Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
Artikel teilen
Artikel teilen >

In König Ludwigs Reich der Stille

Eine Wanderung vom Urisee über die Bleckenau zum Alpsee

„Willst Du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!“, erkannte einst schon Goethe. Im Außerfern liegt nicht zuletzt das Schöne so nah. Vor allem in den Bergen. Die RUNDSCHAU war nun wieder für ihre Leser unterwegs – und traf dabei auf königliche Spuren und eine ganz erstaunliche Welt der Stille.
21. Juli 2020 | von Jürgen Gerrmann
Einsamkeit, Ruhe und herrliche Blicke ins Ammergebirge (wie hier Richtung Zugspitze) – eine Tour vom Urisee zur Bleckenau hält viele schöne Überraschungen bereit. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.

Noch vor gut einem Monat wäre diese Wanderung höchst gefährlich gewesen. Nicht, weil man besonders schwierige Abschnitte hätte absolvieren müssen – sondern wegen der Strafe im satten vierstelligen Euro-Bereich, die man hätte berappen müssen, hätte man die Tour noch Anfang Juni unternommen. Der Grund: Corona und die damit verbundenen Grenzschließungen. Nur einen Schritt aus Tirol hinüber zu den bajuwarischen Nachbarn: Das hätte ein gutes Monats-Gehalt (oder -Pension) gekostet. Nun aber ist die Gefahr vorbei, nun herrscht dieselbe Freiheit, wie sie schon die bayerische Königsfamilie vor 150 Jahren genossen hatte, die ganz selbstverständlich hin- und herpendelte. Alsdenn: die zurückgewonnene Gelegenheit beim Schopf gepackt – und hinauf zum Kofler Joch! Der erste Abschnitt dieser Tour ist den Außerfernern selbstverständlich wohlbekannt: Für den Weg vom Urisee zur Dürrenberg Alm braucht es daher keinerlei Beschreibung. So beliebt diese Wanderung ist, so belebt geht es dort auch zu. Aber danach wird’s auf der zweiten Hälfte des Anstiegs schon ruhiger.

IN EINR ANDEREN WELT.
Und wenn man dann zwischen Dürrenberg und Jochberg auf einem unbeschilderten Weg, der indes mit nur einigermaßen wachen Augen leicht zu erkennen ist (denn drunten auf der Wiese sieht man schon die Kofler Alm), hinab nach Bayern steigt, dann taucht man schon nach ein paar Minuten in eine ganz andere Welt ein. Wer den Motorradkrach und die Blechlawinen drunten im Tal gezwungenermaßen gewohnt ist, der vermag es kaum zu fassen, wie still es hier jenseits der Grenze zu sein vermag. Und das ist keineswegs eine Momentaufnahme, das bleibt auch für die nächsten rund zwei Stunden hinüber zur Bleckenau so. Und so verwundert es einen kein bisschen, dass sich eine Initiative darum bemüht, dieses Refugium von der Hektik des Alltags zum (bayerischen) Nationalpark (mit Erweiterungsmöglichkeit zu den Geierköpfen beim Plansee im Außerfern) erklären zu lassen, obwohl der Herr Ministerpräsident (und potentielle deutsche Bundeskanzler in spe) Markus Söder seine Begeisterung dafür im Moment noch an die äußerst kurzen Zügel nimmt.

DAS ZEUG ZUM NATIONALPARK.
Aufgeben will der Förderverein auf keinen Fall. Und wenn man bei der Jause an der Sepp-Sollner-Hütte auf der Kofler Alm hinein in die Ammergauer Alpen schaut, dann kann man das auch gut verstehen. Auch der Weiterweg hält viel Schönes bereit, wobei man sich nach etwa 500 Metern entscheiden muss, wie man denn nun hinunter zur Bleckenau möchte: entweder über die Bäch-Hütte oder aber über den Zunderkopf. Wir entscheiden uns für die letztere Variante und bleiben weiterhin begeistert. Denn dies ist weiterhin ein alpiner Steig voller Zauber. Die andere Seite des Monds kann man hier zwar nicht sehen. Aber immerhin die andere Seite es Säulings, des Pflacher Hausbergs. Und auch die ist überaus imposant. Uralte Bäume stehen hier auf den Wiesen, der Pfad durch den Wald ist urig, und man kann nach wie vor die Einsamkeit genießen. Belebter wird es dann erst wieder in der Bleckenau. Was auch nicht verwunderlich ist. Denn hier befindet man sich auf höchst geschichtsträchtigem Boden. Und auf überaus romantischem dazu. Denn eigentlich ist die Geschichte von Marie und Maximilian mindestens genauso schön wie die von Elisabeth („Sisi“) und Franz Josef, die Jahr um Jahr die Herzen zumindest zur Weihnachtszeit anrührt. Und letztlich vielleicht auch mindestens so dramatisch.

ROMANTIK PUR.
„Wundgelaufene Freiersfüße“ soll der bayerische Kronprinz Maximilian gehabt haben, als er sich im Frühjahr 1842 gen Niederschlesien zu einer Konfirmation aufmachte. Nicht zu irgendwem, sondern zu seiner Gattin in spe: Friederike Franziska Auguste Marie Hedwig, ihres Zeichens Prinzessin von Preußen, konnte ohne diesen Akt, zu dem auch eigens der preußische König Friedrich Wilhelm IV. und dessen bayerische Gemahlin Elisabeth Ludovika („Sisis“ Taufpatin) angereist waren, gar nicht in den heiligen Stand der Ehe eintreten. Den Bund fürs Leben schloss sie kurze Zeit später zunächst einmal  per Ferntrauung – an ihrer Seite stand bei der (evangelischen) Zeremonie in Berlin nicht ihr Herr Gemahl, sondern ihr Vater als dessen Stellvertreter. Was allerdings für die damalige Zeit nichts Sensationelles war. Als Marie dann endlich zu ihrem Mann durfte, war die Freude so groß, dass sie das Protokoll missachtete, auf ihren 14 Jahre älteren Gatten zustürmte und ihn wider alle Etikette der damaligen Zeit umarmte. Auch in Maximilian war die Liebe wohl groß – ließ er seiner Frau doch kurze Zeit später ein „Schweizerhaus“ (so der Begriff für diesen romantischen Baustil) in der Bleckenau errichten. Vorbild war ein ähnliches Haus bei Fischbach in den  niederschlesischen Falkenbergen, wo Marie mit ihren Eltern im (heute polnischen) Riesengebirge glückliche Tage verbracht hatte. Und dieses Glück schien sich zu übertragen: Die Königin kam oft und gerne hierher und bestieg von dort aus mit ihren Söhnen Ludwig und Otto den Säuling – in einem Tempo, das einem auch heute noch höchste Achtung abringt. Es hätte alles so schön sein können, wenn nicht ihr Mann 1864 so plötzlich gestorben wäre und nicht die Schwermut nach beiden Kindern gegriffen hätte. „Die Bleckenau ist nach einer Pflanze, die dem Huflattich ähnelt, benannt worden“, erzählt Florian Schweiger, dessen Familie vor 101 Jahren das einst königliche Freizeitdomizil als Wirtshaus übernahm. Er führt die beliebte Ausflugsgaststätte nun schon in der vierten Generation und ist sichtlich stolz darauf. Zwischen April und November bieten er und sein Team dort typisch Allgäuer und bayerische Küche an, so dass man gut gestärkt den Weg hinab ins Tal antreten kann. Wo dann als Tüpfelchen aufs I die ganze Pracht der Wittelsbacher auf einen wartet.

Feedback geben

Feedback abschicken >
Nach oben