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„Wir sind Kinder Gottes“

15. Jänner 2019 | von Nina Zacke
„Wir sind Kinder Gottes“
Ein kleines Häufchen ist die evangelische Pfarrgemeinde Reutte. Kuratorin Brigitte Moritz arbeitet dennoch begeistert für die Gemeinde. RS-Foto: Gerrmann

Brigitte Moritz ist in der zweiten Wahlperiode als Kuratorin der evangelischen Pfarrgemeinde Reutte


Als Minderheit seinen Glauben zu leben – das muss einen nicht schrecken, sondern kann auch Freude machen. Sogar sehr große. Just das spürt man, wenn man sich mit Brigitte Moritz unterhält. Sie ist die Kuratorin der evangelischen Pfarrgemeinde Reutte und damit deren oberste Repräsentantin.

Von Jürgen Gerrmann

Formal gesehen rangiert die Frau aus Nesselwängle damit sogar über Pfarrer Mathias Stieger, hat sie doch das höchste Amt in der Gemeinde inne. Besetzt wird es in einem mehrstufigen Verfahren. Die Mitglieder der (26-köpfigen) Gemeindevertretung bestimmen acht Menschen aus ihren Reihen zum Presbyterium – und dieses Gremium wählt dann wieder die Kuratorin oder den Kurator.
Das Glaubensleben in der Diaspora war für sie nie etwas Fremdes, sondern ihr schon an der Wiege gesungen: Sie stammt nämlich aus Balzheim im württembergischen Alb-Donau-Kreis – einem Dorf, in dem viele Glaubensflüchtlinge aus Kärnten Zuflucht gefunden hatten, nachdem ihnen ein Reichsgraf dereinst in der Not eine neue Heimat geboten hatte. „Ich bin ganz in der evangelischen Tradition aufgewachsen“, erinnert sie sich: „In einem ganz katholischen Umfeld. Da musste man zusammenhalten.“ Bis in ihre Jugend hinein habe es keine Mischehen gegeben. Ganz bewusst.
Sie freilich brach mit dieser Tradition. Heiratete einen Katholiken, zog nach Nesselwängle, der Sohn wurde katholisch getauft. Freilich: „Als die Kinder größer waren, haben mich meine Wurzeln wieder zur evangelischen Gemeinde getrieben.“ Die ersten Anknüpfungspunkte ergaben sich (noch zur Zeit von Pfarrer Andreas Domby) durch einen kleinen Hauskreis aus vier, fünf Frauen, dann intensivierte sich die Sache, sodass Pfarrer Mathias Stieger sie fragte, ob sie nicht in die Gemeindevertretung wollte. Sie sagte Ja – und fiel bei der ersten Wahl prompt durch: „Niemand hat mich gekannt. Nicht gewählt zu werden, war für mich schon schlimm. Schließlich war ich es gewohnt, dass wenn ich was mache, das auch klappt, und sich der Einsatz lohnt. Aber ich habe es verstanden.“ Beim zweiten Mal klappte es dann. Und wie: Sie wurde nicht nur ins Presbyterium gewählt, sondern avancierte gleich zur Kuratorin.
Ausbildung zur Lektorin.

Mittlerweile wurde sie beim dann dritten Mal in diesem Amt bestätigt. Und in der Zwischenzeit hatte sie auch die Ausbildung zur Lektorin absolviert. Sie dürfte mithin nicht nur predigen und Gottesdienste leiten (was sie auch tut), sondern auch taufen und Menschen trauen. Aber die letzteren beiden Dinge macht sie eher nicht: „Ich finde, dass solch Sakrales zum Pfarrer gehört. Ich bin halt der Ersatz, wenn er nicht da ist.“
Aber bei allem, was sie macht, geht sie in die Tiefe, setzt sich intensiv mit den Texten auseinander, schreibt nicht nur ihre Predigt selbst, sondern auch die Gebete: „Das ist eine spannende Sache. Ich tue das unheimlich gerne.“
Auch als Kuratorin macht Brigitte Moritz keine halben Sachen: „Ich fühle mich schon für unsere Gemeinde verantwortlich. Dafür, dass sie Zusammenhalt findet.“ So klein das evangelische Häuflein mit 600 Leuten zwischen Vils und Ehrwald, Steeg und dem Tannheimer Tal ist, so vielschichtig sei es. Es existierten durchaus auch unterschiedliche Intentionen. Und da könnten auch Konflikte aufbrechen, durch die man schon Menschen verloren habe, bedauert die Kuratorin: „Da komme ich an meine Grenzen. Offensichtlich lässt sich halt nicht alles vermitteln. Es ist einfach schade, dass in solchen Situationen nicht zwischen dem Glauben und den Leuten unterschieden wird. Vom Glauben her müsste doch ein Zusammenleben unter unterschiedlichen Standpunkten möglich sein.“
Im Vergleich zu der Zeit, als sie ins Außerfern kam, hat sich auch bei den evangelischen Christen der Gottesdienstbesuch verringert. Von den 600, die sich zur Kirchengemeinde bekennen, kennt sie vielleicht 150 persönlich: „Der Rest kommt gar nicht.“ Angesichts dessen sei es schön, dass man immer noch alles anbieten könne: Kinder- und Jugendarbeit, Besuchsdienst im Krankenhaus, auch Hauskreise in Ehrwald und im Tannheimer Tal.
Manchmal wundere sie sich selbst darüber: „Aber wahrscheinlich ist es doch auch Gottes Fügung. Er will wohl, dass unsere kleine Gemeinde nicht untergeht.“
Große Herausforderung.

Demnächst warte indes eine große Herausforderung auf die kleine evangelische Schar: Pfarrer Mathias Stieger steht kurz vor dem Ruhestand und werde trotz Verlängerung seiner Dienstzeit um ein Jahr auf jeden Fall im Herbst 2020 sein Amt verlassen.
Und was dann? Genau das ist die große Frage. Die Gemeinde Reutte-Außerfern plagt nicht nur das Problem, dass sie sehr klein ist (das sind andere in Österreich auch), sondern zudem, dass sie sehr abgelegen ist. Bei einer Betreuung durch Pfarrer aus Imst, Innsbruck oder Landeck sieht Brigitte Moritz das Problem, dass dann im Grunde keine seelsorgerliche Arbeit mehr möglich sei (die auch sie für überaus wichtig empfindet). Eine Variante sei auch der Zusammenschluss mit einer Gemeinde im Inntal oder auch in Bayern. Mit Füssen oder Pfronten zum Beispiel.
Wohin die Reise der evangelischen Kirchengemeinde geht, das muss in den nächsten Monaten erst noch geklärt werden. Eins steht für die Kuratorin indes jetzt schon fest: „So etwas wie die Stiegers werden wir nicht mehr kriegen.“ Eine ganz traditionelle Pfarrfamilie eben. In der die Frau mitarbeitet, die Kinder Musik machen und die Oma die Lebkuchen für den Christbaum in der Dreieinigkeitskirche backt: „Das ist ein Riesenverlust, egal wie die Zukunftslösung aussieht.“
Begeisterte Christin.

An ihrer Motivation werde das freilich nichts ändern: „Ich bin begeisterte Christin.“ Das Christsein habe ihr Leben bereichert. Das habe schon in der Jungschar angefangen: „Dadurch bin ich in die Welt hinausgekommen, habe freies Denken gelernt, Selbstwertgefühl bekommen, gefühlt, dass man viel erreichen kann, wenn man sich einbringt. Ich bin vom Dorf gekommen, ohne all dies wäre ich wohl verklemmt aufgewachsen.“
Die Freude am Glauben sei im Laufe ihres Lebens sogar noch gestiegen: „Ich habe erlebt, wie der Glaube befreien kann, ich war getragen in schweren Zeiten. Und der Glaube gibt einem immer wieder die Möglichkeit, neu anzufangen.“
Sie glaube fest daran: „Wir sind Kinder Gottes, nicht planlos auf dieser Welt. Uns wird ein Faden gegeben, an dem wir uns entlanghangeln können.“ Toll sei auch die Gleichheit: „Ich bin ein Mensch, und der neben mir ist genausoviel wert wie ich. Und das gilt nach oben wie nach unten.“ Und wenn es Gott nicht gäbe? „Dann wäre das egal. Christliches Leben lohnt sich. Was macht sonst noch Sinn?“

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