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„Sehnsucht nach Dialog“

24. März 2020 | von Nina Zacke
„Sehnsucht nach Dialog“
Kommt als Seelsorger mit den Einschränkungen durch Corona nicht leicht zurecht: Reuttes evangelischen Pfarrer Mathias Stieger. RS-Foto: Gerrmann

Wie Reuttes evangelischer Pfarrer mit der Corona-Krise umgeht


Von Anbeginn an ist das Christentum nicht zuletzt auf eines ausgerichtet: Gemeinschaft. Insofern treffen die Beschränkungen im Zuge des Kampfes gegen das Coronavirus nicht zuletzt Menschen, die ihren Glauben zusammen mit anderen leben wollen. Was bedeutet das für einen Pfarrer? Darüber unterhielt sich die RUNDSCHAU mit Mathias Stieger, dem Seelsorger der evangelischen Pfarrgemeinde Reutte.

Von Jürgen Gerrmann

Die kleine Schar der Protestanten im Außerfern hatte es dabei am 15. März immer noch besser als die katholischen Glaubensgeschwister: An diesem Tag galt nämlich noch die 100-Personen-Regel. So viel Menschen kommen in der evangelischen Kirche Reutte nur in absoluten Ausnahmefällen zusammen. Aber niemals in Zeichen von Corona.
Also bereitete sich Mathias Stieger für den Sonntag Oculi (benannt nach dem Psalmwort „Meine Augen sehen stets auf den Herrn“) und predigte vor seiner Frau Anne und fünf Gottesdienstbesuchern: „Wohin sehe ich? Was sehe ich?“ Und er bat: „Herr, sieh Du auf mich und uns!“ Orgelmusik gab es keine.
„Ich habe mich nicht schlecht dabei gefühlt“, erinnert sich Stieger. Andererseits höre er natürlich, was die staatlichen und kirchlichen Behörden sagten. Und habe sich daher selbstverständlich an die am nächsten Tag in Kraft getretenen verschärften Regeln gehalten.
Sind für ihn, der aus dem kommunistischen Rumänien dereinst nach Reutte kam, die Einschränkungen besonders schlimm? Nachdem Ceauscescus Regime ja durchaus danach trachtete, den Kirchen das Leben möglichst schwer zu machen? „Nein. Einen Gottesdienst verboten hatten sie ja nie. Und wenn sie es getan hätten, hätte ich trotzdem einen gehalten. Als Protestaktion. Die Regelungen jetzt kann ich aber nachvollziehen. Und werde mich dran halten.“
Gut sei gewesen, dass man sich jetzt peu a peu auf die neuen Vorschriften habe einstellen können. Er werde weiter aufmerksam hören, was die Verantwortungsträger sagten: „Bis jetzt haben die Regierungen in Bund und Land gut gehandelt.“
Persönlicher Kontakt wichtig.

Die Einschränkungen im sozialen Leben machen Stieger dennoch sichtlich zu schaffen. Der persönliche Kontakt sei auch im religiösen Leben der Kitt, und das solle auch so bleiben: „Viele Menschen sehnen sich nach Dialog. Und die Menschen sind ja auch von Gott auf ein Gegenüber hin geschaffen.“ Selbst in der Dreieinigkeit gebe es ja den Austausch zwischen Schöpfer, Erlöser und Heiligem Geist. Paulus habe beides gemacht: die Gemeinden der Urchristen besucht und ihnen Briefe geschrieben.
Selbst in Zeiten der Pest habe man versucht, das Glaubensleben aufrechtzuerhalten – eben in einer anderen Form: „In meiner Heimat Grossau in Siebenbürgen gab es zum Beispiel eine Pestkanzel am Pfarrhaus, von der aus der Pfarrer dann zu den Aussätzigen gepredigt hat, um ihnen die Teilnahme an der Liturgie zu ermöglichen. Und es gab einen speziellen Abendmahlskelch für die Kranken.“
In Wien würden die evangelischen Gottesdienste schon länger im Internet gestreamt. Er selbst bemühe sich nach Kräften, den Kontakt zu den Gemeindemitgliedern aufrecht zu erhalten. Mit den Schülern sei er zum Beispiel per E-Mail in Kontakt und gebe ihnen angesichts des ausfallenden Religionsunterrichts auch kleine Aufgaben: „Jetzt vor Ostern sollen sie die Passionsgeschichte aufmerksam durchlesen.“ Die Älteren rufe er in der Regel an und frage, wie es geht: „Und wenn ich gerufen werde, gehe ich selbstverständlich hin.“
Auch eine Chance?

Könnte es vielleicht sein, dass durch die Einschränkungen jetzt das gemeinschaftliche Glaubensleben wieder mehr wertgeschätzt werde und künftig die Gottesdienste sogar besser besucht sind? Da hat der Pfarrer so seine Zweifel: „Mit den vollen Kirchen in Zeiten der Not war es ja auch schnell vorbei, als die Leute die Freiheit und die Mark hatten.“
Eins steht für ihn indes unumstößlich fest: „Sobald es die Freigabe gibt, werde ich wieder Gottesdienst halten. Ich freue mich jetzt schon drauf.“

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