Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Kapellengeschichte, Teil 42 – „Der Heilige der Brücken“

Auch in Weißenbach ist Johann Nepomuk Schutzpatron einer Kapelle

Sie sind in der Regel klein und unscheinbar, aber sie prägen das Außerfern auf eine sanfte und dennoch eindrucksvolle Art: die Kapellen in den kleinen Dörfern und am Wegesrand. Mancher beachtet sie gar nicht, obwohl sie so viel zu erzählen haben. Die Legenden zu den Heiligen, denen sie geweiht wurden, spiegeln auch die Freuden und Sorgen der Menschen wider, die dereinst hier lebten. Die RUNDSCHAU hat einige von ihnen besucht und hat der Geschichte ihrer Namensgeber nachgespürt. Heute geht’s nach Weißenbach.
15. November 2022 | von Von Jürgen Gerrmann
Das Martyrium des heiligen Johann Nepomuk ist auf einem Detail des Altars in der ihm geweihten Kapelle am Laggenhof in Weißenbach abgebildet.
RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann

Sie zu finden, ist nicht leicht. Denn sie steht in einer Sackgasse neben dem Laggenhof in Weißenbach. Auf vermeintlich sicherem Gelände. Da wundert man sich schon, dass ausgerechnet dort seit 1826 ein Schutzheiliger gegen das Hochwasser verehrt wird. Doch dass die Kapelle dort dem Heiligen Johannes Nepomuk geweiht wurde, ist für Hermann Schrötter, der sich (nicht nur) in seinem Heimatmuseum „Millers Miehl“ so liebevoll um die Geschichte Weißenbachs kümmert, nicht groß verwunderlich. „Vor rund 100 Jahren, vor dem Bau der Umgehungsstraße, war der Lech viel breiter als heute. Das sieht man auch auf alten Fotos, die vom Bergle auf der anderen Lechseite in Richtung Oberhof aufgenommen wurden. Und auch noch heute ist dieses Gebiet rote Zone, also stark vom Hochwasser gefährdet“, sagt er im Gespräch mit der RUNDSCHAU. Auf dem Altarbild ist der heilige Nepomuk in schönem geistlichen Gewand dargestellt. Doch das Fenster im Hintergrund zeigt quasi direkt neben ihm dessen Martyrium: Eine ihm offenkundig nicht in größter Zuneigung verbundene Volksmenge schaut auf den eher auf als im Wasser schwimmenden Pfarrer in rotem Gewande.

VON DER KARlSBRÜCKE GEWORFEN. Dieses Ereignis trug sich am 20. März 1393 auf der damals ziemlich neuen Karlsbrücke in Prag zu, die im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen bis heute vom Hochwasser zwar beschädigt, aber nie zerstört wurde. Das ist unstrittig. Warum warf man indes den Priester in die Moldau, damit er dem Tod durch Ertränken (der für Geistliche im Mittelalter vorgesehenen Höchststrafe) anheim fiel? Bei der Antwort auf diese Frage gibt es indes nicht unerhebliche Unterschiede zwischen Geschichtsschreibung und Legende. Für die Historiker ist Jan z Pomuku (so der tschechische Name des um 1350 in Pomuk bei Pilsen geborenen, später Heiligen) Opfer eines Konflikts zwischen dem böhmischen (und römisch-deutschen) König Wenzel IV. aus dem Hause der Luxemburger und dessen früheren Kanzler, dem Prager Erzbischof Johannes Jenstein. Die konnten sich nicht einig werden, wie die kirchliche und weltliche Macht in Böhmen verteilt werden sollte. Der König wollte seinen Kontrahenten dadurch etwas „zurückstutzen“, dass er auf dem Gebiet dessen Erzbistums (Prag) ein neues etablieren wollte. Doch die Mönche des als dessen Sitz auserkorenen Benediktinerklosters Kladnau (im heutigen West-Tschechien) wählten einen anderen als den Gefolgsmann Wenzels zum Abt, und der Prager Bischof nutzte die Abwesenheit des Monarchen: Sein Generalvikar Johannes von Pomuk unterzeichnete das Bestätigungsprotokoll so schnell, dass der König nicht mehr rechtzeitig zurück in seiner Heimatstadt sein konnte. Die Einspruchsfrist war verstrichen. Das erboste den weltlichen Herrscher gewaltig. Der Erzbischof machte sich rechtzeitig aus dem Staube, und so ließ Wenzel seine Wut an Johann aus, dessen Unterschrift das Dokument trug, mit dem er ausgetrickst worden war.

FÜNF FLAMMEN. Und nun beginnt die Legendenbildung. Es wurde berichtet, dass der Todgeweihte mitten im Wasser von fünf Flammen respektive „hell glänzenden Wunderzeichen“ umgeben worden sei – die sieht man auch auf dem Detail des Weißenbacher Altars. Aber nicht wie zumeist um dessen Kopf, sondern den Beinen entlang. Andere wollten wissen, dass die Moldau nach der Hinrichtung ausgetrocknet sei, so dass man den Leichnam auffinden und in der Heiligkreuz-Kirche bestatten konnte. Von dort kam er auf jeden Fall schon drei Jahre später in den Veitsdom.

ZWEI BEICHTVÄTER. Im Zusammenhang mit der Heiligsprechung Nepomuks durch Papst Benedikt XIII. (dem Apulier Pietro Francesco Orsini) im Jahre 1729 wurde das schreckliche Ende Johann Nepomuks indessen von den politischen Machtspielchen „entkoppelt“. Nun sollte er ums Leben gekommen sein, weil er sich geweigert habe, dem König das zu erzählen, was ihm dessen Frau Sophie Euphemia von Bayern im Beichtgespräch anvertraut hatte. Wenzel hegte nämlich den Verdacht, dass die es mit der ehelichen Treue nicht immer hundertprozentig genau nahm. Mit dieser Version avancierte Jan z Pomuku quasi zum Stellvertreter eines weiteren berühmten böhmischen Theologen: Jan Hus war nämlich tatsächlich Beichtvater der Wittelsbacherin. Dessen Lehren war sie sehr zugetan (allerdings nach Nepomuks Tod). Dass dieser Vorgänger Martin Luthers während des Konstanzer Konzils als Ketzer verbrannt worden war, obwohl man ihm freies Geleit zugesichert hatte, passte da nicht so ganz ins Bild. Und so ersetzten ihn nicht zuletzt die Jesuiten im Zuge der Gegenreformation durch Johann Nepomuk, der erst nach dem Dreißigjährigen Krieg so richtig populär wurde. 1719 öffnete man sein Grab und fand dabei neben einem Skelett, das Spuren von Folter erkennen ließ, angeblich auch eine unverweste Zunge. Bei einer erneuten Graböffnung vor 50 Jahren deutete man dies indes als mumifizierten Rest von Gehirnmasse. Wie dem auch sei: Vor allem im Reich der Habsburger explodierte die Beliebtheit Johanns regelrecht. Manche sehen in ihrem gar den „Staatsheiligen“ der Habsburger Monarchie während des Barock. Er überflügelte damals sogar den bisherigen Nationalheiligen der Böhmen, den Fürsten Wenzel (Vaclav).  In Tschechien, aber auch in Öster-reich und Süddeutschland ist kaum ein anderer Heiliger so oft außerhalb von Kirchen anzutreffen wie Nepomuk. Er soll vor Wasser- und Reisegefahren schützen (weswegen er oft an Brücken anzutreffen ist), aber auch bei Zungenleiden helfen. Wer an der eigenen Verschwiegenheit zweifelt, kann ihn ebenso um Beistand anrufen wie die, die um ihre Ehre fürchten oder nicht sicher sind, ob andere die nötige Diskretion wahren. Die Darstellung auf dem Weißenbacher Altarbild folgt übrigens ganz dem klassischen Muster: Über seinem weißen Chorhemd trägt er die Mozetta (einen Umhang aus Pelz), die ihn als hohen geistlichen Würdenträger erkennen lässt, das Buch auf seinem Tisch symbolisiert seine Gelehrsamkeit, das große Kreuz in der Hand weist auf sein Martyrium hin. Die fünf kleinen Flammen auf der Miniatur wiederum sollen für die fünf Buchstaben des lateinischen Wortes „Tacui“ sehen: „Ich habe geschwiegen.“ Selbst ein schwäbisches Heimatgedicht dreht sich um den Mann aus Böhmen. In Rottenburg, der alten katholischen Bischofsstadt, soll man an seiner Figur am Neckar wie folgt beten (der Dialekt wurde der besseren Verständlichkeit wegen leicht „geglättet“): „Und lässt sich halt mit aller Gewalt / ’s Hochwasser net verklemma, / dann hab a Einseh’n guter Mann und fang mit Überschwemma / a bissle weiter drunten an. / Die Tübinger nehmen’s net so g’nau. / In denen ihren sauren Wein / darf ruhig a bissle Wasser rein. / Und evangelisch sind sie au.“

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