Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
Artikel teilen
Artikel teilen >

Kaiser, Bischöfe, ein Ritter und eine Königin

Eine Wanderung durch das Raintal und über die Vilser Scharte

Willst Du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!“, erkannte einst schon Goethe. Im Außerfern liegt nicht zuletzt das Schöne so nah. Vor allem in den Bergen. Die RUNDSCHAU war nun wieder für ihre Leser unterwegs – und stieß dabei auf Spuren von gekrönten Häuptern weltlicher und geistlicher Art.
19. Juli 2021 | von Jürgen Gerrmann
Grüne Wiesen und Wälder und schroffe Felsen. Das Raintal hat auf dem Weg von der Musauer Alm zur Vilser Scharte seinen ganz besonderen Reiz.  RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann.
Sanft steigt der Weg vom Parkplatz bei Roßschläg in die Höhe – vorbei an der Inneren Vöslerrinne geht es durch den Klausenwald und am einstigen Wegmacherhäusle vorbei. Schon bald ist die Hochfläche im Raintal erreicht. Und das auch noch relativ bequem. Kein Wunder also, daß einst Bayerns junge Königin Marie dort hinauf zur Musauer Alm genauso gern aufbrach wie ihre „preußischen“ Landsleute von heute.
Einmal war sie laut einem zeitgenössischen Zeitungsartikel zum Beispiel mit einem „tapferen deutschen Ritter“ dorthin unterwegs: dem „Herrn Obristlieutenant von der Tann“. Dabei dürfte es sich um Ludwig Samson Heinrich Arthur Freiherr von und zu der Tann gehandelt haben, der kurz nach der Hochzeit der preußischen Prinzessin dem bayerischen Generalquartierstab angehörte und es später auch zum General und Helden des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 bringen sollte. Auf einem Foto macht er noch als 45-Jähriger mit Gamsbarthut posierend einen schneidigen Eindruck. Das Bild entstand 1860, und etwa zehn Jahre zuvor unternahm er den Ausflug mit ihrer Majestät, mit deren Ehemann Maximilian er bis zu dessen Tod (schon 1864) innig befreundet war.

IN REUTTE GING ES HOCH HER.
Der Königin und des Königs Adjutant taugte der Ausflug wohl außerordentlich. Sie kehrten danach „in fröhlichem Humor“ noch in Reutte ein, und nach dem Essen ließ man es für damalige Verhältnisse – insbesondere, was gekrönte Häupter anbelangt, noch so richtig krachen. Ihrer Majestät Sinn stand nach einem Zitherspieler, der wurde auch aufgetrieben, gab aber nicht nur Tiroler Volksmusik zum Besten, sondern entpuppte sich auch als Meister der Tanzmusik: Polka, Mazurka, Walzer, Schottisch, Ländler hatte er „auf der Pfanne“, und Marie aus Preußen (damals noch Protes-tantin) war mittendrin und machte sogar den „Bäurischen“ mit. Bis zehn Uhr abends „verweilte sie vergnügt in Reutte“, wie der Zeitungsartikel, den Karlheinz Eberle auf seiner Internetseite verren.at überliefert hat, festhielt. Von so einem unkomplizierten Vergnügen dürfte die zwölf Jahre jüngere Elisabeth Amalie Eugenie von Wittelsbach während ihrer Zeit als Kaiserin in Wien ob des strengen Hofzeremoniells nur geträumt haben.
Es war nicht der einzige Besuch der Königin aus dem Nachbarland im Raintal. Auch mit ihren Hofdamen war sie dort oben, was vermutlich damit zusammenhing, dass man es damals wie heute so gut erreichen kann. Was allerdings mittlerweile auch zu der Erfahrung führt, daß das Miteinander zwischen Wanderern und Mountainbikern auch im Außerfern nicht völlig konfliktfrei ist.
Eine fantastische Bergwelt umfängt einen, wenn man in Richtung Talschluss unterwegs ist: Gehrenspitze, Köllenspitze, Gimpel links, Füssener Jöchel sowie der Schartschrofen direkt vor einem und rechts die Große Schlicke.

EIN KLAMMER KAISER.
Fast am Talende betritt man zwar nicht fremdes Staatsgebiet, aber immerhin ausländischen Besitz. Und zwar deswegen, weil Kaiser Heinrich IV., ein Salier, dem Augsburger Bischof Heinrich II. schon 1059 einen „Forst-und Waldbann“ gewährt hatte. 1313 wurde gar die ganze damalige Freie Reichsstadt Füssen von Kaiser Heinrich VII. an den Augsburger Bischof Friedrich I. verpfändet, so dass die Füssener dort den Wald roden und Sommerweiden anlegen durfte. Der Kaiser aus dem Hause Luxemburg war nämlich damals klamm und wollte seinen Krönungszug nach Rom finanzieren. Dazu stellte der Herr Bischof 400 Mark Silber plus zehn geharnischte Reiter samt Pferden für ein Jahr zur Verfügung. Sein Geld sah er zwar nie wieder, aber dafür blieb ihm der Besitz, der später an die Stadt Füssen ging. 1955 wurde der zwar im Zuge des österreichischen Staatsvertrages enteignet, doch der Füssener Bürgermeister, Dr. Ernst Enzinger, erreichte indes sieben Jahre später die Rückgabe.

 
Kaiser, Bischöfe, ein Ritter und eine Königin
Ein traditionsreiches Haus in einer wunderschönen Umgebung: Die Otto Mayr-Hütte. Von dort ist es nicht mehr weit zur Vilser Scharte. RS-Foto: Gerrmann
EIN FERTIGHAUS.
Augsburg ist auch noch aus einem anderen Grund wichtig für dieses herrliche Fleckchen Erde: Die Otto Mayr-Hütte wurde nämlich von der Sektion Augsburg des damaligen Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (DÖAV) erbaut. Architekt brauchte man keinen, man kaufte einfach 1899 auf der Deutschen Sportausstellung in München ein „Musterhaus für Bergsteiger“ und transportierte es im Jahr darauf in Einzelteile in die Tannheimer Berge. Noch heute strahlt diese Hütte trotz einiger Erweiterungen den Charme der Nostalgie aus.
Die Wirtin indes ist seit drei Jahren eine junge Frau: Isabel Steinbrück stammt aus Nordhausen in Thüringen – dem Ort, von dem die Bahn zum Brocken, dem legendären „Hexenberg“ im Harz, fährt. Hüttenerfahrung hat sie jede Menge: 15 Jahre war sie mit ihren Eltern in Venezuela. Die führten dort auf 2400 Metern in einem Fachwerkhaus das Restaurant La Pizza Negra, und wäre nicht das Chaos unter Präsident Nicolas Maduro ausgebrochen, wären sie vermutlich heute noch dort. Vier Jahre arbeitete sie als Angestellte auf der Kissinger Hütte, dann suchte sie etwas Eigenes – und fand es in ihrem jetzigen Domizil, wo sie die herrlichen Berge ringsum und das Miteinander mit den Gästen genießt. Serviert wird denen alpenländische und ab und zu durchaus auch mal internationale Küche.
Eine Stärkung kann man auf jeden Fall gut brauchen, denn nun wartet der anstrengendste Teil dieser Tour: Die paar Höhenmeter hinauf zur Vilser Scharte sind es da eher weniger. Aber wenn man auf dem Höhe-Punkt der Wanderung angelangt ist, dann wartet eine durchaus alpine Passage mit zwei (allerdings nicht allzu schlimmen) Leitern, die für Außerferner in der Regel auch kein Problem sind, auf einen. Der Weg nach unten ist zackiger als der nach oben. Aber dann kann man sich ja so wie vor der Scharte nochmal belohnen: Mit einer zünftigen Einkehr auf der Vilser Alm, wo man sich kein bißchen wundert, warum dieses Ausflugsziel so beliebt ist.
Gabi Mayor und ihr Sepp kümmern sich dort auf 1226 Metern mit viel Liebe und Leidenschaft um das Wohl ihrer Gäste. „Entspannen und genießen“ lautet dabei ihr Motto. Und das kann man in dieser herrlichen Umgebung ganz zweifelsohne – und zwar sowohl in der gemütlichen Stube drinnen als auch draußen auf der wunderschönen Terrasse. Und die Kinder kann man getrost auf dem Spielplatz herumtoben lassen. Aus der Almkuchl werden derweil allerlei Köstlichkeiten serviert. Die Palette reicht dabei von selbstgemachten Speckknödeln über Kässpätzle und kreative Brotzeiten bis hin zu süßen Köstlichkeiten wie Kaiserschmarren und Apfelstrudel. Stolz ist man auch auf das „Käsefondue der Extraklasse“. Und wenn man danach keine Lust hat, noch ins Tal zu gehen, kann man dort auch übernachten.

Auch die Vilser Alm ist übrigens leicht zu erreichen, so dass man diese Wanderung auch genauso gut andersherum gehen kann. Von schönen Eindrücken beflügelt, ist dann auch der Weg zum Vilser Bahnhof nicht mehr weit.
Kaiser, Bischöfe, ein Ritter und eine Königin
Eine gemütliche Einkehr vor dem Abstieg ins Tal: dafür ist die Vilser Alm bekannt.Foto: Dominik Sonnweber

Feedback geben

Feedback abschicken >
Nach oben