Von Jürgen Gerrmann.
Dass sich Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe darüber freue, dass Brüssel offiziell bestätigt habe, dass ein Fahrverbot für Motorräder mit einem Standgeräusch von über 95 Dezibel niemand diskriminiere, recht- und verhältnismäßig sei sowie aus Gründen des Gesundheitsschutzes Beschränkungen habe erlassen werden dürfen, ändere nämlich nichts am eigentlichen Problem: dass der Motorradlärm einfach zu gewaltig sei.
„Völlig falsch“.
Lärmbelastung für die „Gesamtregion Imst, Hahntennjoch, Ruhegebiet Muttekopf, Naturpark Tiroler Lech sowie Lech-, Tannheimer- und Bschlabertal“ anbelange, werde nämlich aus Brüssel nichts Neues verkündet. Warum? Die EU-Kommission habe ja gerade nicht die Auswirkungen des Lärmpegels von Tausenden „Freizeitbikern“ bewertet oder beurteilt, sondern nur die Vorgehensweise des Landes Tirol mit seinem Fahrverbot ab 95 Dezibel Standgeräusch. Das übrigens aus Gurgisers Sicht „völlig falsch“ sei. Dass jede Freiheit des Verkehrs (vom Moped über Motorrad, Pkw bis zum 40-Tonner) dann begrenzt werden müsse, wenn dieser Lärm gesundheitliche Schäden zeitige, das sei nun wahrlich nichts Neues, sondern ein alter Hut. Das Grundrecht auf Gesundheit stehe in Land, Bund und EU immer an erster Stelle: „Im Gegensatz zum Grundirrtum des freien Verkehrs.“ Allerdings verkomme es zu „totem Recht“, wenn sich die private und betriebliche Anrainerschaft nicht dagegen wehre. Welche Wertigkeit man der Gesundheit einräume, zeige sich gerade jetzt: Bei Corona sei Gesundheit plötzlich das „höchste Gut“, weil die Auswirkungen alles lahm legten, wenn man nichts gegen die Pandemie tue. Beim Fahrzeuglärm spiele sie nur die allenfalls zweite Geige, weil in den Tiroler Köpfen immer noch Euard Wallnöfers Leitsatz „Verkehr ist Leben“ fest verankert sei. Gurgiser: „Damals war der richtig, heute ist er falsch.“ Pragmatisch gesehen sei das Brüsseler Schreiben für beide Seiten nicht viel wert: Biker, die mit unter 95 Dezibel Standgeräusch vor Gärten, Terrassen, Balkonen, Wohnräumen, Hotels, Gasthöfen oder sonstigen Tourismuseinrichtungen einen Höllenlärm verur-sachten, könnten ungehindert mit der „Verlärmung“ weitermachen – und diejenigen, die mit einem Standgeräusch über dem Schwellenwert in der tatsächlichen Fahrt so leise wie ein Pkw seien, sperre man aus. Zudem könne man die tatsächlichen Folgen der Verordnungen aufgrund der Pandemie ja gar nicht bewerten. „Viel laute Luft um nichts“, urteilt Gurgiser daher. Nach wie vor sei Tirol von einem wirksamen Schutz der privaten und betrieblichen Anrainerschaft weit entfernt. Wenn Ingrid Felipe nun angesichts des Brüsseler Briefs zu den Bezirken Reutte und Imst ankündige, „diesen Tiroler Weg der Lärm-Reduktion konsequent fortzusetzen“, dann müsse das für das Mieminger Plateau, den Zirler Berg, das Timmelsjoch, das Ötz-, Wipp- und Achental, die Lofererstraße, Eiberg und so weiter und so fort schon fast wie eine Drohung klingen. Denn auch dort würde dann „nur ein minimaler Teil von Fahrzeugen aufgrund einer Kunstrechnung von Amts wegen ausgeschlossen“ – weniger Lärm gebe es deswegen allerdings nicht. Ob der Krach durch die Verordnungen in der Realität weniger werde – das habe die EU-Behörde nämlich gar nicht geprüft.
Gurgisers Forderung daher: Die Zeit jetzt zu nutzen, um die Verordnung so aufzustellen, dass der tatsächliche Umgebungslärm mehr als deutlich reduziert wird. Und man solle aufhören, anderen Regionen mit Verweis auf das Außerfern etwas vorzugaukeln, was der Realität nicht standhalte: „Wer auf einen falschen Faktor setzt, wird immer ein falsches Ergebnis erhalten – ungeachtet dessen, was eine EU-Behörde dazu sagt.“
Grundrecht auf Gesundheit.
Das Grundrecht auf Gesundheit habe das Transitforum seit über 30 Jahren allen seinen Forderungen zugrunde gelegt – und damit auch viel erreicht. Freilich: „Es muss nur leider immer wieder neu erstritten und erkämpft werden. Und zwar gegen eine Lobby, die den gesamten Alpenraum rücksichtslos überrollen will. Ob nun als laute Freizeitbiker oder als laute Transitlaster – das ist für die Bevölkerung in den engen Gebirgstälern unerheblich.