion im Rahmen der Ausstellung „Über die Alpen“ mit dem Lebensraum Auwald vertraut. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Am vergangenen Donnerstag gab es nun das Highlight der Freiluftschau: Eine Doppelveranstaltung mit „Vor-Ort-Termin“ am Nachmittag sowie Infos und Kultur am Abend im „Mohren“. Für Reutte hatten sich das Büro der Alpenkonvention und der Verein Pro Vita Alpina (die die Freiluftschau mit dem Titel „Über die Alpen: Entdecken, Schätzen, Leben!“ gemeinsam mit dem Alpenverein und dem Land Tirol tragen) das Wasser als zentrales Thema ausgesucht. Und daher startete man am Vogelschutzturm in Pflach, wo Naturführerin und Künstlerin Christine Schneider Gäste von inner- und außerhalb des Außerfern mit dem hohen Wert dieses FFH-Vogelschutzgebiets am Lech vertraut mache.

WASSER UND DYNAMIK.
Dort gedeihen nämlich viele Arten, die zum Überleben das Wasser brauchen: „Selbst wenn man das Wasser nicht sieht, weiß man, dass es da ist – man sieht es an den Pflanzen“, sagte sie beim Blick von oben. Und sie freute sich darüber, wie prompt sich die Natur auch nach einem Eingriff (etwa dem flächenhaften Fällen von Fichten) ihr Terrain wieder zurückerobere. So siedelten sich in der feuchten Au schnellwachsende Bäume an, die viel Wasser aufsaugten und einen wesentlichen Beitrag zum Hochwasserschutz leisteten. Das gelte auch für die Aufweitung des Lech, die durch die Abkehr vom ständigen Bauen und Erhöhen von Dämmen ein „Vorzeigeprojekt für ganz Europa“ sei. Die Dynamik des Lech, der sein Erscheinungsbild immer wieder verändere und Schotterbänke hin- und herschiebe, sei zum Beispiel für den extrem bedrohten Zwergrohrkolben sehr wichtig: Könne sich etwa die Weide ansiedeln, gerate er als „Einzelgänger“ schnell ins Hintertreffen.

PERFORMANCE AM LECH.
Als kulturellen Schlusspunkt dieses „Outdoor-Teils“, anlässlich dessen der sonst dominierende Regen sogar eine Pause eingelegt hatte, gab es eine Performance direkt am Lechufer: Judith Schmid setzte das Thema des Bodypaintings, das Daniela Eneidi-Pahle für sie gestaltet hatte, tänzerisch eindrucksvoll und einfühlsam um: „Der wilde und der sanfte Lech“. Bettina Höcker mit Fingerklavier und Didgeridoo und Astrid Schmitz mit Hang und Trommeln untermalten dies faszinierend mit ihrer Musik. Im „Mohren“ gab es dann eine Weltpremiere: Laura Wittkopp vom Innsbrucker Büro der von acht Staaten plus der EU getragenen Alpenkonvention, hatte ein Video mitgebracht, das sich fast ausschließlich mit Schönheiten des Lebensraums Alpen befasste. Als Ziel ihrer Organisation nannte sie, die Interessen der Bevölkerung und der Natur gleichermaßen zur Geltung gelangen zu lassen: „Wir wollen Wegweiser für ein nachhaltiges Leben in den Alpen sein. Das ist unser Erbe und unsere Verantwortung.“
Barbara Haid, die designierte Obfrau von Pro Vita Alpina, verwies auf die durch den Klimawandel weltweit zunehmende Gefahr von Dürren: Noch fühle man sich in Tirol sicher davor, aber Waldbrände in anderen alpinen Region zeigten, dass „das sehr wohl auch für uns ein Thema sein kann“. Ursula Beiler blickte auf die Geschichte des Kulturvereins Alpenweiber zurück, der in den 90er-Jahren im Lechtal entstanden ist und sich mit Kunstaktionen und Symposien, Führungen und Festen frauenspezifischen Wegen in den Alpen gewidmet habe. Gerhard Leitl, dessen verstorbene Frau Ruth Spielmann diese Aktivitäten und auch dem Kampf um die Natur im Außerfern wesentlich mitgeprägt hatte, erinnerte  wiederum an die großen Schwierigkeiten, die fast alle Außerferner Bürgermeister und auch große Teile der Bevölkerung der Etablierung des Naturparks Tiroler Lech bereitet hätten.

BLUATSCHINK-REMINISZENZEN.
Toni Knittel und seine Frau Margit ließen dann als Duo Bluatschink die Zeit des Kampfes um den Lech als letzten Wildfluss der Nordalpen in persönlichen  Erinnerungen und auch Liedern wieder aufleben. Der verstorbene Steeger Pfarrer Karlheinz Baumgartner sei dabei der entscheidende „Vernetzungsfaktor“ gewesen: „Sein Andenken kann gar nicht hoch genug gewürdigt werden“, unterstrich Toni Knittel. Anfangs habe man ja den Lechtalern erst einmal die Augen dafür öffnen müssen, was sie für einen Schatz vor der eigenen Haustür haben: „Mir selbst ist das erst mit 19 aufgefallen.“ Danach habe er begonnen, Lieder zu schreiben, die über die puren Fakten hinaus die Gefühlsebene erreichten – und in deren Welt ließen die beiden dann ihr Publikum intensiv eintauchen. Nicht nur aufrüttelnd (wie der erste Bluatschink-Song) und melancholisch (wie der „Haschreck im Lechtl“) ging es dabei zu, sondern auch lustig: „Denn beim Umweltschutz darf auch gelacht werden, damit öffnet man die Türen.“ Und so entwickelte sich der Bluatschink im Lauf der Jahre vom Kinderschreck zum Umweltkämpfer, ja zur Identifikationsfigur für eine ganze Region.
Florentine Prantl, die Geschäftsführerin von Pro Vita Alpina, zog danach ein sehr positives Fazit zur Ausstellung und Infoveranstaltung. Das Ziel, Theorie und Praxis näher zusammenzubringen, sei erreicht worden. Das einstige Biwak vom Glockner auf dem Zeillerplatz sei zur „Wunderkammer“ geworden, in der deutlich geworden sei, „dass man, je mehr man sich mit dem Thema auseinandersetzt, desto intensiver entdeckt, wie schützenswert dieser Lebensraum Alpen ist“.

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