Von Jürgen Gerrmann.
Die erste große Bergtour zu Beginn einer neuen Wandersaison – sie ist immer etwas ganz Besonderes. Heuer startete sie für uns später als gewohnt: Zum einen wegen eines Abstechers nach Thüringen und der Recherche für mein neues Wanderbuch dort, zum anderen, weil das Wetter im Außerferner „Sommer“ dazu bisher alles andere als einladend war. Am Samstag freilich, da passte einfach alles – und wir brachen top-motiviert von der Musteralm zu einer Tour in einen nicht ganz so bekannten Winkel des Außerfern auf. Über 1.100 Höhenmeter galt es hinauf zu den Geierköpfen zu überwinden. Aber schon jetzt sei gesagt: Jeder einzelne davon (ob hinauf oder hinab) war einfach wunderschön. Gleich zu Beginn im Wald erfreuen einen noch Orchideen, von denen die meisten auf den Magerrasen bereits verblüht sind. Die Knabenkräuter gedeihen hier erstaunlich gut, sind höher als anderswo, fällt selbst mir als blutigem Laien auf. „Unter den Bäumen ist es eben kühler“, klärt mich Christine Schneider, die Pflanzenexperten der RUNDSCHAU, auf.
DER TAPFERE BERGAHORN.
Auch die wunderschönen Bergahorne stechen mir sofort ins Auge. Sie erinnern mich an die herrlichen Wiesen zwischen Zunterkopf und der Bleckenau, durch die wir im vergangenen Jahr für eine Berggeschichte über „König Ludwigs Reich der Stille“ gewandert sind. Es gibt indes einen gravierenden Unterschied: Sie sind nicht von sattem Grün umgeben, sondern von einem Meer aus Geröll. Tapfer behaupten sie sich, wollen sich buchstäblich „nicht unterkriegen lassen“. „Die halten es aus, immer wieder überschüttet zu werden“, sagt Christine zu mir. Nach den ersten 600 Höhenmetern werden wir auf der „ersten Etage“ unserer Tour mit Idylle pur belohnt: Es geht immer sanft über grüne Wiesen durch den Wald dahin, und in einem der legendären Heimatfilme der 50er-Jahre hätte der Förster vom Silberwald ganz sicher seine helle Freude daran. Erst nach der Zwerchenbergalm ist dann wieder die (für die erste Gipfeltour erstaunlich gute) Kondition gefordert: Die zweite Hälfte der Steigung kann einen schon ins Schnaufen und an einem sonnigen Tag wie heute auch ins Schwitzen bringen, der schöne Weg durch die Latschenzone mit Alpenrosen am Rande lässt einen das aktuell indes so gut wie gar nicht spüren. Ab dem Kreuzjöchl wird es dann so richtig alpin, und einmal müssen wir sogar die Hände einsetzen – doch der Punkt, der in Bergsteigerforen im Internet als „Felsriegel mit erstem Schwierigkeitsgrad“ eingestuft wird, ist schnell überwunden – und das Gipfelkreuz auf dem westliche Geierkopf entfaltet eine nachgerade magnetische Anziehungskraft.
UMWERFENDER RUNDBLICK.
Droben auf 2.142 Metern vermag man es dann kaum zu fassen: Am besten, man hält sich am senkrechten Balken des Kreuzes fest – denn die Rundumsicht dort ist wahrlich umwerfend. Die Gipfel kann man gar nicht zählen, die Gebirgsgruppen reihen sich wie an einer Perlenschnur aneinander: Karwendel, Miemingerkette, Wetterstein, Ötztaler, Kaunertaler, Lechtaler, Allgäuer und natürlich Ammergauer. Die Zugspitze erkenne ich natürlich, den Daniel auch, Heiterwand und Gehrenspitze, Hahnenkann und Hochvogel, Thaneller, Säuling, Tegelberg und Hochplatte, dazwischen als grüne Tupfen im dunklen Grau, die Grasberge Bleispitze und Hönig. Als Zeitungsmann kommt mir da in den Sinn, dass ich diesen Artikel vermutlich nur mit all den Namen der Berge bestreiten könnte, die man von hier oben sieht. Der Zufall will es, dass ich davon (wie sich erst später herausstellt) einer Gruppe des Alpenvereins Schwäbisch Gmünd vorschwärmen kann. Ihr gehöre ich immer noch an, weil mein Vater während meiner Kindheit deren Vorsitzender war und legendäre Touren ins Außerfern organisiert und geführt hatte, (und ich bin dankbar, dass mir die Reuttener auch Gastrecht gewährt haben) – dass ich nun hierher gezogen bin, hat seine Wurzeln in dieser Zeit, aus der in meinem Kopf immer wieder Blitzlichter (besonders aus dem Tannheimertal und von der Engel-Familie) aufleuchten.
DES KAISERS FREUDE. Lang, lang ist’s her. Aber noch viel länger (nämlich über 500 Jahre) liegt es zurück, dass sich ein leibhaftiger Kaiser in die Berge, Seen und Wälder zwischen Loisach und Lech, auf die nun mein Blick fällt, verliebte. Karlheinz Eberle hat für seine Internet-Seite verren.at eine hochinteressante „jagdgeschichtliche Studie“ von Hans von der Trisanna ausgegraben, in der der Schriftsteller, Volkskundler und Lehrer Hans Zangerle (wie er jenseits dieses Pseudonyms hieß), davon spricht, unter Kaiser Maximilian habe der Plansee „eine Glanzzeit gesehen“. Dessen Fischereibuch rühmte den Fischreichtum dieses Gewässers und die Menge an Wild, die es damals gab. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, dass sich im Außerfern so viele Wildschweine tummelten, dass höchste Herrschaften hier kamen, um ihnen den Garaus zu machen. So ging 1494 der Kaiser mit Erzherzog Sigmund dem Münzreichen und Bayerns Herzog Wilhelm dort auf Eberjagd. Auch Jagdhäuser erbaute man am Plansee und im Ammerwald für den Herrscher des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, für den diese Gegend wohl ein absolutes Traumrevier war – und natürlich wurde dort nicht nur auf die Pirsch gegangen, sondern zudem (oft mit der Kaiserin und großem Tross) tüchtig gefeiert. Man wollte eben auch „Freid und Lust mit Tanzen haben“, wie es in Maximilians Fischereibuch notiert wurde. Für uns aber geht es nun erst einmal bergab. Die Steigung zum Gipfel hatte mir erstaunlich wenig ausgemacht, aber der Weg hinunter (diesmal über das Schönjöchl mit dem fantastischen Blick auf die Seen) wird beim Saisonstart zur Herausforderung. Ich komme quasi auf dem Zahnfleisch am Plansee an, aber ein Bad im kühlen Wasser weckt dann schnell wieder die Lebensgeister. Und zudem gehört zu einem perfekten Wandertag ja einfach eine gemütliche Einkehr dazu.
WIEDERBELEBTE KÄSETRADITION.
Also nix wie hin zur Musteralm. Karin Ratz und Horst Meusburger führen sie nun schon seit neun Jahren. Sie stammen zwar nicht von hier, sondern aus dem Bregenzerwald, aber dennoch sind sie ein Glücksfall für das Außerfern. Denn dank ihnen konnte die Käseproduktion dort, die schon eingeschlafen war, wiederbelebt werden. Dass sich die Bregenzerwälder aufs Käsemachen verstehen, ist ja alles andere als ein Geheimnis. Aber warum tun sie dann das nicht zuhause? „Mein Mann ist leidenschaftlicher Landwirt, und wir haben eine Alpe gesucht. Daheim war nichts frei“, erklärt dies Karin. Und Horst frönt seiner Leidenschaft voller Begeisterung. 41 Milchkühe, 15 Kälber und 37 Schweine haben die beiden nun um sich. Und fast in jedem Gericht auf der Speisekarte ist der Bergkäse aus Eigenproduktion drin. Vor sechs Jahren mussten sie übrigens entscheiden, ob sie zurück nach Vorarlberg oder am Plansee bleiben wollen: „Wir haben uns für die Musteralpe entschieden.“ Und das ist gut so!
Strecken-Stenogramm:
Start und Ziel: Parkplatz an der Musteralm am Plansee
Länge: etwa 15 Kilometer
Dauer: knapp 7 Stunden
Höhenunterschied: 1.300 Meter bergauf und bergab