Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Geborgenheit statt Gruseln

Eine wohltuende Nacht der tausend Lichter in der Reuttener Annakirche

Ein einziges kleines Lichtlein ist stärker als die größte Dunkelheit – dies bekam man am Abend vor Allerheiligen in der Reuttener St. Anna-Kirche einmal mehr eindrucksvoll vor Augen geführt.
8. November 2021 | von Jürgen Gerrmann
Reuttes St. Anna-Kirche war bei der Nacht der Lichter vor Allerheiligen mit unzähligen Kerzen erfüllt - und viele Menschen tauchten gerne in diese Atmosphäre der Geborgenheit ein. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Mit der „Nacht der tausend Lichter“ wollte die Katholische Jugend Tirols schon vor geraumer Zeit ein Zeichen gegen den immer stärker werdenden Halloween-Boom setzen, bei der allerlei finstere Gestalten durch die Straßen ziehen und mal mit piepsender, mal mit pubertär-stimmbrüchiger, mal mit fester Stimme „Süßes oder Saures“ verlangen.
Als Gegenstück zu dem aus Irland in die USA exportierten Brauch, der seit gut zwei Jahrzehnten wieder nach Europa reimportiert wurde, mochte Pfarrkurator und Pastoralassistent Gerhard Kuss, der die Aktion in Reutte betreute, indes nicht verstehen: „Für mich liegt der Schwerpunkt auf der Nacht vor Allerheiligen“, sagte er im Gespräch mit der RUNDSCHAU.
Auf vielfältige Weise wurde das Thema „Licht“ vor und in der Kirche sowie im Kreuzgang des ehemaligen Klosters variiert. Die Katholische Jugend Tirols hatte dazu Vorlagen erarbeitet, und rund die Hälfte  davon veränderte Kuss und brachte damit eigene Reuttener Impulse ein.
Das Angebot wurde offensichtlich gerne angenommen: Manch einer hätte nicht erwartet, dass so viele in die Annakirche kommen würden, um in die Welt des Lichts einzutauchen. „Kerzen und Licht sind für viele eben sehr wichtig“, konstatierte denn auch der Pastoralassistent und freute sich darüber, dass sich so viele für diese Aktion, die in St. Anna im jährlichen Wechsel mit der Peter-und-Pauls-Kirche zu Breitenwang stattfindet, bedankt hätten.
Geborgenheit statt Gruseln umfing einen schon, wenn man sich der Feuerschale auf dem Kirchplatz näherte, ein Kreuz aus vielen kleinen Kerzen erinnerte an eines der zentralen Jesus-Worte: „Ich bin das Licht der Welt.“ Und so lud Gerhard Kuss mit auf dem Boden platzierten Gedankenimpulsen denn auch dazu ein, in dieser Nacht vor Allerheiligen, dem Fest, an dem so viele an ihre lieben Verstorbenen denken, „dem Leben auf die Spur zu kommen“ und inmitten eines Lichtermeers zu staunen, ruhig zu werden, sich zu besinnen, über das nachzudenken, was dem eigenen Dasein Sinn und Kraft verleiht, zu meditieren, zu beten oder auch sich einfach berühren zu lassen. Und so mancher war so darin versunken, dass er beim Lesen unbeabsichtigt mit dem Fuß an die kleinen Lichter stieß und deswegen so mancher Wachstropfen Plakate und Kirchenboden zierte. Es waren eben buchstäblich Denk-Anstöße.

KLAGEN UND DANKBARKEIT.
Aus einer paar Minuten in dieser wohltuend lärm- und hektikfreien Zone wurde für so manchen denn auch eine halbe Stunde oder gar mehr.
In einer Formation aus Ziegelsteinen vermochte man zum Beispiel auf einem Zettel seine Sorgen und Nöte, eben alles, was einen belastet, zu hinterlassen – eine Art Jerusalemer Klagemauer im Kleinen quasi.
Auf der anderen Seite des Altarraums konnte man wiederum Lichter der Dankbarkeit entflammen – und es war einfach wohltuend zu erleben, wie sehr in einer eher dunklen Zeit, die nun schon fast zwei Jahre von der Corona-Krise überschattet ist, die Dankbarkeit sehr wohl noch ihren Platz hat. Unzählige Kerzen, die Besucher entzündet hatten, brannten denn auch in diesen „Sandbetten“. Und fast jeder, der auf dem Weg in die Sakristei und dann in den Kreuzgang daran vorbeiging, dürfte sich darob gefreut haben.

ZEICHEN DER HOFFNUNG.
Auf dem Weg zurück in die Nacht wurde man wiederum daran erinnert, dass Gott ein Gott des Aufbruchs sei: hinaus aus Abhängigkeiten, hinaus aus alten Gewohnheiten, die einen hemmen, weg von ausgetretenen alten Pfaden, aber auch von Irrwegen, Umwegen – und nicht zuletzt hinaus aus der Angst.
Ein Zeichen der Hoffnung sollte laut Gerhard Kuss mit der Nacht der tausend Lichter gesetzt werden. Dass dies so eindrucksvoll gelang, lag auch am Chor Unus Mundus, der von der Orgelempore aus mit seinen meditativen und einfühlsam vorgetragenen Liedern die Besucher gewissermaßen über einen weichen Klangteppich schreiten ließ und sie mit einem wärmenden musikalischen Mantel umhüllte. Und so strahlte denn auch Kuss: „Die Hunderten Kerzen, die die Besucher selbst angezündet haben, sind auch ein Zeichen, dass eine Sehnsucht erfüllt wurde.“

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