Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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„Retten, was zu retten ist“

Was Wirtschaftskammer und Tourismus zum drohenden „Skiverbot“ sagen

Erst war es Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte, dann folgte Frankreichs Staatsoberhaupt Emmanuel Macron, dann reihte sich Bayerns Regierungschef Markus Söder ein, und am Donnerstag schloss sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel an: Die Rufe nach einer Absage oder Verschiebung der Skisaison 2020/21 werden immer zahlreicher und lauter. In manchen Medien war gar die Rede davon, dass die EU ein „Ski-Verbot“ verhängen solle. Was würde das für den Tourismus und die Wirtschaft allgemein im Außerfern bedeuten? Die RUNDSCHAU hat sich umgehört.
1. Dezember 2020 | von Von Jürgen Gerrmann
Auch an der Waldrast in Ehenbichl laufen die Schneekanonen auf Hochtouren. Wann der Schlepplift aufsperren kann, steht allerdings noch in den Sternen. RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann

„Zwiegespalten“ ist etwa Wolfgang Winkler, der Bezirksstellenleiter der Wirtschaftskammer Tirol in Reutte. „So lange die Zahl der Infizierten so hoch ist, kann man das Aufsperren der Skigebiete eigentlich nicht bringen“, sagt er. Auf der anderen Seite entstehe ein wirtschaftlich großer Schaden, wenn die Skisaison nicht wie sonst üblich starte: „Wenn das Weihnachtsgeschäft ausfällt, holt man das nie wieder auf.“ Das zeige die Erfahrung: Diese Tage, in denen ein wesentlicher Teil des Umsatzes gemacht werde, kämen nicht wieder, diesen Verlust später auszugleichen, sei unmöglich – zumal die Winter immer kürzer würden.
Sperrten die Lifte zu Weihnachten nicht auf, sei das auch für die einheimische Bevölkerung schlimm: „Den Kindern fällt ja die Decke auf den Kopf.“ Sie könnten sich dann auch nicht mehr in einer für die Außerferner so wichtigen Kernkompetenz üben: „Vier Dinge sollte man hier können – Lesen, Schreiben, Rechnen. Und Skifahren.“ Trotz allem gehe die Gesundheit vor. Und Bilder von Menschentrauben vor Skiliften, wie sie ja schon zu Beginn der Skisaison auf den Gletschern im Netz kursiert seien, seien auch nicht gerade gut fürs Image. Daher sei klar: „Wenn es eine Skisaison gibt, braucht es klare Spielregeln.“ Die ließen sich am Waldrast-schlepplift, den die Gemeinde Ehenbichl (wo Winkler Bürgermeister ist) betreibt, sicher leichter einhalten, aber die klare Botschaft müsse dennoch lauten: „Die Gesundheit steht an erster Stelle – auch aus Sicht der Wirtschaft. Wir brauchen eine Wintersaison mit Maß, Ziel und Hausverstand.“ In diese Richtung müsse ein Kompromiss gehen: „Wir müssen retten, was zu retten ist.“ Auf der anderen Seite liefen die Schneekanonen auf Hochtouren: „Das ist ein Lotteriespiel, weil auch wir an der Waldrast nicht wissen, wann wir aufsperren dürfen. Aber das nutzt nichts. Wir müssen das Risiko eingehen.“ Festzuhalten sei aber auch: Die Seilbahnen in Österreich hätten sich schon seit dem Sommer ein Hygienekonzept überlegt und darin schlüssige Maßnahmen festgelegt. Und zudem gelte hierzulande eine Seilbahn als Verkehrsmittel, für die eine Betriebspflicht bestehe wie für einen Bus. Den fahren zu lassen und eine Gondel nicht – das sei aus seiner Sicht rechtlich schwer zu begründen.

NATURPARKREGION REUTTE. „Für unsere Region ist der Zeitraum zwischen Weihnachten und dem 10. Jänner entscheidend für den Erfolg. Wenn dort die Skilifte nicht laufen, ist das nicht mehr einholbar“, meint auch Ronald Petrini, der Geschäftsführer des Tourismusverbands Naturparkregion Reutte: „Die Wintersaison  konzentriert sich einfach auf diese Zeit.“ Die Ferienwochen in Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien und der Schweiz im Februar/März seien auch noch wichtig. Deswegen kann er sich nicht vorstellen, dass der Start in die Skiliftsaison verschoben werde oder gar ganz ausfalle: „Es gibt ja ausgetüftelte Präventionskonzepte. Die wären auch umsetzbar. Und wenn die Skisaison erst Ende Januar begänne, hätten wir ja auch keine Garantie, dass kein neuer Lockdown kommt.“ Auf der anderen Seite gebe es in der Tourismusregion auch Alternativen zum Alpinski: „Wir wollen im sanften Tourismus, mit Bewegung in der Natur punkten.“ Dazu gehörten Langlauf, Winterwandern und auch der „Newcomer“ Biathlon. „Reutte on ice“, das Schlittschuhvergnügen im Park, habe wegen Corona leider verschoben werden müssen. Man sei froh, dass man die Reuttener Seilbahnen (jetzt Bergwelt Hahnenkamm) habe: „Wir können nicht mit den Ski-Hotspots konkurrieren. Umso wichtiger ist es, dass es dieses Angebot gibt und es auch weiterentwickelt wird.“ Sobald es die Corona-Fallzahlen zulassen, ist es aus seiner Sicht ein wichtiges Zeichen für Einheimische und Gäste, die Saison möglichst bald starten zu können.  Vorteile erhofft man sich auch davon, dass Reutte die erste Destination nach der Grenze zu Deutschland sei. Freilich: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist ja nicht unbedingt Fan eines  ungebremsten Zustroms ins Außerfern und will seine Landsleute sogar nach einem Kurztrip in Quarantäne schicken.

DAS LECHTAL.  Am gelassensten könnte all das eigentlich Michael Kohler, der Geschäftsführer des Tourismusverbands Lechtal, sehen. Dort gibt es mit der Jöchlspitze ja nur ein einziges alpines Skigebiet. Dem stimmt er zum Teil zu: „Wir sind mit Winterwandern, Langlauf und Skitouren schon sehr gut aufgestellt. Aber wenn der Arlberg nicht aufsperrt, wäre das für das Obere Lechtal schon alles andere als gut.“  Weil viele eben dort übernachteten und dann zum Skivergnügen ins Nachbarland Vorarlberg führen. Aber im Lechtal könne man mit den geöffneten Hütten gegensteuern: „Bernhardseck, Kasermandl, Stablalm haben auf – das ist ein gutes Angebot, wenn die Lifte nicht aufsperren dürfen. Die reinen Skigebiete haben sicher größere Probleme als wir.“

ZUGSPITZARENA.  „Im Moment können wir die Frage, was sein wird, sollte es zum ,Ski-Verbot' kommen, gar nicht beantworten“, sagte Sandra Strolz von der Marketing- und Presseabteilung der Tiroler Zugspitzarena am Freitagnachmittag. Es sei ja noch gar nicht klar, wie die Verhandlungen der europäischen Staaten zu diesem Thema ausgingen. Die bisherige Planung sehe einen Saisonstart zum 18. Dezember vor. Alles, was danach komme, könne man realistisch ohnehin erst nach Ende des Lockdowns einschätzen. Eins sei aber sicher: „Das Winter-Outdoor-Erlebnis steht im Vordergrund.“ Ob mit oder ohne Alpinski. Denn gerade im Sommer habe man neue Gäste gewonnen, die früher nicht unbedingt die größte Affinität zu den Bergen gehabt hätten: „Der neue Gast, der zuvor noch nie in den Bergen war“, könne sich von Winterwandern, Schneeschuhtouren und auch Lama-Wanderungen wie in Biberwier durchaus angesprochen fühlen. Schon vor Corona habe man „die sanften, naturgemäßen Sachen“ im Tourismus mehr in den Vordergrund gerückt.

DAS TANNHEIMER TAL. „Einen Stillstand der Lifte und Seilbahnen wird es hoffentlich nicht geben“, sagte Walter Barbist, der Obmann des Tourismusverbandes Tannheimer Tal. Man sehe sich bei den Bergbahnen und Gastgebern gut gerüstet, was Sicherheitskonzepte anbelange – da habe man ja schon in der Sommersaison Erfahrungen gesammelt. Komme dennoch ein Skiverbot, wäre das für die Region natürlich ein schwerer Schlag. Man brauche im Winter funktionierende Seilbahnen. Nicht nur für die Skifahrer, die in den Weihnachtsferien sehr gern kämen, sondern auch für Schneeschuhwanderer und „Sonnenanbeter“. Die Bergbahnen erlös-ten zudem einen großen Teil ihres Umsatzes „aus dem Tagesgeschäft mit unseren Freunden aus dem Allgäu und dem schwäbischen Raum“. Müssten die auch nach einem Tagesausflug in Quarantäne, komme das einem K.o-Kriterium gleich. Er gehe aber davon aus, dass alle Betriebe aufsperrten, sobald die Reisewarnung für Österreich  aufgehoben werde.

DIE EU-ABGEORDNETE.  Tirols EU-Abgeordnete Barbara Thaler (ÖVP) stellt übrigens klar, dass die EU kein „Skiverbot“ verhängen werde: „Es liegt gar nicht in deren Kompetenz, Skigebiete zu eröffnen oder zu schließen.“ Dafür seien die Nationalstaaten zuständig, und laut der österreichischen Verfassung sei der Tourismus Ländersache: „Ich sehe Tirol gut vorbereitet, was die Anforderungen für eine sichere Wintersaison betrifft.“

 

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