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Zwischen Leben und Tod

Wenn das Ende zum Mittelpunkt wird

Sie sind aus buntem Zucker oder mit Schokolade überzogen: Kleine Totenschädel oder Skelette, die die mexikanischen Kinder am „Día de Muertos“ genussvoll verspeisen. Bei diesem Fest, das zeitgleich mit unserem Allerheiligen und Allerseelen stattfindet, wird der Tod gefeiert: Laut, bunt, ausgelassen und mindestens so lebendig wie das Leben selbst. Unser Umgang mit dem Tod ist hingegen ein völlig anderer. Streng, ernst, oft angstbesetzt geben wir ihm wenig Raum in unseren Gedanken, wir blenden ihn aus und flüchten uns in einen hektischen Alltag. Und doch gibt es einige – und es sind gar nicht so wenige – die ihr alltägliches Wirken ganz in den Dienst von Schwerkranken und Sterbenden sowie deren An-und Zugehörigen stellen. Sie gestalten deren letzte Lebensphase zu einem liebe- und würdevollen Abschied. „Bis zum letzten Atemzug“ lautet ihre Devise. Ich hatte Gelegenheit mit Sabine Hosp, Regionalbeauftragte der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft für das Tiroler Oberland, ein Gespräch über ihre Tätigkeit zu führen.
8. November 2021 | von Michaela Färber
Zwischen Leben und Tod
„Der Trauer Raum geben“: Sabine Hosp vor einer Installation mit „Seelenvögeln“im TrauerRaum Breitenwang. RS-Foto: Färber
Von Michaela Färber.
RUNDSCHAU: Sie leiten das Hospizteam Tiroler Oberland und Region Außerfern – bitte beschreiben Sie dessen Organisation und Strukturierung (Vorsitz, Finanzierung, Anzahl der ehrenamtlichen Hospizbegleiter, Anzahl der Betreuten pro Jahr…
Sabine Hosp: Wir bieten ehrenamtliche Hospizbegleitung an und ich leite das Hospizteam Tiroler Außerfern und Region Außerfern, eines von insgesamt 23 Hospizteams in ganz Tirol. Wir gehören der Tiroler Hospizgemeinschaft an, das ist ein eigenständiger Verein, aber wir agieren in den Regionen sehr autonom. Wir haben derzeit neun ehrenamtliche Hospizbegleiter, darunter auch schon seit einiger Zeit einen Herrn. Das Hospizteam Reutte wurde 2007 gegründet und wir sind im Haus Ehrenberg angesiedelt, deshalb hießen wir ursprünglich Hospizteam „Am Haus Ehrenberg“. Wir haben das inzwischen korrigiert um zu kommunizieren, dass wir für den gesamten Bezirk zuständig sind. Ich leite das Team seit 2017 ehrenamtlich. Pro Jahr machen wir ca. zehn bis 15 Begleitungen. Betroffen sind meist Schwerkranke und Sterbende, aber auch deren Angehörige. Wir versuchen in diesen schweren Tagen des Abschieds für die gesamte Familie da zu sein. Hospizbegleitung ist anonym, kostenlos, an keine Konfession gebunden und wir unterliegen alle der Schweigepflicht. In den Familien führe ich anfänglich ein Erstgespräch um Wünsche und Bedürfnisse zu klären. Im Mittelpunkt unserer Tätigkeit steht immer der Mensch. Wir klären auf,  was wir anbieten können, aber auch, wo unsere Grenzen sind. Ehrenamtliche Hospizbegleiter schenken einfach Zeit. Dazu kann auch ein Spaziergang gehören, ein Schachspiel oder einfach nur Zuhören und Mitaushalten.

RUNDSCHAU: Wie sind Sie persönlich zur ehrenamtlichen Hospizbegleitung gekommen? Beschreiben Sie bitte kurz Ihren beruflichen Werdegang.
Sabine Hosp: Dieses Thema hat mich immer angezogen. Ich war zuvor über 17 Jahre im pädagogischen Bereich und in der Behindertenarbeit tätig. 2010 wurde im Bezirk Reutte ein Ausbildungskurs für Hospizarbeit ausgeschrieben, den ich 2010/11 absolviert habe. Er dauerte ein halbes Jahr und umfasste 95 Theorie- und 80 Praktikumsstunden. 2011 stieg ich dann ins Hospizteam ein.

RUNDSCHAU: Die ständige Konfrontation mit Sterbenden erscheint mir sehr belastend. Werden Sie in Ihrer Arbeit psychologisch begleitet?
Sabine Hosp: Wir haben jederzeit die Möglichkeit zur Supervision und meine Aufgabe als Teamleiterin ist es für die Ehrenamtlichen da zu sein. Wenn eine Begleitung für sie besonders herausfordernd war, können sie sich eine Auszeit nehmen. Wir achten wirklich sehr darauf, dass die Ehrenamtlichen  gut begleitet werden., dazu tragen auch die monatlichen Teamtreffen bei.

RUNDSCHAU: Wie hat sich die Corona Pandemie auf Ihre Tätigkeit ausgewirkt? Welche Einschränkungen gab es/gibt es?
Sabine Hosp: Am Anfang herrschte kurz Orientierungslosigkeit, aber bald stellte sich heraus, dass es wichtig ist, dass wir dableiben. Wir haben während des Lockdowns telefoniert, Briefe geschrieben, Geschenkkörbe vor die Türe gestellt. Wichtig war den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Ab dem Frühjahr 2021 waren wir – natürlich mit allen Sicherheitsauflagen – wieder tätig.

RUNDSCHAU: Derzeit liegt ja ein Gesetzesentwurf der österreichischen Bundesregierung vor, der die Sterbehilfe neu regeln soll. Der sogenannte „assistierte Suizid“ unheilbar Kranker soll – allerdings unter strengen Auflagen – ermöglicht werden. Was halten Sie von diesem Vorstoß?
Sabine Hosp: Wir von der Tiroler Hospizgemeinschaft stehen ganz klar zum „JA“ zum Leben. Ganz oft stecken Nöte und Ängste hinter der Beschäftigung mit dem eigenen Tod. Hier muss man genau hinhören, in den Dialog gehen und bleiben. Letztendlich ist meist eine Kombination von palliativer Betreuung, die symptomlindernd wirkt, und Hospizbegleitung ein unterstützendes Angebot. Wir bleiben bei den Sterbenden, solange sie uns brauchen, aber lehnen ganz klar den“ assistierten Suizid“ ab.

RUNDSCHAU: Im Rahmen dieses Gesetzesentwurfs sollen gleichzeitig die Palliativ- und Hospizdienste ausgebaut werden. Dafür wurde das Budget von derzeit 18 Millionen auf 153 Millionen aufgestockt. Welche Optimierungsvorschläge Ihre Arbeit betreffend sehen Sie?
Sabine Hosp: Die Aufstockung des Budgets sehen wir als Aufwertung unserer Arbeit. Palliativ- und Hospizdienste sollten jedem zur Verfügung stehen. Wir sind gut vernetzt. Es gibt an jedem Krankenhaus einen Palliativkonsiliardienst, der, wenn die Zeit limitiert ist und keine kurativen Maßnahmen mehr helfen, eine Entlassung nach Hause mit gleichzeitiger Betreuung von mobilem Palliativ- und Hospizdienst veranlassen kann. Wichtig ist, dass einer breiten Bevölkerung die Existenz dieser Dienst bekannt ist.

RUNDSCHAU: Sie begleiten ja nicht nur die Sterbenden selbst durch ihre letzte Lebensphase sondern auch deren Angehörige. Inwieweit sind diese in den Abschied eingebunden?
Sabine Hosp: Die Angehörigen sind sehr dankbar für die Zeit von jemandem, der ihnen zuhört, aber auch Entlastung anbietet. Für mich ist es ein: „Wir gehen an ihrer/eurer Seite, ihre/eure Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt“.

RUNDSCHAU: Oft sind ja auch Kinder und Jugendliche in diese Verabschiedung involviert. Das stelle ich mir besonders schwierig vor. Darf man – oder soll man sogar – so junge Menschen mit dem Sterben konfrontieren? Welche Erfahrungen haben Sie dazu gemacht?
Sabine Hosp: Es ist nicht anders als bei den Erwachsenen: Es geht um dieses Begreifen rund um das Abschiednehmen. Die Kinder müssen in diesem Prozess mitgenommen werden. Altersgerechte, aber sprachlich klare und ehrliche Antworten auf ihre Fragen sind wichtig. Kinder haben nämlich die Eigenheit Phantasien und Schuldgefühle zu entwickeln. Wichtig ist, dass die Erwachsenen ihre Gefühle vor den Kindern nicht geheim halten. Wir ermutigen die Kinder zur Konfrontation mit den Sterbenden und, wenn sie das ablehnen, zu einer anderen Form der Begegnung, zum Beispiel indem wir sie auffordern ein Bild zu malen. Essenziell ist die Kinder und Jugendlichen immer auf die Situationen adäquat vorzubereiten.

RUNDSCHAU: Gibt es ein Erlebnis oder Ereignis aus Ihrer beruflichen Tätigkeit, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Sabine Hosp: Nein. Jede einzelne Begegnung und Begleitung ist für mich unvergesslich. Für mich waren das immer Sternstunden. Es ist so schön, wie viel Vertrauen und wie viele Geschichten aus dem Leben wir bekommen.

RUNDSCHAU: Wir haben erst vor Kurzem Allerheiligen und Allerseelen gefeiert, den einzigen Zeitpunkt im Jahr, an dem in unserer Gesellschaft das Sterben thematisiert wird. Generell wird der Tod immer noch tabuisiert, oder – lassen Sie mich ein Wortspiel verwenden – er wird buchstäblich totgeschwiegen. Erzeugt er dadurch nicht mehr Angst? Oder – anders gefragt – bräuchten wir nicht viel mehr gewohnheitsmäßigen Umgang mit dem Sterben?
Sabine Hosp: Ja, der Tod ist ein Teil des Lebens und gehört somit zur Normalität. Ich erinnere mich an so schöne Abschiede mit sehr viel Gedankenaustausch und intensiven Gesprächen. Wir bieten ja auch Letzte-Hilfe-Kurse an und da kommen inzwischen nicht nur Betroffene, sondern auch Menschen, die eigentlich „nur“ wissen wollen, was und wie denn der Tod ist. Das ist so schön zu sehen. Der letzte Lebensabschnitt sollte Teil des Lebens werden – nicht nur zu Allerheiligen.

RUNDSCHAU: Ich danke Ihnen vielmals für dieses interessante Gespräch.

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