Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Pendeln nach Deutschland– weiterhin ein Kraftakt

Zwischen Coronatests, Bescheinigungen, aufgebrachter Landespolitik und Söders Kanzleranspruch

Soldaten an der Grenze, viele Einreisebeschränkungen und jeden Tag das Hoffen, das man rechtzeitig an seinem Arbeitsplatz ist. Für viele ist das Pendeln zur Arbeit nach Deutschland zum Spießrutenlauf geworden. Wie sind die Erfahrungen mit der neuen harten Grenze und welche Beschränkungen gelten derzeit? Der deutsche Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kündigt nun an, dass die harten Grenzkontrollen nach Tirol nochmals um zwei Wochen verlängert werden.
22. März 2021 | von Johannes Pirchner
Pendeln nach Deutschland– weiterhin ein Kraftakt
Dass Bayern die Grenzen zu Tirol noch weiter dicht hält, stößt auf breites Unverständnis. Symbolbild: Pixabay
Von Johannes Pirchner.
Das Bundesland Tirol bleibt für Deutschland weiterhin Virusmutationsgebiet. Etwas leichtere Bedingungen gibt es für die Außerferner Enklave Jungholz, was aber nicht über die Enttäuschung im Bezirk hinwegtröstet. Trotz niedriger Inzidenz gibt es für das Außerfern keine Erleichterungen. Das heißt weiterhin, es dürfen nur Grenzpendler aus Tirol und dem Außerfern nach Deutschland, die einen negativen Coronatest vorweisen, der nicht älter als 48 Stunden ist. Außerdem dürfen weiter nur Beschäftige nach Deutschland einreisen, die die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit in Bayern sicherstellen und unverzichtbar sind. Diesen Grenzpendlern werden individualisierte amtliche Bescheinigungen durch die bayerischen Landesbehörden erteilt, die dann unbedingt bei jeder Fahrt nach Füssen, Kempten oder Garmisch mitzuführen sind. Genauere Informationen gibt es auf der Seite des österreichischen Außenministeriums und auf der Homepage der bayerischen Staatsregierung. Kleine Ausnahmen gibt es lediglich für den Transit, Durchreisende und aus humanitären Gründen – unter anderem bei der Geburt eines Kindes, einem Begräbnis eines Verwandten ersten Grades, wie eines Elternteils, eines Ehegatten oder eines Kindes. Auch für eine dringende medizinische Versorgung und, wenn Gefahr in Vollzug ist, darf nach Deutschland eingereist werden.

Saarland vs Tirol.
Natürlich ist die neue Südafrikanische Variante des Coronavirus eine Gefahr, doch Tirol hat mit Hilfe des Bundes seine Hausaufgaben gemacht. Nur noch 3,5 Prozent aller Infektionen gehen auf die Südafrikanische Variante zurück. Im deutschen Saarland liegt die Zahl bei 15 Prozent, doch zu Frankreich gibt es keine Grenzkontrollen nach Tiroler Schema! Aus der Staatskanzlei und dem bayerischen Landtag sind Parolen, wie „Einmal Ischgl reicht –“ zu hören.  Soll sich Tirol für tolle Skipisten und Lebensfreude wirklich schämen? Wäre das Virus ein Dreivierteljahr früher ausgebrochen, würde man nach dieser Logik der bayerischen Staatskanzlei argumentieren: „Malle/Ibiza“ darf sich nicht wiederholen. Natürlich kann man den Après-Ski-Tourismus zu Recht kritisieren und darin auch möglicherweise einen Hauch von spätrömischer Dekadenz sehen. Aber dies ist eine andere Geschichte. Das Tirol-Bashing hat einen anderen Grund.
Tirol als Sündenbock. Diese Rolle wird das Bundesland wohl bis zur Bundestagswahl einnehmen. Dass es zwischen München und Innsbruck/Wien schon in den letzten Jahren einen Kleinkrieg um das Thema Transit und Verkehr gegeben hat, sollte niemanden wundern: Die gerechtfertigte österreichische Klage – mit starker Tiroler Unterstützung – gegen die deutsche Pkw-Maut, das gescheiterte Millionen Prestigeprojekt der CSU, und die Abfahrtskontrollen Tirols durch LH Platter und LH-Stv.in Felipe haben nicht unbedingt zu einer Deeskalation bzw. besseren Beziehungen zwischen München und Innsbruck geführt. Nun befindet sich Deutschland aber in einem Superwahljahr. Angela Merkel steht nicht mehr für das Amt der Bundeskanzlerin zur Verfügung. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist einer der Diadochen im Kampf um Merkels Erbe. Hier lohnt sich ein Blick in die Geschichte: Zwei bayerische Ministerpräsidenten versuchten den Sprung ins deutsche Kanzleramt und sind beide gescheitert – Franz Josef Strauß 1980 und Edmund Stoiber 2002 unterlagen dem jeweiligen SPD-Kandidaten.  Diesmal jedoch liegt die Union in allen deutschen Umfragen weit voran und es gibt keinen Amtsbonus bei dieser Wahl. Wer Kanzlerkandidat der Union wird, wird faktisch der nächste deutsche Bundeskanzler. Andere Mehrheiten gegen die Union sind derzeit laut Umfragen unwahrscheinlich. Noch ist nicht klar, ob Markus Söder eine Nominierung zum Kanzlerkandidaten schafft. Was wäre aber das Schlimmste, was einem möglichen bayerischen Kanzlerkandidaten widerfahren könnte? Ein schlimmer Ausbruch der Südafrikanischen Variante des Covid-Virus in dem Land, in dem dieser Kanzlerkandidat Ministerpräsident ist. Der Vorwurf von Parteifreunden und politischen Mitbewerbern würde lauten: Wie soll dieser Kandidat Deutschland aus der Krise führen, wenn er nicht einmal seinen Freistaat im Griff hat? Die Zahlen alleine rechtfertigen die Grenzkontrollen zum Außerfern und Tirol nicht mehr, auffällig aber, dass nur zu Tschechien und Österreich mit aller Härte kontrolliert wird, nicht aber zu Frankreich. Die bayerische CSU und ihr Ministerpräsident Markus Söder können sich so als starke Krisenmanager und politische „Macher“ inszenieren: „Wir, die CSU, schützen unsere bayerische Bevölkerung vor dem bösen `Tiroler-Afrikavirus´.“ Tirol muss bewusst als Sündenbock und zur Polarisierung für den deutschen Bundestagswahlkampf herhalten.

Breite Empörung.
Tirols Landtagspräsidentin Sonja Ledl-Rossmann (ÖVP) verurteilte die Grenzkontrollen neuerlich scharf und fand deutliche Worte: Diese Kontrollen seien vollkommen überzogen und ein massiver wirtschaftlicher wie politischer Einschnitt in den gemeinsamen Lebensraum Allgäu/Außerfern. Ebenso kritisch äußerte sich die Reuttener Nationalrätin Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP), die den deutschen Innenminister Horst Seehofer für die Ungleichheit der Maßnahmen an den verschiedenen deutschen Außengrenzen kritisiert. Auch sieht sie keinen Sinn in diesen Kontrollen, da die deutschen Landkreise Ostallgäu, Oberallgäu und Garmisch-Partenkirchen alle eine gleich hohe bzw. höhere Inzidenz im Vergleich zum Außerfern aufweisen. Ebenfalls bestürzt über eine Verlängerung der Grenzkontrollen zu Tirol zeigte sich der Außerferner Bundesrat Stefan Zaggl (SPÖ). Einfach nur zusperren sei definitiv zu wenig, es führe auf beiden Seiten der Grenze zu großen Problemen und sei eine enorme Belastung für die Pendler und Familien. Diese harte Grenze zerreißt Familien und hindert Menschen, ihren Verpflichtungen nachzukommen – etwa der Pflege von Angehörigen. Auch Zaggl fordert ein sofortiges Ende der harten Grenze zum Außerfern und zu Tirol. Die Grüne Bezirkssprecherin Regina Karlen betrachtet das Einreiseverbot als Willkürakt, der Familien, Berufstätigen und Unternehmern extreme Erschwernisse verursacht. Für den freiheitlichen Bezirksobmann Fabian Walch ist das bayerische Grenzmanagement unverständlich, „da die Zahlen eine weitere Schließung nicht hergeben“.

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